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Digitalisiertes Börsengeschäft
Die Macht der Algorithmen

Ist von der Börse die Rede, kommt vielen noch das geschäftige Treiben telefonierender und rufender Händler in den Sinn. Doch das ist Geschichte. Heute bestimmt der Computerhandel das Bild. Transaktionen werden weltweit in Bruchteilen von Sekunden vorgenommen. Das birgt viele Risiken.

Von Samir Ibrahim | 27.10.2014
    Eine Anzeigetafel mit Börsenwerten.
    Der Aktienhandel verlagert sich immer mehr in die virtuelle Welt. (picture alliance / dpa / Foto: Ritchie B. Tongo)
    Die Rufe der Händler, die Glocke - so klang das noch vor wenigen Jahren auf dem Frankfurter Börsenparkett. Händler rannten umher, hielten Orderbücher hoch, schrien sich gegenseitig Kauf- und Verkaufsorders zu.
    "Es galt ja damals das gesprochene Wort, da hat sich auch jeder auf dem Parkett dran gehalten. Und das hieß von Dir oder an Dich. Und damit war ein Geschäft perfekt gemacht". Fidel Helmer, dienstältester Händler des Bankhauses Hauk und Auffhäuser, und mit 67 Jahren so etwas wie das Urgestein auf dem Frankfurter Parkett, erinnert sich. Damals, ohne Computer, endete der Handel früh. An Parkettzeiten wie heute, von morgens um acht bis abends 20 Uhr, war gar nicht zu denken.: "Damals war der Börsenhandel von halb 12 bis halb zwei. Aber technische Unterstützung gab´s natürlich fast überhaupt keine, es gab damals ein Telex, also ein Fernschreiber. Und es gab Telefone. Vor dreißig Jahren, da bewegten sich noch hundert verschiedene Banken und die Händler und das Hilfspersonal von hundert verschiedenen Banken auf dem Parkett. Also hier kamen täglich bis zu fünfzehnhundert Leute in den Börsensaal."
    Blick ins Parkett der Frankfurter Börse
    Auf dem Parkett der Frankfurter Börse wird es langsam leer. Nicht mehr die Händler dort prägen das Geschäft. (AP)
    Heute sind es weniger als einhundert. Die Computer bestimmen das Geschäft. Geredet wird selten, ab und zu beraten sich Händler mit leiser Stimme, tauschen sich über einzelne Kurse aus. Ansonsten schaut jeder auf seine Bildschirme. Vier bis sechs davon hat jeder Händler vor sich. Nachrichten laufen dort ein, Kurse werden angezeigt, elektronische Oderbücher aufgeschlagen. Die Händler heißen eigentlich auch nicht mehr Händler, sondern "Xetra-Spezialisten". Benannt nach dem elektronischen Handelssystem der Deutschen Börse, das seit 1997 in Betrieb ist.
    Das System hat, sagt Robert Halver, Chefstratege der Baader Bank, seine Vor- und Nachteile: "Xetra ist ein modernes System, das ist schon sehr hilfreich, keine Frage. Es geht aber darum, dass man sagen muss, früher hat man sehr viel Geld damit verdient, indem man nur gehandelt hat. Nur der Handel an sich. Heute geht es darum, dass man mit eigenen Positionen Geld verdient, weil das kann man sagen: der Handel in Form von Aktien ist verdammt günstig geworden."
    Der Marktanalyst Robert Halver von der Baader Bank steht am 16.10.2014 in Frankfurt am Main (Hessen) im Handelssaal der Börse vor der Anzeigetafel für den DAX und schlägt die Hand vor den Mund.
    Robert Halver sieht Vor- und Nachteile der elektronischen Börsen. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Technik mit Tücken
    Gut für den Kunden. Doch die Technik hat ihre Tücken. So verlor der Deutsche Aktienindex DAX beispielsweise vor wenigen Wochen binnen Minuten mehr als 200 Punkte. Milliarden an Aktienwerten wurden dadurch in kürzester Zeit vernichtet. Was war passiert? An einem Freitag erreichten schlechte Konjunkturdaten die Händler auf dem Frankfurter Parkett und trafen auf einen ohnehin nervösen Markt. Die Krise in der Ukraine, der Vormarsch der IS-Miliz in Irak und Syrien, die schwächelnde Konjunktur in China – all das hat die Börsen bis heute im Griff. Kaum gingen dann die Daten aus den USA ein, verlor der DAX binnen Minuten mehr als 250 Punkte. Umgerechnet zweieinhalb Prozent.
    Das wäre vermutlich nicht passiert, wenn es diese Situation vor 30 Jahren gegeben hätte. Als noch Händler die Kurse ganz alleine machten. Diesmal griffen die Computer ein, sagt Aktienhändler Carsten Sommerfeld: "Die Börsenteilnehmer kriegen hier eben die Nachrichten alle gleichzeitig, und in diesem Moment greifen einige Stop-Loss-Orders, das sind eben Orders die sich selbst beschleunigen, oder auch Computerprogramme die tendenzverstärkend wirken und das hat eben zur Folge, dass die Kurse stärker fallen, als es eben in normalen Marktsituationen der Fall wäre."
    Chancen und Risiken des Hochfrequenzhandels
    Diese Stop-Loss Orders sind Verkaufsaufträge, die schon lange vor einem möglichen Kursrutsch eingestellt werden können. Der Computer bekommt dann den Auftrag, Aktien zu verkaufen, wenn ein bestimmter Wert unterschritten wird. Problematisch wird es allerdings dann, wenn ein Kursrutsch kommt, der so nicht vorhersehbar war. Ein Händler würde dann möglicherweise einschreiten, die Lage abwägen und sogar nachkaufen, weil die eingegangenen Daten bei näherer Betrachtung einen Verkauf gar nicht rechtfertigen. Der Computer tut das nicht. Er verkauft einfach.
    Bestes Beispiel: US-Arbeitsmarktdaten. Wenn die Zahl der Arbeitslosen steigt, löst das in der Regel Verkäufe aus. Wenn Sekunden später gemeldet wird, dass gleichzeitig mehr Jobs geschaffen wurden, dann sieht der Mensch, dass die Lage so verfahren gar nicht ist. Der Computer hat in diesen wenigen Sekunden schon gehandelt und es ist zu spät. Auf diesem Weg fungiert eine Einrichtung, die Sicherheit bringen soll, ungeplant als Beschleuniger. In einem anderen Fall sorgen Börse und Handelshäuser selbst für Ärger. Weil die Akteure an den Finanzmärkten immer auf der Suche nach dem größtmöglichen Gewinn sind, wurde der sogenannte Hochfrequenzhandel erfunden.
    Dieser extrem schnelle Computerhandel birgt Chancen und Risiken zugleich. Er gehört vor allem aber auch zu den kompliziertesten Formen des Börsenhandels. Die Politik hat ihn inzwischen als potentielle Gefahr ausgemacht. Denn der Mensch kann den Turbohandel nur mit großem Aufwand kontrollieren – er ist einfach ZU schnell. Verwerfungen an den Börsen können – wenn es schief geht – durch den superschnellen Handel beschleunigt werden – bis hin zum Börsencrash.
    Es wird in 1000stel Sekunden gerechnet
    Der Börsenhändler und Buchautor Dirk Müller, geht mit dieser Art des Handels hart ins Gericht: "Der Hochfrequenzhandel wird von Computern automatisiert gemacht, hier werden Aufträge, Käufe und Verkäufe innerhalb von Milli- oder sogar Nanosekunden ausgeführt. In einer solchen Geschwindigkeit, die hat mit der realen Wirtschaft überhaupt nichts zu tun, für die Börsen ist das völlig überflüssig."
    Um nachzuvollziehen, wie schnell dieser Handel läuft, bietet sich ein kleiner Versuch an. Dieser Ton ist exakt eine Sekunde lang gewesen. Eine Zehntelsekunde dauert so lange. (Anmerkung der Redaktion: in der Audiofassung sind beide Töne zu hören) Im Hochfrequenzhandel wird allerdings in 1000stel Sekunden gerechnet. Zum Vergleich: Der Wimpernschlag eines Menschen dauert etwa 100 tausendstel Sekunden. In dieser Zeit können im Hochfrequenzhandel derzeit etwa 25 tausend Handelsaufträge, sogenannte Orders ausgeführt werden. In nicht allzu ferner Zukunft werden es wohl 40 tausend Aufträge in der gleichen Zeit sein. Das kann ein Mensch natürlich nicht mehr leisten. Normale Computer auch nicht. Man benötigt Hochleistungsrechner, die nur für wenige erschwinglich sind. Dazu Leitungen, über die ein Maximum an Daten übertragen werden kann.
    Kritiker Rudolf Hickel
    Der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel von der Universität Bremen hat sich intensiv mit dem Hochfrequenzhandel befasst und steht ihm durchaus kritisch gegenüber.
    Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Rudolf Hickel spricht am Mittwoch (28.09.2011) auf dem Landesparteitag der SPD in Bremen.
    Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel ist ein profilierter Kritiker des Hochfrequenzhandels (dpa / picture-alliance / Ingo Wagner)
    Klassische Anleger, selbst Profis, werden nach Hickels Meinung ausgebootet. Mit Folgen für alle, die von Investitionen am Aktienmarkt abhängig sind. Und das ist im Grunde jeder mit einer Lebensversicherung oder einer Privatrente bei einer Versicherung oder einem Fonds. Denn auch deren Vermögen wird an der Börse verdient: "Die Profitabilität der Hochfrequenzhändler hat einen einzigen Grund: sie sind schneller. Und es ist natürlich klar, wenn die jetzt beispielsweise eine Aktie nach oben treiben, und ein Pensionsfonds, also die langsamer handelnden, für 5,10 Euro diese Aktie kauft, dann besorgt diese Aktie der Hochfrequenzhändler für 5,09 und er hat einen Cent Gewinn. Jetzt werden unsere Zuhörerinnen und Zuhörer fragen, ja ein Cent, da kann ja keine große Profitabilität daraus entstehen. Entscheidend ist: diese Millionenaufträge, diese unglaublichen, in Millisekunden durchgegebenen riesigen Aufträge. Und der Profit wird weniger gemacht durch den Gewinn pro Aktie, in unserem Fall ein Cent, sondern der Profit wird gemacht durch eine massive Menge, durch eine unglaubliche Menge Transaktionsvolumen."
    Hochfrequenzhändler siedeln sich gerne in der Nähe der Großrechner der Börsen an. Damit sind sie noch schneller. "Normale" Händler sitzen dagegen mit ihrer vergleichsweise begrenzten Technik dort, wo ihr Büro liegt oder auch das Handelshaus steht. Einer dieser normalen Händler ist Carsten Sommerfeld. Sein Arbeitsplatz liegt direkt auf dem Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse. Er ist also durchaus dicht dran, näher geht nicht. Der Mann ist leitender Händler des Handelshauses Tradegate, auch er arbeitet mit dem Computer, auf der Handelsplattform der Deutschen Börse, dem Xetra-System. Dort laufen auch die Aufträge der Hochfrequenzhändler ein. Sie werden im sogenannten Orderbuch verzeichnet, wo sämtliche Kauf- oder Verkaufsaufträge, die an der Börse abgegeben werden, zusammengeführt werden.
    Order in einer Sekunde - und doch zu langsam
    Sommerfeld gehört zu den sehr schnellen Brokern. Für eine Order braucht er, wenn er gut ist, wie er sagt, etwa eine Sekunde. Gegen die Turbohändler hat aber auch er keine Chance, wie er sagt: "Hochfrequenzhändler schicken im Nanosekundenbereich Kauf- und Verkaufsorders. Sie versuchen halt, den schnellen Markt für sich zu nutzen oder aber auch den Markt auszutesten durch ihre Orders – um zu sehen, was für ein kommerzielles Interesse im Markt vorhanden ist. Und wenn ein professioneller normaler Händler sich zum Beispiel auf Xetra die Geldseiten anschaut, die ersten zehn sind für den Händler sichtbar, dann kann er diese gar nicht mehr alle hitten. Weil sobald seine Verkaufsorder die erste oder zweite Order getroffen hat, ist eben dieser Hochfrequenzhändler bei der dritten vierten oder sechsten Position gar nicht mehr da."
    Mittelklasse gegen Formel-eins
    Man kann die Situation gut vergleichen: Der klassische Börsenhändler sitzt im Mittelklassewagen, der eine Strecke von 50 Kilometern fahren soll, der Hochfrequenzhändler für die gleiche Strecke im Formel 1-Rennwagen. Das Ungleichgewicht liegt auf der Hand. Klar ist: der Hochfrequenzhandel macht allein für die Deutsche Börse 40 bis 50 Prozent des Umsatzes im Wertpapierhandel aus. In den USA ist der Anteil noch höher. Da ist es verständlich, dass die Börsen ein reges Interesse am Erhalt dieser Kundschaft haben. Die Deutsche Börse kann dabei noch nicht einmal genau sagen, wie viele Hochfrequenzhändler sie auf ihren Plattformen hat. Eine Übersicht hat sie nicht. Experten schätzen, es könnten so etwa 20 Großkunden sein.
    Die Straßenschilder mit der Aufschrift "Wall Street" und "Broadway" in New York (USA), aufgenommen am 08.03.2014.
    An der New Yorker Wall Street ist der Anteil des Hochfrequenzhandels noch einmal höher als in Frankfurt. (picture alliance / dpa / Felix Hörhager)
    Die deutsche Börse hat keine Wahl
    Für die Deutsche Börse ist der Handel lukrativ. Und sie hat eigentlich auch keine andere Wahl. Die Technik ist vorhanden, also wird sie auch genutzt. Weltweit! Und so steht die Deutsche Börse selbst in einem schweren Konkurrenzkampf mit privaten Handelsplattformen und den großen Börsen rund um den Globus, von London, über New York bis nach Hongkong, Tokio oder Singapur. Halten kann sie sich nur, wenn sie das beste Angebot hat. Für Große Banken und Handelshäuser, die über das Geld verfügen, sich die nötige Technik anzuschaffen, ist der Hochfrequenzhandel ein lohnendes Geschäft, auf das sie nicht verzichten wollen.
    Zu spüren bekommt das unter anderen Thomas Richter. Er ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Investment, kurz BVI. Dort sind die Fonds in Deutschland unter einem Dach vereint, um ihre Interessen zu vertreten. Zwischen ihnen und den Hochfrequenzhändlern, sagt Richter, liegen Welten: "Weil wir, anders als die Hochfrequenzhändler, wirklich investieren. Wir kaufen die Aktien, wir halten die Aktie, und wir verkaufen sie wieder. Der Hochfrequenzhändler hingegen kauft und verkauft die Aktien in einer Sekunde, in Bruchteilen von einer Sekunde. Das heißt, er hat kein echtes, reales Interesse an einer Investition in ein reales Unternehmen, sondern nur an minimalen Preisdifferenzen, die er zu seinem Vorteil erzielen kann. Ein Hochfrequenzhändler ist nach unserer Ansicht ein Händler, der in erster Linie aus dem Tempo seines Handels und nicht aus einer Einschätzung über das Investment, seinen Profit zieht."
    Fest steht, es gibt inzwischen eine Börse der zwei Geschwindigkeiten. Auf europäischer Ebene will man dem ein Stück weit entgegen treten. Der Handel soll – wenigstens ein bisschen – entschleunigt werden. Der Hochfrequenzhändler könnte also per Gesetz gezwungen werden, den ganz schnellen Handel zu verlangsamen. Eine Order würde dann eingestellt werden, dürfte aber nicht sofort wieder gelöscht werden.
    Was bringen Mindesthaltefristen?
    Das europäische Parlament, das sich mit dieser Frage ausführlich befasst hat, schlägt eine Mindesthaltefrist von einer halben Sekunde vor. Das hört sich wenig an, ist in der Welt der Millisekunden des Hochgeschwindigkeitshandels aber eine kleine Ewigkeit.
    Im EU-Parlament in Straßburg stimmten 535 Abgeordnete zu, 127 Parlamentarier sprachen sich dagegen aus, 35 enthielten sich. Die Abstimmungen wurden zwischen den beiden Parlamenten live per Video übertragen.
    Das Europa-Parlament sucht nach einem Weg, den Hochfrequenzhandel zu beschränken. (picture alliance / dpa / EPA / PATRICK SEEGER)
    Der Chef des Investmentverbandes, Thomas Richter, wäre für diesen Vorschlag sehr zu haben. Es würde die Arbeit seiner Mitglieder deutlich erleichtern und hätte seiner Meinung nach einen wünschenswerten Nebeneffekt. Richter sagt: "Wenn eine Order einen gewissen Zeitraum, sagen wir zum Beispiel eine halbe Sekunde, im Orderbuch steht, dann ist auch da die Gefahr gegeben – aus Sicht des Hochfrequenzhändlers die Gefahr, wir halten das ja für normal - dass diese Order plötzlich bedient wird. Das also eine andere gegenstehende Order auf diese Order matcht. Und das würde dann wieder bedeuten, dass dieser Händler tatsächlich Liquidität bereitstellen muss und tatsächlich in diese Aktie investiert, beziehungsweise sie verkaufen muss. Und das würde natürlich im Hochfrequenzhandel Scheingeschäfte in einem gewissen Ausmaß unterbinden."
    Die Globalisierung der Finanzmärkte
    Für die Kritiker des Börsenhandels hat diese Idee einen gewissen Charme; den Verantwortlichen bei der Deutschen Börse jagt sie kalte Schauer über den Rücken. Denn sie müssen zusehen, wie sie das umsetzen – und hier beginnen die Probleme. Einer der langjährigen Verantwortlichen für den Xetra-Handel, also den Computerhandel der Deutschen Börse, ist Rainer Riess. Er hält von der Idee gar nichts: "Erst mal muss man fragen, was ist das Ziel. Verlangsamung oder Beschleunigung an sich ist kein Ziel. Wir wollen sichere, faire und integere Märkte. Und insofern ist für uns wichtig, dass man das mit gesetzlichen Regelungen auch sicherstellt. Bei der Mindesthaltefrist ist ehrlich gesagt uns weder das Ziel klar noch wie man das in der Praxis umsetzen will. Es gibt international an keiner Börse derartige Mindesthaltefristen. Insofern ist bisher auch ein Detailkonzept, wie genau so etwas funktionieren könnte, mir nicht bekannt."
    Das Problem ist eben, der Börsenhandel beschränkt sich nicht auf Deutschland, er läuft global. Wie aber bringt man einen ausländischen Investor, der zwar an der Deutschen Börse handeln will, sich aber mit Gesetzen konfrontiert sieht, die es sonst nirgendwo gibt, dazu, hier weiter zu handeln – statt auszuweichen?
    Auch die deutsche Politik ist gefragt
    Es ist eine der Fragen, die sich auch die deutsche Politik stellt. Über Gesetze, den Hochfrequenzhandel einzudämmen, wird seit Jahren debattiert. Im Frühjahr 2013 hat der Bundestag zwar ein Gesetz zur Regelung des Hochfrequenzhandels beschlossen, das sieht aber lediglich einige Regelungen zur Organisation vor. Und eine Erlaubnis, diese Handelsform in Deutschland überhaupt zu nutzen. Die Diskussion um Sinn oder Unsinn dieser Technologie ist damit noch lange nicht beendet. Und auch gesetzliche Regeln, die eine Chancengleichheit zwischen "normalen" und Hochfrequenzhändlern herstellen würden, liegen noch in weiter Ferne. Die Gefahr, die Fachleute potentiell im Turboaktienhandel sehen ist der Absturz ganzer Börsen. Der Umstand, dass nicht Menschen, sondern Computer mit vorher festgelegten Handelsabläufen, Aktien kaufen oder verkaufen, birgt ein Risiko. Denn wenn es beispielsweise zu einem Kursrutsch kommt, dann könnte der superschnelle Computerhandel diese Bewegung noch beschleunigen.
    Genau das, sagt der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel, ist auch bereits geschehen: "Wir haben schon mehrere Crashs gehabt, aufgrund des Hochfrequenzhandels. Der berühmteste ist der vom 6. Mai 2010. Da sind, bei diesem Flash-Crash an der Börse in New York die Kurse innerhalb von 15 Minuten massiv abgestürzt und allen war klar: das hat nichts zu tun mit einem Handel, mit Angebot und Nachfrage, sondern es war einfach eine Fehlereinstellung im Algorithmus, der dann zu dieser beschleunigten Fehlentwicklung geführt hat."
    Beinahe-Crashs bisher nur in den USA
    Aber: auch Kritiker des Turbohandels müssen eingestehen, dass Beinahe-Crashs, die durch den Hochfrequenzhandel beschleunigt wurden, bisher nur in den USA aufgetreten sind. Anders sieht es hierzulande aus: Es gibt weltweit kaum eine Börse, die derart gegen Abstürze abgesichert ist wie die Deutsche. Das geben sogar Kritiker zu. Gleich sieben Schutzmechanismen kann Miroslav Budimir aufzählen. Er ist bei der Deutschen Börse unter anderem für die Hochfrequenzhändler zuständig. Auf einen dieser Mechanismen ist er besonders stolz.
    Ansicht der DAX-Kurve auf der Anzeigetafel der Börse
    Die Börse in Frankfurt versucht Auswüchse des Turbohandels mit technischen Mitteln einzugrenzen. (dpa / Frank Rumpenhorst)
    Denn die Deutsche Börse ist sehr wohl dazu in der Lage, den Handel zu entschleunigen – und zwar mithilfe eines Programms, das den Datendurchfluss für die Computerleitungen der angeschlossenen Handelshäuser begrenzen kann. Budimir erklärt: "Jede technische Leitung unserer Teilnehmer beinhaltet einen solchen Drosselmechanismus – und wenn wir sehen, dass uns zu viele Aufträge von diesem Teilnehmer erreichen, dann sind wir in der Lage, den Datendurchsatz künstlich zu reduzieren. Das kann man ganz gut vergleichen mit einer fünfspurigen Autobahn. Wenn man sieht, dass es Schwierigkeiten gibt, kann man einzelne Spuren dieser Autobahn sperren. Das machen wir auch. Wir sperren zunächst eine Spur, dann die zweite und im Extremfall kann es sogar sein das wir alle Spuren der Autobahn sperren, so dass uns entsprechende Aufträge eines Händlers nicht mehr erreichen."
    Elektronische Waffengleichheit
    Da hier Computerprogramm quasi gegen Computerprogramm antritt, ist sozusagen Waffengleichheit gegeben. Von ihrem Recht, den Handel einzelner Teilnehmer zwangsweise zu begrenzen oder zu stoppen, macht die Börse auch Gebrauch. Zwei- bis dreimal im Jahr kommt es nach Angaben der Deutschen Börse vor, dass das System automatisch eingreift. Der Vorgang werde anschließend untersucht – und meist stelle sich heraus, dass fehlerhafte Eingaben beim Handelshaus für massenhafte Orders verantwortlich sind.
    Die Börse unterstellt ihren "Turbo-Kunden" deshalb zunächst auch keine böse Absicht. Andere tun das aber durchaus: Es ist die Art des Handels, die Kritiker und Befürworter so unversöhnlich gegenüber stehen lässt. Der Börsenhändler Carsten Sommerfeld, der sich täglich auf dem Frankfurter Parkett mit den Computern der Gegenseite messen muss, bringt die Stimmung auf den Punkt: "Man kann es Zweiklassengesellschaft nennen. Die Hochfrequenzhändler sind halt immer bevorteilt insofern, als dass sie immer viel schneller agieren können als professionelle Teilnehmer oder auch Kleinanleger und dementsprechend echte Orders oder echtes Interesse, was im Markt vorhanden ist, diesen anderen Händlertypen eben wegnehmen. Und von daher sind diese Händlertypen eben benachteiligt."
    An diesem Unterschied wird sich allerdings nichts mehr ändern. Die Zeiten, in denen Händler wie Fidel Helmer gleichberechtigt auf dem Parkett beieinander standen und die Kurse durch Zuruf bestimmten, sind ein für alle Mal vorbei.