Dienstag, 23. April 2024

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Dinaw Mengestu
Von Liebe, Einsamkeit und Identität

Von Simone Hamm | 19.11.2014
    Ein junger Mann erzählt, wie er aus Äthiopien nach Uganda kam, wie er sich auf dem Campus der Universität in Kampala herumtrieb, vorgab, ein Student zu sein, wie er einen Freund fand.
    Eine junge Sozialarbeiterin aus dem mittleren Westen Amerikas erzählt, wie sie sich in einen jungen Afrikaner verliebt, den sie betreut.
    Dinaw Mengestu verwebt in "Unsere Namen" geschickt zwei Geschichten, die aus zwei Perspektiven erzählt werden, an zwei verschiedenen Orten spielen, zu zwei unterschiedlichen Zeiten.
    "Ich bin neugierig gewesen, ob und wie ich diese verschiedenen Landschaften, diese andersartigen Erzählungen meines Lebens miteinander vermischen kann. Geboren in Äthiopien, aufgewachsen im mittleren Westen fühle ich mich wirklich als Afrikaner und als Amerikaner gleichermaßen. Das ist der große Vorteil, Amerikaner zu sein: Man kann diese beiden Identitäten mischen, ohne das die eine mit der anderen konkurriert."
    Helens Geschichte beginnt, als Isaac in die USA kommt. Sie weiß rein gar nichts von ihm. Nur, dass er wie ein Besessener liest. Dass er Schriftsteller werden wollte. Sie nennt ihn Dickens. Sie ahnt, dass er ein düsteres Geheimnis mit sich herumträgt. Mindestens eins. Isaacs Geschichte beginnt viele Jahre zuvor.
    "Als ich geboren wurde, hatte ich dreizehn Namen. Jeder Name stammte von einer anderen Generation meiner Familie angefangen bei meinem Vater. Ich war der Erste in unserem Dorf, der dreizehn Namen hatte, und alle waren der Meinung, dass meine Familie sich glücklich schätzen durfte, eine so lange Geschichte vorweisen zu können."
    Unterton von Bedauern, von Trauer ist unüberhörbar
    Helen aber wird nicht erfahren, wie Isaac wirklich heißt. Der Mann, der sich Isaac nennt, hat sich in den frühen Siebzigerjahren nach Kampala durchgeschlagen. Er ist voller Hoffnung. Die Kolonialisten haben Uganda ein Jahrzehnt zuvor verlassen. Die Jugend träumt von einer großartigen Zukunft. Doch in Uganda herrscht Chaos. Diktatoren gieren nach der Macht. Und schon bald kämpfen Rebellen und Regierungstruppen in einem grausamen Bürgerkrieg.
    Dinaw Mengestu kann mit diesen Zeitsprüngen umgehen. Ein Kunstgriff, der große Spannung erzeugt. Denn der Leser schlüpft in Helens Haut, will wie sie mehr über Isaacs Vergangenheit erfahren, will das Mysterium, das den jungen Mann umgibt, fassen können.
    Helen und Isaac erzählen zögernd, vorsichtig, tasten sich langsam vor. Meisterhaft, wie Mengestu die vielen blinden Stellen einfach stehen, die vielen Fragen einfach unbeantwortet lässt. Mengestu gibt beiden eine zurückhaltende, fast kühle Sprache. Und doch unterscheiden sie sich. Helen ist behutsam, fragend, bisweilen hilflos. Isaac bleibt fast dokumentarisch, wenn er seine Zeit bei den Rebellen schildert. Aber ein feiner Unterton von Bedauern, von Trauer ist unüberhörbar.
    Isaac hat Waffen für die Rebellen geschmuggelt, ist Zeuge brutaler Gräueltaten geworden, hat zugesehen, wie sein Freund aus Kampala kaltblütig Menschen erschoss.
    "In diesem Moment wurde mir mit aller Macht bewusst, was die Gewalt aus ihm gemacht hatte. Das Leben war eine Banalität, und hier stand er und stellte es eindrücklich unter Beweis."
    Die Banalität des Bösen. Und doch bleibt der Freund Isaacs Freund, der Mann, dem er immer nah sein wollte und will. Ohne viel zu fragen, ohne ihn ganz zu verstehen. Dem er immer treu bleibt. Und er ihm. Freunde wie zwei streunende Hunde, sagt Isaac einmal. Er selbst wird nicht zum Mörder. Da geht Mengestu nicht so weit wie Toni Morrison, die in "Heimkehr", einen ehemaligen Soldaten zur Hauptfigur macht, der ein Mädchen sadistisch missbraucht und dann ermordet hat. Isaacs Freund verhilft ihm zu einem Visum für Amerika.
    "Ich wollte sehen, ob ich die Geschichte der Einwanderung nicht nur aus der Sicht der Leute erzählen könnte, die nach Amerika kommen, sondern auch aus der Sicht der Leute, die hier leben. Sie müssen die Ankommenden willkommen heißen, willkommen in ihrer Stadt, ihren Häusern, ihrer Gemeinschaft."
    Ein überwältigender Roman
    Aber so willkommen ist Isaac nicht in dem kleinen fiktiven Ort im mittleren Westen. Als Helen mit Isaac in den Diner geht, in dem sie schon als Kind mit ihrem Vater gefrühstückt hat, bekommt Isaac sein Rührei auf ein paar in einander geschachtelten Plastiktellern, mit Plastikbesteck. Als er schon aufgegessen hat, kommt Helens Hühnchen - auf einem Porzellanteller. Doch in dieser Episode erzählt Mengestu mehr als vom alltäglichen Rassismus in den USA in einem Restaurant. Er zeigt, dass Helen, indem sie Isaac vorzeigen will, ihn genauso auf sein Schwarzsein reduziert wie die Kellnerin.
    Amerika ist für Isaac nie das gelobte Land gewesen. Er hat nie herkommen wollen. Er ist geflohen aus einem Land, in dem Terror und Krieg herrschten.
    "Wir denken oft sehr eindimensional, wenn es um Immigrantengeschichten geht. Wir denken, jeder, der nach Amerika kommt, will ins gelobte Land. Mich haben immer die Menschen interessiert, die nicht hierherkommen sind, weil sie es wollten, sondern weil sie mussten. Man kommt mit einer radikal anderen Perspektive, wenn man vor Gewalt hat fliehen müssen."
    Helen und Isaac erzählen beide eine Liebesgeschichte. Helen erzählt von ihrer Liebe zu Isaac. Isaac erzählt von der Liebe zu seinem Freund aus den Zeiten des Bürgerkrieges. Beide Liebesgeschichten sind unsentimental und tief und unergründlich.
    "Unsere Namen" ist ein gewaltiger, ein überwältigender Roman.
    Dinaw Mengestu: Unsere Namen. Aus dem Amerikanischen von Verena Kilchling. Kein & aber. 335 Seiten. 22,90 Euro.