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Diphtherie
Der "Würgeengel der Kinder" ist weiter gefährlich

Über Jahrhunderte gehörte Diphtherie zu den gefährlichen Krankheiten, die vor allem Kinder betrafen und oft tödlich endeten. Eine Impfung gehört heute in Deutschland zum Standard bei den Kindervorsorgeuntersuchungen. Dass Diphtherie keineswegs für immer besiegt ist, zeigte sich nach dem Ende der Sowjetunion.

Von Andrea Westhoff | 04.08.2015
    Ein Impfkalender mit Nachweisen für eine Tetanus- und Diphtherieimpfung.
    Ein Impfkalender mit Nachweisen für eine Tetanus- und Diphtherieimpfung. (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    1914 schickt eine "Gräfin Mittrovsky" dem Arzt Emil von Behring ein Foto: Mädchen und Jungen unterschiedlichen Alters, aufgereiht und fröhlich lächelnd - dazu der Text "Die dankbare Mutter von diesen acht an Diphtherie erkrankten Kindern, bei welchen die Heilserum-Injectionen gewirkt hat." - ein zeit- und medizingeschichtliches Dokument.
    Jahrhundertelang gehörte die Diphtherie zu den gefürchteten Seuchen, weil sie die Menschen in immer wiederkehrenden Schüben heimsuchte, oft lebensbedrohlich war und vor allem die Jüngsten traf, sagt Dr. Miriam Wiese-Posselt von der Abteilung Infektionsepidemiologie am Robert-Koch-Institut: "Auch Erwachsene können an einer Diphtherie erkranken. Aber es ist schon so, als Diphtherie noch endemisch, also wirklich überall vorkam, immer wieder in so kleinen Ausbrüchen, in Deutschland und auch weltweit, da waren vor allem die Kinder betroffen, und es sind auch sehr, sehr viele Kinder daran gestorben. Durch Erstickung primär."
    Der "Würgeengel der Kinder" hieß die Diphtherie im Volksmund, eine bakterielle Infektionskrankheit, die gleich zweifach gefährlich ist: "Das Bakterium an sich löst nicht die Symptomatik der Erkrankung aus, sondern das Toxin, das Gift, was diese Bakterien produzieren, Die Schleimhaut des Rachenraums ist vor allem betroffen, dort bilden sich so weißlich-gräuliche Beläge, daran erkennt man auch die Diphtherie, also man sagt auch, dass diese Beläge so typisch sind und auch der Geruch, der aus dem Mundraum dann kommt, so ein ganz typisch süßlicher Geruch; Lymphknotenschwellung kommt hinzu, es kann auch der Gaumensegel eine schwache Lähmung aufweisen, sodass das Atmen sehr schwierig wird."
    Häufig ist auch der Kehlkopf betroffen: Er schwillt an, und es kommt zu heftigen trockenen Hustenattacken und Heiserkeit als Folge. Deshalb hieß die Diphtherie früher "echter Krupp" oder "Krupp-Husten", vom englisch-schottischen Wort "Croup" für Heiserkeit.
    Das Bakteriengift kann aber auch noch tiefer in den Körper wandern: "Weitere Komplikationen sind, dass dieses Toxin auch am Herzen angreift oder auch die Nieren, dass Nerven mit entzündet sein können, die Leber mit betroffen sein kann, und es eine systemische Erkrankung dann ist."
    Behandlung mit Anti-Toxin und antibiotisch
    Die Diphtherie wird durch Tröpfcheninfektion - Husten oder Niesen – übertragen, ist sehr ansteckend und deshalb in Deutschland meldepflichtig. Das ist wichtig, um einerseits möglichst alle Kontaktpersonen zu finden und andererseits schnell mit der Behandlung beginnen zu können, sagt Dr. Wiese-Posselt: "Sobald der Verdacht besteht einer Diphtherie, sollte man zwei Dinge tun: Nämlich das eine, dass ein Anti-Toxin gegeben wird, und daneben sollte antibiotisch behandelt werden, weil dieses Anti-Toxin nicht wirksam ist gegen das Bakterium an sich."
    Antitoxin und Antibiotika – zwei moderne Waffen gegen eine gefährliche Krankheit, der die Menschen jahrhundertelang völlig machtlos gegenüberstanden. Amulette sollten gegen den "Dämon mit Hundekopf und Greifvogelklauen" schützen, und alte Arzneischriften empfahlen Heiltrunke aus zermahlenen Schwalbennestern oder Tausendfüßlern.
    Nachdem man 1888 entdeckt hatte, dass das Gift, nicht die Bakterien die Diphtheriesymptome auslöst, suchten Forscher fieberhaft nach einem Gegengift - vor allem Emil von Behring und Paul Ehrlich, dem am Medizinhistorischen Museum der Charité 2015 eine Ausstellung gewidmet ist.
    Emil von Behring bei einer Pferdimpfung mit abgeschwächten Diphtherie-Erregern im Marburger Institut, ca. 1894
    Emil von Behring bei einer Pferdimpfung mit abgeschwächten Diphtherie-Erregern im Marburger Institut, ca. 1894 (Chiron Vaccines Behring)
    "Dieser Bereich beschäftigt sich mit den immunologischen Forschungen von Ehrlich. Mit Behring zusammengearbeitet hat er an Robert Kochs Institut für Infektionskrankheiten, da haben Behring und Ehrlich zusammen ihre Tiere gehalten, ihre Serumtiere."
    Behring entwickelte eine Serumtherapie
    Pferde waren das vor allem. Behring verfolgte die Idee einer "Serumtherapie", als er entdeckt hatte, dass das Blut von Tieren, die immun gegen das Diphtheriegift sind, auf kranke Tiere übertragen werden kann. Paul Ehrlich steuerte das grundsätzliche immunologische Wissen bei, die Idee der Antikörper: Jede Zelle, so meinte er, bildet so genannte "Seitenketten", heute sagt man "Rezeptoren": "Und diese Rezeptoren sind dafür da, dass Nahrungsmoleküle daran binden und dann in die Zelle aufgenommen werden. Und er hat sich das so gedacht, dass dann quasi durch Zufall ein Giftmolekül eines Bakteriums zu so einem Nahrungsmolekülrezeptor passt, daran bindet und quasi den Platz für das Nahrungsmolekül blockiert. Das merkt die Zelle und sagt sich: ich krieg zu wenig davon, dann produziert sie immer mehr von diesen Rezeptoren, bis es so viele sind, dass sie die nach außen abgibt und diese dann als lösliche Rezeptoren oder Antikörper in die Blutbahn gelangen."
    Zusammen mit den systematischen Versuchen von Paul Ehrlich gelang es Emil von Behring schließlich, ein konzentriertes und standardisiertes Diphtherie-Heilserum zu entwickeln. Er bekam dafür den Ehrentitel "Retter der Kinder". Man schätzt, dass vorher im deutschen Kaiserreich jährlich fünfzigtausend Kinder an Diphtherie starben, meistens qualvoll erstickten.
    "Hier haben wir eine kleine Statistik gemacht, die das zeigt, dass sich die Sterblichkeit der Kinder an Diphtherie halbiert hat nach der Einführung der Serumtherapie, also 1894 wurde das Diphtherieheilmittel eingeführt, und da ist auch noch Ehrlichs Name explizit erwähnt, während der später ja oft auch hinten runterfällt und dieses Diphtherieheilmittel vor allem ja Behring zugeordnet wird."
    Immer noch sterben fünf bis zehn Prozent der Infizierten
    Behring bekam dafür 1901 den erstmals verliehenen Nobelpreis für Medizin. 1913 gelang es ihm auch noch, eine vorbeugende "aktive Immunisierung", einen Impfstoff gegen Diphtherie zu entwickeln. In der heute gebräuchlichen Form ist er sehr gut verträglich – manchmal kann es eine Hautreaktion an der Impfstelle oder leichte erkältungsartige Symptome geben. Deshalb wird die Diphtherie-Impfung bis heute von der Ständigen Impfkommission empfohlen, sagt Dr. Miriam Wiese-Posselt vom Robert-Koch-Institut: "Die Säuglinge werden geimpft, ab dem zweiten Lebensmonat, bekommen drei Teilimpfungen im ersten Lebensjahr, eine vierte im zweiten Lebensjahr und dann muss regelmäßig aufgefrischt werden."
    Denn die Zahl der Antikörper gegen das Diphtheriegift fällt im Laufe des Lebens immer wieder ab. Und weil die Diphtherie in anderen Ländern noch weit verbreitet ist, kann man sich, zum Beispiel bei Reisen, durchaus anstecken. Und die Erkrankung ist auch in Zeiten der Antibiotika und Antitoxine alles andere als harmlos: "Trotz Therapieformen, die existieren, sterben ungefähr immer fünf bis zehn Prozent aller Menschen, die an der Diphtherie erkranken."
    Wie schnell so eine Erkrankung wieder aufflackern kann, hat man in den 1990er Jahren gesehen nach dem Ende der Sowjetunion. Da wurde in den nachfolgenden GUS-Staaten nicht mehr konsequent gegen Diphtherie geimpft. Ziemlich bald schnellte die Anzahl der Infektionen in die Höhe: 150.000 Menschen erkrankten, 4.000 sind gestorben, viele durch Ersticken.