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Dino-Eier in der Teilchenschleuder

Für gewöhnlich nutzen die Wissenschaftler des Hamburger Forschungszentrums DESY die ungemein starke Röntgenstrahlung ihrer Teilchenbeschleuniger, um Werkstoffe oder Halbleitermaterialien zu durchleuchten. Vor einiger Zeit hatten sie allerdings versteinerte Saurier-Eier und -embryonen in der Apparatur.

Von Frank Grotelüschen | 03.09.2013
    Hamburg, eine der Experimentierhallen am Forschungszentrum DESY. Der Physiker Norbert Schell steht vor einer Hütte mit massiven Metallwänden, kaum größer als eine Abstellkammer. Neben der bleiverkleideten Tür hängt ein Warnschild mit dem Radioaktiv-Zeichen.

    "Wenn das hellgelb leuchtet, heißt das: Vermutlich ist Röntgenstrahl drin. Und der hätte tödliche Dosis. Deshalb dürfen Menschen da nicht drin sein und müssen gewarnt werden."

    Im Moment leuchtet das Schild nicht. Der Zutritt zur Hütte ist frei, und Norbert Schell stemmt die Tür auf.

    Laut rauscht die Klimaanlage, sie muss die Temperatur bis auf ein Zehntel Grad Celsius konstant halten. Aus einer der Wände ragt eine Metallröhre. Läuft die Anlage, kommt daraus ein von einem riesigen Ringbeschleuniger erzeugter Röntgenstrahl.

    "Er ist unglaublich stark. Der Strahl ist konzentriert auf eine sehr kleine Fläche, fast gebündelt wie ein Laserstrahl."

    Mit diesem Röntgenstrahl untersucht Schell, Physiker am Helmholtz-Zentrum Geesthacht, normalerweise die Qualität von Werkstoffen oder von Schweißnähten. Vor einiger Zeit aber nahm sein Team etwas komplett anderes ins Visier.

    "Das waren Dinosauriereier. 150 Millionen Jahre alt. Also nicht nur Eierschalen, sondern auch Embryonenteile."

    Entdeckt hatte man die millimetergroßen fossilen Bruchstücke 2005 in Portugal. Um sie mit dem Röntgenstrahl zu untersuchen, nutzen die Forscher zwei Techniken: Mit der einen konnten sie die chemische Zusammensetzung der Eierschalen genauestens enträtseln.

    "Man konnte die Zusammensetzung der Eier und auch der Umgebung, also der Neststruktur, herausfinden und dann vergleichen mit heutigen Nestern von Vögeln oder von Krokodilen, die weitläufig in die gleiche Familie gehören beziehungsweise Nachkommen dieser Dinosaurier sind."

    Die Eier stammen von Torvosaurus, einem fleischfressenden Ungeheuer. Er zählt zu den sogenannten Theropoden, aus denen sich später auch die Vögel entwickelten. Aus den Röntgendaten konnte das Forscherteam aus Deutschland, Portugal und den USA auch das Brutverhalten herauslesen.

    "Das konnte man sagen, dass die Eier, ähnlich wie heute Schildkröteneier, vergraben wurden, um sie vor Räubern zu schützen. Und dann durch die Sonnentemperatur die Ausbrütung stattfand. Das konnte man durch den Vergleich der Neststrukturen mit heute lebenden Arten herausfinden."

    Mit einer anderen Methode konnten die Experten sogar dreidimensionale Röntgenbilder aufnehmen. Die Technik funktioniert ähnlich wie ein Computertomograf im Krankenhaus. Aber da sie mit extrem starker Röntgenstrahlung arbeitet, liefert sie eine deutlich höhere Auflösung. Die Bilder zeigt Norbert Schell auf seinem Rechner: eine Röntgenaufnahme eines 150 Millionen Jahre alten Embryonen-Kiefers.

    "Da kann man ganz deutlich das Gebiss sehen: das starke Reißgebiss von diesen Theropoden. Tatsächlich gehört der T-Saurus Rex, der das Schreckgespenst der Kinder ist, in diese gleiche Familie rein. Und da kann man ganz deutlich Backenzähne und Reißzähne unterscheiden und miteinander vergleichen."

    Durch Vergleiche mit anderen Funden ließ sich eine wichtige Frage beantworten: Welche Eigenschaften der Knochen und auch der Eierschalen hatte es bereits bei den Vorfahren der Theropoden gegeben und was war im Laufe der Evolution neu hinzugekommen?

    "Ein Resultat unserer Experimente war, dass man einen neuen Zweig gefunden hat."

    Und zwar konnte das Team helfen, eine Lücke in der Abstammungsgeschichte der Dinosaurier zu schließen. Offenbar bilden die untersuchten Fossilien das Bindeglied zwischen zwei unterschiedlichen Dinosaurierzweigen. Das Zusammenspiel zwischen Dino-Forschern und Physikern scheint sich also gelohnt zu haben. Und deshalb macht sich Norbert Schell darauf gefasst, mit dem Hamburger Röntgenring bald weitere Fossilien unter die Lupe zu nehmen.

    "Das ist sehr wahrscheinlich."