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Digitales Logbuch
Tagebuch aus Seoul

Von Michael Stang | 13.06.2015
    Seoul, Südkorea, Take 1: Ankunft in der Innenstadt. Finde im Stadtteil Gangnam mein Hotel nicht. Frage ein junges Pärchen, zwei koreanische Digital Natives, die auf ihren Geräten spielen. Zeige ihnen meinen international beschrifteten Stadtplan auf Papier. Einen Plan auf Papier können sie nicht lesen, denn ihnen fehlt der pulsierende blaue Punkt, der unsere aktuelle Position angibt. Auf ihren Smartphones geht es. Fünf Straßen, dann links, danke.
    Seoul, Take 2: Der Laden neben dem Hotel wird entmüllt, ein Internetcafé wird durch die nächste Ballerbude für Browserspiele ersetzt. Im Müllcontainer landen viele mit martialischen Figuren geschmückte Plastikrückwände von Handys, die niemand mehr haben will. Heute hat man andere Fantasyikonen. Sie sehen für mich alle gleich aus.
    Seoul, Take 3: Nirgends Konkurrenz zu Samsung zu sehen, weder Blackberrys noch Appleprodukte. Dafür Phablets. Die persönlichen, typbezogenen Hüllen erscheinen auf diesen großen Smartphones besonders schrill. Viele koreanische Frauen kleben klobige Schmucksteine auf die Covers auf. Ich sehe ein Plakat mit einer Einladung zu einer "Silent-Party", einer Party des Schweigens. Dabei schweigen die jungen Koreaner sowieso, wie sie, in ihre Smartphones vertieft, durch die Straßen ziehen, niemand redet.
    Seoul, Take 4: Habe Hunger. Bibimbap mit Kimchi geht in der Schnellküche klar, ich muss nur darauf zeigen. Aber es braucht akrobatische Verrenkungen, um per Zeichensprache zu vermitteln: Ich würde während des Essens gern mein Smartphone aufladen, habe aber kein Kabel dabei. Ach so! Kein Problem, das ist Standardservice. Hier das Kabel, hier die Steckdose, guten Appetit!
    Seoul, Take 5: Bin zur Recherche zur Virusepedemie MERS hier. An jeder Ecke gibt es Atemmasken zu kaufen gibt. In den Facebooks und Twitters posten koreanische Popstars Selfies mit solchen Masken. Vor der katholischen Kirche in einer Nebenstraße eine Hochzeitsgesellschaft. Großes Aufgebot zum Fotoshooting. Alle tragen Atemmasken, auch die Braut.
    Seoul, Take 6: Feierabend. Das Free Wi-Fi Korea im Hostel schmeißt mich andauernd raus. Ich gehe zur Schweigeparty. Vielleicht lassen sie mich rein, mit meinem uralten, leider völlig schmucklosen, unverzierten Galaxy SII - immerhin ein Samsung.