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Digitalisierung an Schulen
"Jede Schwarz- oder Weißmalerei ist da fehl am Platz"

"Computer und Tablets haben sehr wohl etwas im Unterricht zu suchen - aber es kommt eben drauf an, was man damit macht", so der Medienwissenschaftler Markus Appel im Dlf. Die Frage nach deren Einfluss im Klassenzimmer dürfe nicht einseitig beantwortet werden - das verschleiere die Herausforderungen.

Markus Appel im Gespräch mit Arndt Reuning | 08.03.2018
    Mit einem speziellen Tablet arbeitet am 20.02.2015 ein Schüler am "Tag des digitalen Lernens" am Ökumenischen Domgymnasium in Magdeburg (Sachsen-Anhalt).
    Was sollen Kinder mit dem Tablet oder dem Computer lernen? Diese Frage sollte vor dem Unterricht mit digitalen Medien stehen (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Arndt Reuning: Die zukünftige Staatsministerin Dorothee Bär macht sich dafür stark, dass bereits Kinder in der Grundschule programmieren lernen. Sie fordert außerdem eine stärkere Digitalisierung der Schulen. Dass das tatsächlich sinnvoll ist, bezweifelt der Buchautor und Hochschullehrer Manfred Spitzer, Professor an der Universität Ulm. Heute Morgen gab er dazu ein Interview hier im Deutschlandfunk.
    Eine Generation von - Zitat - "Behinderten durch die Verwendung von Computern im Schulunterricht". Smartphones seien bei Kindern verantwortlich für die Entstehung von Kurzsichtigkeit, Diabetes, Schlafstörungen und Depressionen, heißt es weiter in dem Interview. Das hat doch zu einer Reihe von kritischen Kommentaren in den sozialen Netzwerken geführt. Deshalb möchte ich nun nachhaken bei dem Medienpsychologen Markus Appel, Professor an der Universität Würzburg. Herr Professor Appel, teilen Sie denn die Ansichten von Manfred Spitzer, dass Computer, Tablets und Smartphones im Schulunterricht nichts zu suchen haben?
    Markus Appel: Diese Ansichten teile ich nicht. Ich denke, dass Computer und Tablets et cetera sehr wohl etwas im Unterricht zu suchen haben, aber es kommt eben drauf an, was man damit macht. Das heißt, Tablets alleine, Computer alleine, die erbringen sicherlich keine positiven Wirkungen, keine Lernwirkungen.
    "Was sind die Lerninhalte, was das Konzept dahinter?"
    Moderator: Wie stellt sich denn die Studienlage im Moment dar? Was weiß man über den Einfluss, den digitale Medien auf den Lernerfolg von Kindern und Jugendlichen haben, positiv oder eben negativ?
    Appel: Ich denke, jede Schwarz- oder Weißmalerei ist da fehl am Platz. Man muss da wirklich sachlich anschauen, was sollen denn Kinder eigentlich mit dem Tablet oder mit dem Computer lernen. Was sind die Lerninhalte, was ist das didaktische Konzept dahinter, und wenn es ein didaktisches Konzept gibt und das durchdacht ist und von den Pädagogen auch umgesetzt werden kann, dann zeigen die Studien durchweg positive Ergebnisse. Wenn allerdings das nicht erfolgt, dann ist die Tendenz eher dazu, dass vielleicht viel Zeit mit eben lernunwirksamen Dingen verbracht wird.
    Reuning: Also kein Schwarzweiß. Wie sieht es aus mit den gesundheitlichen Wirkungen? Gibt es Belege dafür, dass der Gebrauch von Smartphones körperliche Symptome und Krankheiten verursacht wie etwa Diabetes und Kurzsichtigkeit?
    Appel: Ich denke, hier ist vielmehr Forschung auch noch notwendig. Generell sind die Befunde, die vorliegen, im Allgemeinen kleiner als man das denken würde oder als manchmal behauptet wird. Das heißt, es gibt natürlich ganz viele Einflussfaktoren bei diesen gesundheitlichen Variablen zum Beispiel. Ich denke, einen Bereich, den man auch im Kontext Schule und für sich selbst sehen kann und wo es doch Evidenzen gibt, ist das des Schlafes. Das heißt, da wäre es wichtig, noch mehr Forschung zu betreiben, aber auch vielleicht als Eltern darauf hinzuweisen, dass eben Bildschirmmedien kurz vor dem Schlafengehen typischerweise den Schlaf verschlechtern und auch das Einschlafen verzögern.
    "Exakte Zahlen mit Vorsicht zu genießen"
    Reuning: Halten Sie denn vor diesem Hintergrund die Argumentationslinie von Manfred Spitzer überhaupt für seriös?
    Appel: Eine solche Argumentationslinie ist weit ab vom wissenschaftlichen Mainstream, würde ich sagen. Also die ist ganz extrem, und in dieser Nichtausgewogenheit spiegelt die in keinem Fall den wissenschaftlichen Forschungsstand wider. Das heißt, solche Sachen hört man auch nicht auf Fachkonferenzen, so was hört man und liest man auch nicht in Fachartikeln, sondern das ist typischerweise sehr ausgewogen, die Suche nach Chancen, aber auch das Berücksichtigen von Risiken, und mit dieser Schwarz-Weiß-Malerei fährt das vollkommen weg.
    Reuning: Ja, aber auch Manfred Spitzer zitiert ja etliche Studien, die seine Thesen einer, ich sage mal: digitalen Verdummung untermauern. Er nennt sehr konkrete Zahlen: WLan macht die Leistung im Klassenzimmer um 18 Prozent schlechter. Das scheinen doch valide Daten zu sein.
    Appel: Ich glaube, die Sozialwissenschaften, wenn man da ein gewisses Grundverständnis mitbringt, dann sind solche ganz exakten Zahlen eigentlich immer mit Vorsicht zu genießen, also eher ein Anzeichen dafür, dass hier mit einer Klarheit der Sprache eigentlich so eine Art Nebelkerze auch gezündet werden will. Natürlich machen sich solche Prozentzahlen gut, aber wie gesagt, viele dieser Aussagen basieren nicht auf einer ausgewogenen Betrachtung der Befundlage und sind dann in ihrer Konkretheit zwar interessant, aber decouvrieren eigentlich auch so ein bisschen, weil solche genauen Prozentzahlen kann Sozialwissenschaft eigentlich nie liefern, und mir kommt das auch eben relativ unfruchtbar vor, weil ich denke schon auch, dass letztlich die Frage, wie wirken Social Media, welchen Einfluss haben Tablets, Computer im Unterricht - das sind wichtig Fragen, und wenn man die eben so einseitig beantwortet, das verschleiert doch eigentlich wirklich die Herausforderungen, vor denen wir stehen.
    Reuning: Unter anderem verweist Manfred Spitzer auf eine Studie aus dem Jahr 2015 der PISA-Studienleiter. Ergebnis: Je mehr in den Schulen in Digitalisierung investiert wurde, desto schlechter wurden die PISA-Leistungen. Kennen Sie diese Untersuchung?
    Appel: Ja, ich habe mir die Untersuchung angeschaut, und tatsächlich ist es so, dass nicht die erhofften Wirkungen von sozusagen Investitionen in digitale Medien dort sich gezeigt haben. Es wird aber auch drauf hingewiesen, dass es eben darum geht, die Herausforderung ist eben, mit neuen Medien dann umzugehen und das pädagogische Handeln effektiver zu machen, und es wird darauf hingewiesen, dass jetzt solche Dinge wie quellenkritisches Arbeiten, sich auch anzuschauen, wie kann ich denn auch als Schüler und Schülerin, wie kann ich neue Medien möglichst gut einsetzen. Das sind alles eigentlich pädagogische Ziele, und das steht doch eigentlich im klaren Gegensatz zu dieser Anmutung, dass man letztlich neue Medien, auch den thematischen Bezug zu neuen Medien, eigentlich verbannen sollte aus der Schule.
    "Fachdidaktiken gefragt"
    Reuning: Wie muss denn Ihrer Meinung nach digitale Bildung in den Schulen aussehen, damit sie erfolgreich ist?
    Appel: Ich glaube, da sind die Fachdidaktiken gefragt, das heißt, jedes Fach, denken wir zum Beispiel an Informatik, aber auch Sprachen, an Mathematik, da ist die Frage, was kann denn jetzt ein Tabletcomputer eigentlich leisten, was kann eine Unterrichtseinheit mit Computer besser leisten als eine Unterrichtseinheit ohne Computer, und da sind natürlich die Lehrerinnen und Lehrer sehr stark gefragt, und die sind einzubinden in diese didaktischen Konzepte, und ich denke, das wäre der Ansatzpunkt. Das heißt, ich sehe es auch kritisch, wenn so die Idee vielleicht manchmal im Raum steht, es wäre gut, möglichst viel Computer in den Unterricht zu bringen. Meine Frage wäre eher, wozu soll der benutzt werden, was ist also das Ziel dahinter, und wie ich eingangs sagte, wenn es solche Konzepte gibt, dann zeigen Studien, dass das auch erfolgreich sein kann und dass es tatsächlich einen Mehrwert liefert für die Kinder und Jugendlichen. Das betrifft nicht nur, dass sie eben den Computer kennenlernen, sondern das betrifft dann tatsächlich auch das Fach, was gelehrt wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.