Wenn der Mensch die Sau rauslässt, bedeutet das im ursprünglichen Sinn, dass er beim Schafkopfen die Schelln-Ass spielt, genannt: die Sau. Auf der Spielkarte ist ein Wildschwein abgebildet, schön erdig, derb, wie der Mensch eben auch, wenn er die Sau rauslässt. Zum Beispiel bei einem Fußballtor oder einem Death-Metal-Konzert.
Im zivilisierten Umgang, wo sich gute Manieren von selbst verstehen, gilt es als unangebracht, etwa in der Oper vor lauter Begeisterung über eine Verdi-Arie die Arme nach oben zu werfen, dem Sitznachbarn die Achseln zeigen, so, als wäre man der Einzige, den die Arie so bestialisch tief entzückt.
Denken wir an die emotional tief schürfenden Konzerte von Udo Jürgens oder Andrea Berg. Wie schön ist es, wenn die Menschen im Publikum, bewegt wie sie nun einmal sind, still in sich hineinfühlen.
Es kann sein, dass diese schöne Zeit jetzt vorbei ist. Denn kaum betritt heute Peter Maffay oder Lana Del Ray die Bühne, stehen all die Sekretärinnen und Biologielehrer schlagartig auf, werfen die Arme hoch. Sie schweigen, wie immer. Aber ihre Arme beginnen, ein spitzes, gleichschenkliges Dreieck zu formen, das sich gen Himmel reckt, und setzen dem Dreieck auf seine Spitze ein Krönchen auf, nämlich ihr Smartphone.
Die moderne Technik stellt uns vor einen Bewertungskonflikt. Sind das nun Affen oder nicht? Geziemt es sich, die Arme steil nach oben zu recken, als würde man die Sau rauslassen?
Ja, sagen wir. Diese Menschen sind innerlich digital. Sie riechen nicht. Sie filmen und sie fotografieren digital, sind also allenfalls digitale Piraten, vielleicht etwas degeneriert, weil sie sich nichts mehr merken können, also alles filmen müssen. Ein Lichtermeer an Smartphonebildschirmen. Mit rausgelassenen Säuen hat das nichts zu tun. Die Sau lassen sie schön drinnen. Vielleicht haben sie gar keine mehr.