Donnerstag, 28. März 2024

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Diskussion um Festivalchef Dieter Kosslick
"Jeder bastelt sich eine eigene Berlinale"

Zum Start der Berlinale ebbt die Kritik an dem Festivalleiter nicht ab: "Was Kosslick immer konnte ist, kreative Kräfte zu bündeln", sagte Corso-Filmkritikerin Sigrid Fischer im Dlf. Aber man wünschte sich einen künstlerischen Blick auf die Filmauswahl – und weniger Kommerz.

Sigrid Fischer im Interview mit Adalbert Siniawski | 15.02.2018
    Dieter Kosslick, Direktor der Internationalen Filmfestspiele Berlin bei einer Pressekonferenz zu den 68. Filmfestspielen in Berlin, die vom 15. bis zum 25. Februar 2018 andauern.
    Dieter Kosslick, Direktor der Internationalen Filmfestspiele Berlin. (imago / Future Image)
    Dieter Kosslick: "Wir haben im Moment 4.200 Gäste, die zur Berlinale am Eröffnungsabend kommen wollen. Das sind erheblich mehr als die Dutzend von Filmemachern, die mich nicht gut finden. Von daher bin ich, glaube ich, auf der sicheren Seite und werde mit hoffentlich gutem Mut und gutem Humor die Berlinale mit den Hunden von Wes Anderson eröffnen."
    Adalbert Siniawski: Ja, Humor hat er, Berlinale Chef Dieter Kosslick heute Morgen im Deutschlandfunk. Er hat ihn wieder, muss man sagen. Denn im Vorfeld der heute beginnenden 68. Internationalen Filmfestspielen in Berlin zeigte sich Kosslick verschnupft. Der Grund: Ein offener Brief von 79 deutschen Regisseurinnen und Regisseuren im vergangenen November: "Ziel muss es sein, eine herausragende, kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen." Einige Filmemacher haben sich kurz darauf davon distanziert, etwa Christian Petzold, der mit seinem Film "Transit" als Einziger am Wettbewerb teilnimmt. Meine Kollegin Sigrid Fischer berichtet seit gut 20 Jahren von der Berlinale und für Corso, und ist uns aus Berlin zugeschaltet. Hallo.
    Sigrid Fischer: Hallo. Guten Tag.
    "Unter Kosslick ist die Berlinale ausgeufert"
    Siniawski: Was ist dran an der Kritik an der Ära Kosslick rund um seine Nachfolge?
    Fischer: Da ist schon was dran, muss ich sagen. Ich sitze ja auch hier die Wettbewerbe seit vielen Jahren mehr durch, als dass ich Spaß daran habe, vor allem die Wettbewerbe. Allerdings muss man da wirklich sofort auf die Historie verweisen. Die zeigt, dass die Berlinale es nie leicht hatte bei den Kritikern. 1959 schon wurde im Rundfunk berichtet, dass es, ja, die Filme in Cannes ja viel besser seien als die hier in Berlin. Also dieses Vergleichen mit den anderen A-Festivals, mit Cannes und Venedig vor allem, gab es immer schon, und jetzt natürlich auch. Aber es stimmt schon: Unter Kosslick ist die Berlinale ausgeufert, fast 400 Filme haben wir wieder dieses Jahr, gegenüber Cannes 130, Venedig 80.
    Und da stellt sich Beliebigkeit ein. Quantität, und vor allem, was diese Kritiker auch bemängeln, es findet kein Diskurs mehr statt, weil jeder bastelt sich seine eigene Berlinale, jeder hat eigentlich fast ein anderes Programm gesehen, vielleicht noch im Wettbewerb hat man zusammengesessen. Und wenn die Nebenreihen schon im Januar der Presse gezeigt werden müssen, damit die überhaupt Berücksichtigung finden, dann heißt das, die Berlinale dauert in Wirklichkeit vier bis fünf Wochen. Aber fast schlimmer ist noch, dass man nie das Gefühl hat, ja, ich habe hier relevante Filme gesehen, die auch im Rest des Jahres noch eine Rolle spielen, über die man spricht.
    Siniawski: Kosslick hat die Filmauswahl bisher unter ein - nicht immer nachvollziehbares - Oberthema gestellt. In diesem Jahr gibt es das nicht, er habe nichts zur Auswahl zu sagen, ätzen da die Kritiker, der Berlinale fehle ein künstlerisches Profil. Was könnte das denn sein?
    Fischer: Jetzt sage ich Ihnen mal eins: Wenn dieses Mottothema immer da war, haben alle gemeckert, ja, wie kann man denn 400 Filme unter ein Thema stellen, das geht ja gar nicht, was auch stimmt. Also ich glaube, das ist klug, zu sagen, wir haben kein Motto, denn es ist immer gezwungen, werden die Filme unter dieses Motto gezwungen. Ja, was könnte das sein. Die Kritiker sind sich ja auch nicht einig und könnten jetzt sagen, ja, das muss es sein. Natürlich wünscht man sich mehr so ein künstlerischen, einen filmischen Blick auf die Auswahl. Wenn Sie mich fragen, würde ich gerne mehr Filme sehen, die auch die Leinwand rechtfertigen. Aber das ist eben, Dieter Kosslick ist kein Filmhistoriker oder ein Filmtheoretiker, der war Funktionär, der kam aus der Filmförderung. Und er hat dann mehr so diesen pragmatischen Blick. Was der gut kann und immer konnte, kreative Kräfte zu bündeln, zusammenzubringen, Neues anzustoßen, wie diesen Talente-Campus hier. Aber so eine künstlerische Idee hat er eigentlich nicht. Fragt sich aber, ob man die auf so einem großen Festival überhaupt umsetzen könnte, auch bei Cannes und Venedig muss man das fragen.
    "Die großen Festivals müssen Feuilleton und Boulevard bedienen"
    Siniawski: Ja, Sigrid Fischer, Sie kennen diese beiden anderen A-Festivals. Kriegen die das denn hin mit diesem künstlerischen Profil?
    Fischer: Ja, ich finde, man muss da kritischer drauf gucken. Es ist ein bisschen ungerecht, wenn man in Berlin ist, immer zu sagen, ah, Cannes kann, schauen wir mal, was da ist. Das Festival unterliegt auch großen Zwängen, selbst- und fremdgesetzten. Da laufen zum Beispiel immer vier bis fünf Franzosen in diesem Wettbewerb, egal wie schlecht die sind. Das heißt, da hat die Produzentenlobby natürlich ihre Finger drin. Dann kommen immer wieder die gleichen Regienamen. Wenn Herr Almodóvar einen Film fertig hat, läuft der im Wettbewerb, egal wie der ist.
    Das heißt, man züchtet sich so die Familie heran, das ist hier in Berlin genauso, und Andere haben keine Chance. Und in Venedig im September, ja, was sehen wir da, die Oscar-Favoriten. Wir haben alles gesehen, was gerade im Kino läuft, "Downsizing", "Shape of Water", "Three Billboards", Clooneys "Suburbicon" - wo ist da das künstlerische Konzept, frage ich mich, da kommen vor allen Dingen Stars auf den Teppich. Und das meine ich, also diese großen Festivals müssen immer alles bedienen, Feuilleton und den Boulevard. Es sind Märkte, Filmmärkte. Und wir, die Presse, werden oft auch instrumentalisiert als Vorgucker. Wie oft werde ich gefragt von Filmfirmen, hör mal, hast du den Film gesehen, wir wollen den vielleicht kaufen, läuft der, was glaubst du? Also, das gehört alles zusammen bei so einem großen Festival.
    Siniawski: Zurück zu Dieter Kosslick. Er hat ja im O-Ton - wie wir gehört haben - gesagt, er rühmt sich mit seinen 4.200 Gästen bei der Eröffnung. Insgesamt werden mehr als 300.000 Tickets für die Berlinale verkauft. Es ist ein Publikumsfestival, das ist doch ja auch eine Art von Profil, oder?
    Fischer: Absolut, das macht die Berlinale aus. Und ich finde das auch toll, dass die ganze Stadt, die ist hier zwei Wochen lange auf den Beinen und hat Teil daran. Und das ist einfach enorm für so ein großes Festival. Das war auch die Gründungsidee der 50er, ein Filmfest für Leute, die ins Kino gehen. Und als dann die Mauer gebaut wurde, hieß es, oh, jetzt ist eigentlich schon ein Grund, dieses Festival zu veranstalten, weggefallen, weil die aus dem Osten konnten nicht mehr einfach hier auf die Berlinale kommen. Also das ist einfach die Gründungsidee, und wie Publikumsnah diese Festivals sein sollten oder ob sie eher ein Museum sein sollten, wo Filme laufen, die nicht so das Licht der Öffentlichkeit erblicken, ist sowieso immer die Frage.
    Die Frage der Kosslick-Nachfolge
    Siniawski: Über die Nachfolge von Kosslick wird nun weiter im Kämmerlein von Kulturstaatsministerin Monika Grütters verhandelt. Ist diese Aktion der 79 Regisseure eigentlich ins Leere gelaufen? Was meinen Sie?
    Fischer: In dem Punkt schon. Also der Grund, eine internationale Findungskommission zu gründen, die den Nachfolger von Dieter Kosslick findet, das findet nicht statt. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht jemanden findet, der für das Kino brennt und kuratorisch gute Ideen hat. Man kann allerdings annehmen, dass es darauf hinausläuft, dass es wieder jemand aus dem Funktionärsbereich wird, im Gespräch ist ja schon eine Frau, Kirsten Niehuss vom Medienboard Berlin-Brandenburg, also auch eine Förderin. Und Tom Tykwer, der Jurypräsident, hat ja schon ein Statement der Berlinale vorangeschickt: Er vermisst in Deutschland das wilde, sperrige Kino. Ja, wenn es das nicht gibt, liegt das auch an den Förderer - das sage ich jetzt mal dazu - denn die entscheiden, was gefördert wird und was nicht. Also, wenn das passiert, würde ich sagen, wird sie auch nicht wirklich viel ändern auf der Berlinale.
    Siniawski: Zur Eröffnung nimmt Kosslick das Wort Humor in den Mund. Aber wie - jetzt abschließend gefragt - schätzen Sie das ein? Hat er richtig auf die Kritik reagiert?
    Fischer: Er ist sauer, er ist angefasst, er ist verletzt. Ich kann das nachvollziehen, wer wäre nicht verletzt nach 17 Jahren. Er hat schon am Anfang eigentlich gesagt, dass man daran nichts ändern werden wird, dass immer alle Seiten zufrieden gestellt werden müssen. Ja, und vielleicht noch die Ergänzung, okay, dieses Jahr gibt es auch noch Yoga, das wird die Cineasten auch noch ärgern, dass man morgens jetzt auch noch Yoga hier machen kann. Aber er hat auch die Rolling Stones und Madonna auf den Teppich geholt, und Angela Merkel mit der 3D-Brille im Kino habe ich auch nur hier auf der Berlinale gesehen.
    Siniawski: Sigrid Fischer, Corso-Filmexpertin von den heute startenden 68. Internationalen Filmfestspielen in Berlin, zur Debatte um Berlinale-Chef Dieter Kosslick. Danke nach Berlin.
    Fischer: Gerne.