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"Dieser Zombie-Staat ist gefährlich"

Der Nordkorea-Spezialist an der Universität Trier, Professor Hans Maull, sieht das Regime in Pjöngjang weiter auf dem Weg in eine Sackgasse. Die Atomwaffentests gehörten zu den Erpressungsversuchen, mit denen man die internationale Gemeinschaft, das Nachbarland Südkorea und auch die eigene Bevölkerung zu Geiseln machen wolle. Die Volksrepublik China könne das Regime ernsthaft unter Druck setzen, fürchte jedoch die politischen Konsequenzen, erläuterte Maull.

Hans W. Maull im Gespräch mit Jochen Spengler | 26.05.2009
    Jochen Spengler: Weltweit hagelte es Kritik, als gestern bekannt wurde, dass Nordkorea einen zweiten unterirdischen Atomtest unternommen hat. Den ersten hatte es 2006 durchgeführt und erst vor zwei Monaten hatte Nordkorea international Besorgnis ausgelöst, als es eine Langstreckenrakete startete. Gestern wurden weitere drei Kurzstreckenraketen in die Luft geschossen. Der UNO-Sicherheitsrat kam gestern Abend zu einer Sondersitzung zusammen und verurteilte einstimmig Nordkoreas Atombombentest. Dessen ungeachtet plant das Land offenbar heute weitere Raketentests.

    Mit dem Atombombentest hat das kommunistische Regime in Nordkorea seine Drohung unterstrichen, das Atomprogramm wieder aufnehmen zu wollen - ein Programm, von dem die internationale Gemeinschaft Nordkorea abbringen will, weswegen es seit Jahren eine Art diplomatisches Pingpong-Spiel gibt, bei dem niemand genau sagen kann, wie es gerade steht. - Am Telefon ist der Nordkorea-Spezialist und Politikwissenschaftler an der Universität Trier, Professor Hans Maull. Guten Morgen, Herr Maull!

    Hans W. Maull: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Herr Maull, können Sie uns die Frage beantworten, was diese Diktatur eigentlich will?

    Maull: Ganz einfach überleben. Dieses Regime will überleben. Das Problem ist nur: Es weiß nicht wie und es ist auch nicht erkennbar, wie das gehen sollte. Deswegen marschiert das Regime, marschiert Nordkorea einfach entschlossen immer weiter in eine Sackgasse hinein.

    Spengler: Das 24-Millionen-Volk hungert, das Land ist arm, aber das Regime hat die Bombe, hat chemische und biologische Waffen und es hat die fünftgrößte Armee der Welt. Wie geht das zusammen und wie lange geht so was noch zusammen?

    Maull: Wie gesagt, auf Dauer wird das einfach so nicht gehen. Das ist ganz offensichtlich. Ich habe schon vor Jahren formuliert, dass Nordkorea eigentlich ein Zombie-Staat ist, ein Staat, der längst tot ist, aber eben als Untoter weiter herumgeistert. Das kann aber noch sehr lange dauern, denn bislang ist Nordkorea mit dieser Strategie über seine militärische Macht, über seine Erpressungsmöglichkeiten - und erpresst wird sozusagen das Nachbarland Südkorea; die Hauptstadt liegt ja im Einzugsbereich der Artillerie Nordkoreas und es könnte in jedem Fall ein Blutbad angerichtet werden - und die eigene Bevölkerung in Nordkorea wird auch zur Geisel genommen. Das hat bislang funktioniert, um das System einigermaßen am Leben zu halten, um so viele Ressourcen aus dem Ausland zu mobilisieren, dass der Gewaltapparat weiter einigermaßen aufrechterhalten werden kann.

    Spengler: Ist denn die internationale Besorgnis nun gerechtfertigt?

    Maull: Ja. Ich habe schon den Eindruck, dass wir sozusagen in einer neuen Phase dieses langsamen Prozesses des Zerfalls dieses Staates stehen, und zwar aus innenpolitischen Gründen. Es ist zwar nur Kaffeesatzlesen, was die eigentlichen Motive jetzt für diese Eskalation sind. Auf der einen Seite wird es sicherlich eine Rolle spielen, dass Nordkorea eben versuchen möchte, erneut erpresserisch tätig zu werden und Ressourcen aus dem Ausland zu bekommen. Es möchte ganz offensichtlich auch mit den USA ins Gespräch kommen, aber der Hintergrund ist möglicherweise in erster Linie ein innenpolitischer und da ist das wichtigste Thema der offensichtlich zunehmend angeschlagene Gesundheitszustand des lieben Führers Kim Jong Il und seine Versuche, die Familiendynastie fortzuführen und das Regime zu erhalten. Die Wurzeln dieser jetzigen Krisensituation sind möglicherweise innenpolitischer Art.

    Spengler: Das heißt, ein angeschlagener Tiger ist gefährlicher als ein gesunder?

    Maull: Ja, ich denke schon. Dieser Zombie-Staat ist gefährlich. Er ist gefährlich für seine Nachbarn, er ist gefährlich für die eigene Bevölkerung und es ist nicht erkennbar, wie sozusagen die silberne Kugel aussehen könnte, die das Problem löst. Ich sehe auch keine Veränderung, keine wesentliche Veränderung in der Herangehensweise an Nordkorea und an das Problem im Kontext dieser jetzigen Krise. Wir haben eine paradoxe Situation im Grunde. Alle beteiligten Staaten, alle beteiligten Akteure wollen eigentlich politische Stabilität auf der koreanischen Halbinsel, einschließlich des Regimes in Nordkorea natürlich. Aber es ist trotzdem möglich, dass dieses Regime von heute auf morgen zerbricht. Die Grundlagen für Stabilität sind nicht gegeben und es ist auch nicht erkennbar, wie diese Stabilität geschaffen werden könnte, oder die gegenwärtigen Voraussetzungen.

    Spengler: Gibt es denn irgendwelche Anzeichen einer Opposition im Land?

    Maull: Nein, die gibt es nicht. Dazu ist dieser Staat viel zu repressiv organisiert. Jede Form von Opposition wird sofort effektiv unterdrückt. Das gibt es nicht, aber was es gibt - und da gibt es eine ganz eindeutige und wichtige Veränderung - ist eine zunehmende Aufweichung dieses Systems. Nordkorea wird zunehmend porös als Gesellschaft und es wird immer korrupter. Auf diese Art und Weise werden die Grundlagen dieses Regimes immer wackeliger.

    Spengler: Was wäre denn die klügste Reaktion der internationalen Gemeinschaft?

    Maul: Ich glaube, die klügste Reaktion wäre, im Grunde diese Drohgesten so gut es geht zu ignorieren und weiterhin zu versuchen, Nordkorea immer wieder anzusprechen, in Kontakt zu bleiben mit Nordkorea und ihm Angebote zu machen für Unterstützung, die aber - und das muss ganz klar sein - eben nicht beliebig sein können. Die müssen so gestaltet sein, dass sie nicht dem Regime zugute kommen, sondern den Menschen oder der Kooperation zwischen Nordkorea und anderen. Es kann nur um eine langsame, schrittweise Öffnung Nordkoreas gehen. Die jetzige Strategie kann von außen nicht unterstützt werden.

    Spengler: Und die Sanktionen, die ja bestehen, gegen die Führung noch zu verstärken, hätte das Sinn?

    Maull: Ja. Ich vermute, dass es noch gewisse Handlungsmöglichkeiten gibt. Man wird das jetzt im Einzelnen ja auch ausloten. Es gibt einen Sanktionsausschuss des Sicherheitsrates; der wird sich jetzt über die Möglichkeiten beugen, auf das Regime weiteren Druck auszuüben. Da gibt es vermutlich noch gewisse Möglichkeiten. Den Schlüssel hat hier ganz eindeutig die Volksrepublik China in der Hand. Es wäre durchaus möglich, dieses System durch Sanktionen zu zerstören, glaube ich, aber die Volksrepublik China sitzt hier an den entscheidenden Hebeln und will das nicht - aus nachvollziehbaren Gründen. China hat Sorge, dass ein Zusammenbruch des Regimes in Nordkorea massive Probleme etwa in den Nachbarprovinzen in China verursachen könnte. China befürchtet offensichtlich, dass Millionen von nordkoreanischen Flüchtlingen nach China strömen könnten. Das will es verhindern und deswegen ist es letztlich nicht bereit, das Regime so ernsthaft unter Druck zu setzen, dass es zusammenbrechen könnte.

    Spengler: Professor Maull, angenommen China wollte, hätte es denn dann wirklich genügend Einfluss, meinetwegen zu einem Zusammenbruch des Regimes beizutragen?

    Maull: Ja. Ich bin ziemlich sicher, dass China das erreichen könnte, wenn es sich keine Gedanken machen würde um die politischen Konsequenzen. Nordkorea ist abhängig ganz entscheidend von chinesischen Erdöl-Lieferungen und Erdöl-Produktlieferungen, auch von Nahrungsmittel-Lieferungen, aber das entscheidende, glaube ich, ist die Abhängigkeit von den chinesischen Energielieferungen. Wenn China alle Möglichkeiten ausnützen würde, um Nordkorea wirtschaftlich unter Druck zu setzen, dann glaube ich nicht, dass dieses Regime überleben könnte. Die Frage wäre dann eben nur, was passiert dann, und diese Frage ist China nicht bereit oder dieses Risiko ist China nicht bereit einzugehen.

    Spengler: Danke schön für die Erläuterungen. - Das war Professor Hans Maull, Nordkorea-Spezialist und Politikwissenschaftler an der Universität Trier. Danke schön!

    Maull: Bitte schön, Herr Spengler.