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Diplomatische Immunität
Portugal diskutiert über prügelnde Diplomatensöhne

Bisher gilt: Nach den Regeln des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen genießen auch die Familienangehörigen der ausländischen Gesandten den Diplomatenstatus und können im Gastland nicht strafrechtlich verfolgt werden. Das hat jetzt in Portugal zu einem kuriosen Fall geführt.

Von Tilo Wagner | 26.08.2016
    Ein Mann mit Anzug und Aktenkoffer wirft am 17.05.2013 in Berlin einen Schatten auf das Kopfsteinpflaster.
    In Portugal disktiert die Öffentlichkeit aktuell, ob straffällige Angehörige von Diplomaten weiterhin Immunität genießen sollten. (Ole Spata / dpa)
    Seit über einer Woche beherrscht das Thema die Schlagzeilen der portugiesischen Medien: Der Vorfall ereignete sich in der portugiesischen Provinzstadt Ponte de Sôr, rund 140 Kilometer nordöstlich von Lissabon, wo die irakischen Diplomatensöhne eine Flugausbildung absolvierten. An einem Abend sind die 17-jährigen Zwillinge in einer Bar in einen Streit mit Jugendlichen aus der Kleinstadt geraten. Später wurde dann der schwer verletzte 15-jährige Rúben auf der Straße gefunden und musste mit mehreren Knochenbrüchen im Gesicht per Hubschrauber nach Lissabon geflogen werden.
    Während der Junge noch auf der Intensivstation im Krankenhaus lag, gaben die beiden mutmaßlichen Täter dem portugiesischen Privatfernsehen ein Interview: Einer der beiden Zwillinge versuchte den Vorfall mit einer allgemeineren Analyse zu relativieren:
    "Das ist eine gefährliche Mischung: Jugendliche, Alkohol und eine bestimmte Gruppendynamik. Ich glaube, ich bin kein Opfer von Rúben, und Rúben ist auch kein Opfer von mir. Wir alle sind irgendwie Opfer eines allgemeinen Zustandes. Unser Fall hat so viel Staub aufgewirbelt, aber so was gibt es jeden Tag in Portugal."
    In dem Interview gaben die Diplomatensöhne an, dass sie zuerst von den portugiesischen Jugendlichen bedroht und provoziert wurden. Die irakische Botschaft ging noch einen Schritt weiter: Ohne sich vorher zu dem Vorfall in Portugal geäußert zu haben, veröffentlichte sie eine Stellungnahme: Die Diplomatensöhne seien diskriminiert und angegriffen worden, weil sie Araber und Muslime seien.
    Schwierige Rechtslage
    Die Söhne des Botschafters kooperierten mit der portugiesischen Polizei und wurden nach ihren Aussagen auf freien Fuß gesetzt: Nach den Regeln des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen genießen auch die Familienangehörigen der ausländischen Gesandten den Diplomatenstatus und können im Gastland nicht strafrechtlich verfolgt werden. Doch genau das fordern viele Portugiesen nun ein:
    "Das ist eine ganz schwierige Situation", sagt ein Mann in T-Shirt und dunkler Sonnenbrille. "Und ich frage mich, warum der Botschafter immer noch nichts dazu gesagt hat. Was da passiert ist, ist einfach nur unmenschlich."
    Ähnlich denkt eine junge Portugiesin, die sich seit Tagen mit dem Thema beschäftigt:
    "Es kann ja sein, dass die Diplomatensöhne provoziert wurden. Aber die Reaktion war extrem und absolut überzogen. Der Junge liegt zwar nicht mehr im Koma, aber es geht ihm sehr schlecht. Ich finde, die Täter sollten zur Rechenschaft gezogen werden – unabhängig davon, ob sie Diplomatensöhne sind oder nicht."
    Und ein älterer Herr sieht das genauso: "Wenn die Ermittlungen ergeben, dass es sich hierbei nicht um Selbstverteidigung, sondern um einen Akt der Barbarei handelte, dann sollte die Immunität aufgehoben werden. Schließlich heißt Immunität nicht Straflosigkeit."
    Online-Petition für Bestrafung
    Über 10.000 Portugiesen haben im Internet bereits einen Aufruf unterschrieben, mit dem sie die Bestrafung der Diplomatensöhne fordern. Die portugiesische Regierung hat sehr schnell auf den Fall reagiert. Rein formal gesehen hat sie zwar keine Möglichkeit, die Aufhebung der Immunität zu erzwingen, aber sie hat trotzdem Druckmittel in der Hand: Lissabon kann die Behörden in Bagdad bitten, ein Strafverfahren gegen die Jugendlichen im Irak zu eröffnen. Die Regierung könnte im schlimmsten Falle auch den Botschafter zur Persona non grata erklären und des Landes verweisen.
    Regierungen unter Zugzwang
    Bis jetzt konnte der portugiesische Außenminister Augusto Santos Silva einen offenen Konfrontationskurs noch vermeiden. Doch nun stehen die Regierungen in Lissabon und Bagdad unter Zugzwang: Die Staatsanwaltschaft in Lissabon hat offiziell beantragt, den Diplomatenstatus der irakischen Jugendlichen aufzuheben. Außenminister Santos Silva hofft jetzt darauf, dass der Irak die Gepflogenheiten europäischer Staaten respektiert:
    "Die irakische Regierung hat immer wieder bestätigt, dass sie mit den portugiesischen Behörden zusammenarbeiten will. Dem müssen jetzt Taten folgen: Denn es gibt in der westlichen Welt eine Tradition, nach der die Immunität von Diplomaten oder ihrer Familienangehörigen aufgehoben wird, wenn sie sich in solch' einer Situation in ihrem Gastland befinden."