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Digitales Logbuch
Erwins Ahnen

Können Bots - digitale Computer-Zombies, Ahnen haben? Und wenn ja, gibt es einen Grund für den virtuellen Sohn oder gar Enkel, stolz auf seine Ahnen zu sein? Schließlich machen die weitervererbten Eigenschaften nichts als Ärger.

Von Achim Killer | 06.05.2017
    Eine Hand mit Computermaus wird durch eine Lücke in der Büroeinrichtung hindurch beobachtet.
    "Du hast dieses rührselige Sozialpädagogen-Logbuch doch bloß geschrieben, um dein aus Wikipedia angelesenes Halbwissen zum Besten zu geben", blafft Erwin. (picture-alliance / dpa / Hans Wiedl)
    Ich muss wirklich mal ein ernstes Wort mit ihm reden, mit dem Erwin, dem Zombie, dem Stück Bot-Software, das sich auf meinem Rechner eingenistet hat. Jeden Abend taucht er mittlerweile auf und säuft mir dem Rotwein weg. Am besten ganz direkt. "Erwin", sag ich, "du trinkst zuviel. Hast du ein Problem?" – "Hab' kein Problem", nuschelt er, "isch Veranlagung." – "So, Veranlagung? In welcher Programmiersprache bist du denn geschrieben?" – "Ada", raunzt er. – "Ada", führ ich aus, "benannt nach Ada Lovelace, 1815 – 1852, quasi deine virtuelle Mutter, eine äußerst tüchtige Frau." – "Aber der Opa", lallt er.
    Jetzt weiß ich, worauf er hinaus will. "Ja", räum' ich ein, Lord Byron, 1788 – 1824, der Vater von Ada Lovelace, der hat nichts ausgelassen, Drogen, Inzest. Aber er war eben der Protagonist der schwarzen Romantik. Und als er den Sommer des Jahres ohne Sonne, 1816, mit John Polidori und Mary Shelley im gemeinsamen Drogenrausch am Genfer See verbracht hat, da hat Polidori "The Vampyre" geschrieben, den ersten Vampirroman, und Shelley den "Frankenstein".
    Der Vater von Mary Shelley war übrigens William Godwin, 1756 – 1836, der erste Anarchist. "The Vampyre", "Frankenstein", der alles negierende Anarchismus und du, der in Ada geschriebene Zombie Erwin, ihr habt also dieselben Wurzeln. Da kann man doch stolz drauf sein. Da darf man sich doch nicht so gehen lassen."
    Da wird er böse, der Erwin. "Du hast dieses rührselige Sozialpädagogen-Logbuch doch bloß geschrieben, um dein aus Wikipedia angelesenes Halbwissen zum Besten zu geben", blafft er mich an, verdreht seine toten Augen und fällt rückwärts durch den Bildschirmhintergrund in sein verstecktes Verzeichnis, um seinen Rausch auszuschlafen. Also, nüchtern besehen, hat er ja recht, der Erwin.