Donnerstag, 28. März 2024

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Diskussion um das religiöse Geschlecht
Frauen – geboren um zu beten?

Umfragen zufolge beten Frauen häufiger als Männer, übernehmen die meisten kirchlichen Ehrenämter und kümmern sich mehr um die Glaubenserziehung von Kindern. Genderforscherinnen zweifeln dennoch daran, dass Frauen Religiosität angeboren ist.

Von Helene Pawlitzki | 29.03.2016
    Gemeindemitglieder der Trinity Kirche Wall Street feiern den Palmsonntag mit den symbolischen Palmwedeln in einer Versammlung in der St. Paul's Kapelle.
    Umfragen zufolge sind Frauen häufiger als Männer in kirchlichen Ehrenämtern aktiv. (imago/Pacific Press Agency)
    "Anführerinnen jeder Art von Aberglauben sind die Frauen."
    So heißt es in David Humes Werk "The Natural History of Religion" von 1889. Dazu Dr. Michael Blume, Religionswissenschaftler aus Stuttgart:
    "Wenn wir uns die Menschheitsentwicklung anschauen, dann sehen wir, dass in der Steinzeit und auch über Jahrzehntausende hinweg wir nur weibliche Darstellungen haben und wir haben bis in die Antike hinein auch Schamaninnen, später auch Priesterinnen."
    Sie reizen die Männer zu Glaube und Gebet, und zum Einhalten religiöser Festtage.
    "David Hume, der war schon mal auf dieser Spur: Möglicherweise haben ja mal die Frauen die ersten Religionsgemeinschaften gegründet."
    Kaum findet man einen Mann, der von allen Frauen getrennt lebt und solchen Praktiken zuneigt.
    "Ich würde heute vorsichtiger formulieren: Sie haben zumindest eine bedeutende Rolle gespielt. Und die Fülle der Befunde lässt sich da kaum noch wegdiskutieren."
    Der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume ist überzeugt: Frauen haben eine größere Neigung zu Religion und Glauben als Männer. Er argumentiert dabei nicht nur mit David Hume, dem schottischen Philosophen und Historiker des 18. Jahrhunderts, der sich seinerseits beim antiken griechischen Geschichtsschreiber Strabon bediente. Sondern auch mit aktuellen Studien.
    "Über 70 Prozent des ehrenamtlichen Engagements in den großen Kirchen beispielsweise wird von Frauen geleistet. Aber auch, wenn man Befragungen anschaut zum Thema "Wie häufig beten Sie?" oder "Wie oft besuchen Sie den Gottesdienst?", sind Frauen da stärker dabei."
    Soziale Wesen unter sich
    Als Atheisten bezeichnen sich dagegen überwiegend Männer. Alle Umfragen deuteten in eine Richtung, schrieb der amerikanische Meinungsforscher George H. Gallup Jr. 2002:
    "Ein ganzer Berg von Gallup-Surveys zeigt, dass Frauen religiöser als Männer sind, fester glauben, konsistenter ihren Glauben leben und härter für ihre Gemeinde arbeiten. Diese Tendenz hat sich über sieben Jahrzehnte der wissenschaftlichen Meinungsumfragen hinweg gehalten."
    Wie kommt's? Verschiedene Gründe, sagt Michael Blume. Besonders wichtig seien aber zwei. Erstens:
    "Der Kernfaktor in den Analysen ist die sogenannte soziale Kognition."
    Soziale Kognition. Hier: Die Fähigkeit, andere soziale Wesen und ihre Absichten zu erkennen.
    "Frauen haben im Durchschnitt eine leicht erhöhte soziale Kognition gegenüber Männern, und wenn man Frauen und Männer mit der gleichen sozialen Kognition vergleicht, dann fällt auch dieser Faktor weg."
    Soll heißen: Frauen haben eine erhöhte Neigung, Wesenheiten wahrzunehmen – auch in Bäumen, Bergen oder Wolken.
    "Da ist eine große, allumspannende Wesenhaftigkeit und die schaut uns an. Soziale Kognition at its best. Und dann ist auch klar, dass wir versuchen, uns mit der gut zu stellen, sie zu besänftigen, die Gebote zu erfüllen, Gnade zu finden. Da entsteht dann dieses reiche religiöse Leben."
    Der andere Grund, so Blume: Religion sei ein evolutionärer Erfolgsfaktor. Denn ein gemeinsamer Glaube lasse Menschen nachhaltiger kooperieren. Und das mache die Aufzucht des Nachwuchses einfacher. Ein guter Grund für Frauen, die Entwicklung von Religion aktiv zu betreiben.
    Religiöse Praxis vorbestimmt?
    Frauen – geboren um zu beten? Religionswissenschaftlerinnen mit Schwerpunkt Genderforschung finden das nicht so plausibel. So wie Bärbel Beinhauer-Köhler, Professorin an der Universität Marburg:
    "Ich würde davon ausgehen, dass das mit sozio-kulturellen Mustern zu tun hat, mit Formen religiöser Praxis, die wir gewohnt sind, auf bestimmte Geschlechter zu verteilen."
    Gegner der Theorie von der religiösen Frau wie zum Beispiel der Bielefelder Religionspsychologe Constantin Klein argumentieren so:
    "Seit der Aufklärung gelten Glaube und Vernunft als Gegensätze. Und Männer gelten als verstandesbetont, Frauen eher als gefühlsbetont. Sind daher vielleicht nicht Frauen religiöser – sondern ist Religiosität weiblicher? Anders gefragt: Gehört es zur Rolle der Frau zu glauben – und zur Rolle des Mannes, den ganzen Humbug abzulehnen?"
    Religiös berührbar
    Oft wird auch darauf verwiesen, dass Frauen sich historisch in der Kirche entfalten konnten und durften – nirgendwo sonst. Dass Frauen traditionell für die Kindererziehung zuständig waren – und dazu auch die Religionserziehung gehörte. Und dass auf der Kanzel – viele Jahrhunderte lange eine Männerdomäne – nun mal nur Platz für einen ist; in den Kirchenbänken aber für viele.
    Dazu kommt, dass sich die Meinungsumfragen, die die größere Religionsaffinität von Frauen belegen sollen, stark auf den anglo-amerikanischen Raum konzentrieren – und deshalb zunächst nicht allgemein, sondern höchstens für den christlichen, westlichen Kulturkreis gelten. Frauen eine angeborene Neigung zum Glauben zuzuschreiben, sagt Bärbel Beinhauer-Köhler, berge die Gefahr:
    "zu denken, das kann sich nicht verändern, weil wenn es eben immer so war: Was weiß ich, Frauen sind die emotionaleren, die auf so einer unmittelbareren Ebene religiös berührbar sind, dann spricht man ihnen ja unter Umständen auch ab, die intellektuelleren Bereiche von Religionen selbst zu verkörpern. Und das kann nicht sein."
    Am Ende ist es also wieder der alte Streit: Sind unsere Verhaltensweisen angeboren oder ansozialisiert? Ist alles biologisch vorherbestimmt oder entscheiden wir uns frei? Michael Blume:
    "Ich hoffe, ich werde es noch erleben, wie diese Lager miteinander merken: Die Biologie determiniert uns nicht, die erlaubt uns vielfältige Formen von kulturellem Miteinander. Aber auf der anderen Seite sind wir auch nicht völlig weiße Papiere, sondern jeder von uns wird mit unterschiedlichen Begabungen geboren: der eine hat eine etwas größere Körpergröße und der andere vielleicht eine etwas stärkere soziale Kognition. Da bricht keinem ein Zacken aus der Krone."