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Dieter Meichsner: Abrechnung

Das Buch ist das Dokument einer anderen Welt. Der behäbigen, ordentlichen untergegangenen DDR-Welt. Und zeigt, wie sie wurde, was sie ist. Das Buch zeigt auch einen ihrer wahren Helden. Der ist nie in der Partei gewesen. Entsprechend kompromisslos. Und wird zum Detektiv, weil eine Seilschaft geld- und machthungriger Schergen darangeht, ganze Ost-Industrien plattzumachen.

Brigitte Neumann | 12.06.1998
    Dieter Meichsner sagt, die DDR hat viele solcher mutiger Leute. Heute redet nur keiner mehr von denen. Also macht er’s . Das tun nicht viele. Schon gar nicht Autoren aus dem Westen. Ich kann mich gut erinnern, als der frühere Stern-Chefredakteur Michael Jürgs vor einem Jahr seinen aufwendigst recherchierten Wirtschaftskrimi "Die Treuhändler" vorstellte und sagte: "Die Chemie zwischen Ost und West stimmt nicht. Und das wird sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern." Auch Birgit Bleuel, langjährige Chefin der jetzt aufgelösten Treuhandanstalt, hieb in die gleiche Kerbe. Sie sagte: "Wir konnten noch so viel reden mit den Leuten da. Das, was man so ostdeutsche Befindlichkeit nennt, konnten wir nie verstehen."

    Wir, damit meinte sie die Wessis, die zur Abwicklung der Ostindustrie nach drüben geschickt worden waren. Und bei dieser Abwicklung ist wohl einiges schief gelaufen. Dieter Meichsner hat einen Krimi draus gemacht: "Es war mir schon eine ungeheure Freude, das bekenne ich, daß ausgerechnet das Neue Deutschland in einer Rezension des Buches schrieb, daß das wohl erstaunlich sei, daß ein Altwessi imstande sei, die Befindlichkeiten der Ostdeutschen bis ins letzte Detail hinein glaubwürdig zu beschreiben. Und das war für mich eine Auszeichnung im Neuen Deutschland."

    Nun ist es aber auch so, daß das Buch ja als Kriminalroman deklariert ist. Und in dieser Eigenschaft ist es einfach ein bißchen schwerfällig. Das beginnt schon beim ersten Satz. Der erste Satz muß einschlagen. Das ist ehernes Krimigesetz. Aber was soll man von einem Krimi halten, der so anfängt: "Der monatliche Erfahrungsaustausch, jour fixe, im Schweizer Mutterhaus war in der Regel auf einen Dienstag angesetzt." Der Anfang ist verpatzt. Weil dann geht es auch noch eine Seite lang in indirekter, konjunktivischer Rede weiter. Hätte, wäre, könnte. Das ist Seite eins. Auf Seite zwei nimmt Meichsner seine Leser dann mit. In eine traurige Kleine-Häusle-Atmosphäre in Chemnitz, wo Ehefrau Ines mit Depressionen, Sehstörungen und den Wechseljahren zu kämpfen hat. Gatte Richard Hähnelt kümmert sich. Halbherzig. Er ist anständig. Er wird sie nicht verlassen. Obwohl da eine ist, aus dem Westen, und deren Haare riechen gut, und sie ist klug. Und obwohl Hähnelt unter Druck gerät: Die DDR-Wirtschaft kollabiert. Und sein Job als leitender Angestellter einer Blechfabrik ist in Gefahr.

    Könnte wirklich so gewesen sein - wenn wir mal die Rothaarige vergessen. Der Held Richard Hähnelt als Prototyp für hundertfaches, tausendfaches DDR-Schicksal. "Sie wissen sicher, daß mich die Seelenlage, daß mich das Schicksal der Menschen drüben in dem anderen Deutschland eigentlich interessiert hat, seit ich schreibe, mindestens seit 1954, seit dem Roman ‘Die Studenten von Berlin’, der ja zu großen Teilen drüben spielt. Habe ja nie abgelassen, mich um die Sache der Menschen, die drüben leben, zu kümmern. Ich habe mich immer um die Menschen zu kümmern versucht, bin bei der Sache geblieben, habe gelesen, Menschen gesprochen. Aus verschiedenen Milieus. Ich hatte ja auch mit der Nomenklatura zu tun. Natürlich wollte ich wissen, wie es ihnen nach der Wende erging."

    Dieter Meichsner, der übrigens perfekt sächseln kann, hat Dokumentarfilme über den anderen Teil Deutschlands gedreht, Hörspiele geschrieben, bei vielen Folgen seiner Wirtschaftskrimiserie "Schwarz-Rot-Gold" kommen die Schurken aus dem Osten. Und als er für seinen letzten Spielfilm "Imken, Anna und Maria" im Erzgebirge recherchierte, traf er das Vorbild für Richard Hähnelt. Einen Ingenieur eines metallverarbeitenden Betriebs der Ex-DDR, der aus dem Nähkästchen plauderte. Der ihm von Tricks, Schiebereien und Transaktionen erzählte. Und wie Ost- und Westgeschäftemacher eine ganze Region unter ihren Einfluß bringen. Das konnte Meichsner zwar nicht für sein Fernsehspiel, aber gut für seinen geplanten Roman verwenden. "Und dann habe ich mich, als dann die dicken Bände des Schalck-Golodkowski Untersuchungsausschusses herauskamen, die ich gründlich gelesen habe, eigentlich gewundert, daß der Gegenstand eigentlich auch bei professionellen Journalisten in der BRD kaum je behandelt wurde. Ich hätte wahrscheinlich das Buch nicht geschrieben, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, der Inhalt sei weithin bekannt. Er liegt vor, aber er ist nicht bekannt. In einem zweiten Untersuchungsausschuss - der Bericht wird im Sommer erwartet - wird noch einmal aufgeräumt. Und im übrigen - zu meiner großen Erleichterung - wird also mein Roman nach allen Seiten hin durch diesen Bericht abgefedert. Also, da ist schon Übles passiert."

    Im Roman, der nur angeblich und aus juristischen Gründen keine Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit aufweist, merkt Held Hähnelt schnell, daß die, unter denen er sich früher ducken mußte, schon wieder zu den Gewinnern gehören. Jetzt haben sie schnell das Fähnchen gewechselt, das Feindbild auch. Aber da kommt wie der Engel des Herren, der dem Bösen nicht das ganze Feld überlassen will, ein Agent des Bundeswirtschaftsministeriums. Der bittet Hähnelt um Mitarbeit. Der Agent ist ein höflicher, diskreter Mann, der den Ossi zu Beginn darüber aufklärt, was Wessis von der Wiedervereinigung halten.

    Es heißt, die Einheit war der große Augenblick für alle Glücksritter und Ganoven. Und es gab nie wieder die Gelegenheit, so viele gutgläubige Leute über den Tisch zu ziehen. Dieter Meichsner zeigt, wie das für ein paar Leute drüben konkret aussah, und daß das Gute trotzdem immer eine Chance hat.