Donnerstag, 18. April 2024

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Diskussion um "Grexit"
"Griechenland ist als Volkswirtschaft insolvent"

Griechenland werde seine Schulden vermutlich sowieso nicht zurückzahlen, egal ob der Staat in der Eurozone bleibe oder nicht, sagte Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Uni Hamburg, im DLF. Wichtig sei, dass zumindest die Zinsen bedient würden.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Friedbert Meurer | 06.01.2015
    Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Uni Hamburg
    Straubhaar: Der Euro wird überleben, solange der politische Wille da ist. (imago/Reiner Zensen)
    "Meine große Sorge ist, dass wir das Geld sowieso nicht mehr sehen und jetzt eher die Frage ist: Wie können wir weitere Schäden vermeiden?", sagte Straubhaar. Falls Griechenland die Schulden zurückzahle, werde das Jahrzehnte dauern. Seiner Ansicht nach macht es deshalb aus deutscher Sicht keinen großen Unterschied, ob Griechenland in der Eurozone bleibt oder nicht: "Die Kosten für Deutschland sind genauso gigantisch."
    Bei der Schaffung des Euroraums sei richtigerweise keine Exit-Klausel eingeführt worden, um die Märkte nicht zu verunsichern. Es gebe aber eine Art passives Ausstiegsrecht. Wenn Griechenland seine Forderungen nicht erfülle, erhalte es kein weiteres Geld und die Banken könnten keine Euros mehr ausgeben - dann müssten die Griechen eine neue Währung schaffen.

    Das Interview in voller Länge:

    Friedbert Meurer: Offiziell wird es nicht bestätigt, aber die Bundesregierung will wohl nicht mehr um jeden Preis Griechenland im Euro-Raum behalten. Das war einst für Kanzlerin Angela Merkel "alternativlos. Wir müssen Griechenland retten. Wenn der Euro scheitert, scheitert auch Europa." Und das Scheitern des Euros könnte in Griechenland beginnen.
    Was geschieht eigentlich, wenn Griechenland wirklich aus dem Euro aussteigt? Zwingen kann man das Land ja nicht, wohl aber unter Druck setzen. Und was ist dann eigentlich mit den Schulden, für die wir Deutsche haften, auch haften?. Thomas Straubhaar ist Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg. Er hat bis vor kurzem auch das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut geleitet. Er hat einmal gesagt, wenn man es will, gibt es den Euro noch in 100 Jahren. Und Thomas Straubhaar habe ich heute Morgen gefragt, gilt das mit diesen 100 Jahren auch für Griechenland?
    Thomas Straubhaar: Da bin ich mir überhaupt nicht mehr so sicher, weil das ist das eine, nämlich die Frage, ob der Euro insgesamt überleben wird. Da bin ich unverändert der Meinung, dass das der Fall sein wird, solange der politische Wille insgesamt in Europa und im Euro-Raum besteht. Und das andere ist die Frage, ob er mit den heute 19 Mitgliedern das tun wird, oder ob das eine oder andere dazukommt, oder das eine oder andere davon weggeht. Und bei Griechenland steht es in der Tat auf der Kippe, die Frage nämlich, ob Griechenland bereit ist, die Spielregeln des Euro-Raums zu respektieren. Und ich denke, nur wenn das wirklich der Fall ist, dann kann Griechenland ein vollwertiges Mitglied bleiben.
    Meurer: Wollen Sie, dass Griechenland im Euro-Verbund bleibt?
    "Auch in schwierigen Zeiten, dem Euro-Verbund angehören"
    Straubhaar: Auf jeden Fall! Ich denke, das muss die allererste Priorität haben, dass nämlich alle Länder die Möglichkeit besitzen, auch in schwierigen Zeiten dem Euro-Verbund anzugehören. Man muss ja unterscheiden zwischen erstens der Frage, ob es nur ein Liquiditätsproblem ist, also die Frage, können sozusagen die Länder, die Regierungen dieser Länder kurzfristig ihre Kredite bedienen und ist die Substanz an sich gesund, oder hat es das Problem wirklich einer Insolvenz, einer längerfristig anhaltenden Problematik eines Konkurses.
    Meurer: Und was trifft hier zu?
    Straubhaar: Und das trifft in Griechenland zu und in dem Falle bedarf es gemeinsamer Anstrengungen, die von beiden Seiten zu vereinbaren sind und dann vor allem auch im Land, das davon betroffen ist, respektiert werden müssen, um dieses grundsätzliche, langfristige, strukturelle Verschuldungsproblem zu lösen.
    Meurer: Es gibt ja keine Ausstiegsklausel aus dem Euro. Niemand kann Griechenland zwingen, den Euro zu verlassen. Kann man sie doch zwingen?
    Straubhaar: Nein. Das ist eines der ganz großen Probleme, beziehungsweise wollte man das damals bei der Gründung der Europäischen Währungsunion auch so, nämlich dass kein Exit-Recht, keine Ausstiegsklausel besteht. Das ist so zu verstehen: Wenn eine solche Klausel bestanden hätte, dann hätten von allem Anfang an die Märkte und auch die Akteure darauf spekuliert, dass, wenn es diese Exit-Möglichkeit gibt, sie dann auch irgendwann mal gezogen werden würde. Deshalb hat man ganz bewusst und richtigerweise darauf verzichtet und gesagt, das ist ein Bündnis für die Ewigkeit.
    Was es aber gibt, ist so eine Art passives Ausstiegsrecht. Das heißt, wenn im Prinzip Griechenland seine Forderungen nicht erfüllt, dann fließt kein neues Geld von den Geldgebern nach Griechenland. Das wiederum würde bedeuten, dass dann in Griechenland die Banken nicht mehr mit Euros versorgt werden, und dann steht die Geldversorgung in Griechenland vor dem Zusammenbruch und die Griechen müssen dann sozusagen aus dem Alltags-Überlebenstrieb heraus so etwas wie eine neue Währung schaffen, die dann der Geldversorgung und dem Geldverkehr dient.
    Meurer: Wenn denn, Herr Straubhaar, die Bundesregierung in Berlin tatsächlich mal kurz die Folterwerkzeuge Griechenland zeigen wollte, dann hat das offenbar Syriza-Chef Alexis Tsipras nicht beeindruckt. Der sagt, ihr werdet mehr darunter zu leiden haben. Wie teuer würde ein Grexit, ein Euro-Ausstieg Griechenlands für Deutschland werden?
    Straubhaar: Erstens ist noch dazu zu sagen, dass es auch keine Politik sein kann, dem anderen mehr zu schaden, oder zu gucken, wer leidet unter einer politischen Maßnahme mehr als der andere. Das kann keine gute Politik sein. Eine gute Politik muss letztlich ganz grundsätzlich überhaupt Schäden und Kosten vermeiden, soweit es geht, und da stehen wir nun eben. Und wenn Sie mich fragen, wenn Griechenland so ein Grexit vornehmen würde und eine eigene Währung drucken würde, was die Kosten für Deutschland sind, dann sind die genauso gigantisch, wie sie bis hierhin waren und sind und sein werden, wenn Griechenland drin bliebe. Beides sind stark Kosten verursachende Politiken für Deutschland.
    Meurer: Sie sagen gerade im Moment, es spielt keine Rolle. Was ist denn mit der Zahl 65 Milliarden? Ein Viertel der Schulden gehen auf das deutsche Konto. Ist das Geld sowieso weg?
    "Es dauert Jahrzehnte, bis Griechenland seine Schulden zurückzahlen kann"
    Straubhaar: Das ist genau der Punkt, dass meine große Sorge ist, dass wir das Geld sowieso nicht mehr sehen, und dass es jetzt eher die Frage ist, wie können wir zukünftige und weitere Schäden vermeiden. Ich denke, dass Griechenland insolvent, bankrott, Konkurs ist als Volkswirtschaft, soweit das möglich ist. Das ist, glaube ich, relativ offensichtlich. Und dass es Jahrzehnte dauern wird, bis Griechenland faktisch seine Schulden zurückzahlen kann, ist ebenso klar, wenn überhaupt das jemals der Fall ist. Wichtig ist, dass die Zinsen bedient werden, und darauf würde ich mich konzentrieren, und da würde ich eher die Chance sehen, dass Griechenland die Schuldenzinsen bedienen kann - innerhalb und außerhalb des Verbundes. Aber Sie haben Recht: Ich denke, wir sollten ganz nüchtern sagen, das Geld, was im Feuer steht, diese immer wieder genannten 70 bis 80 Milliarden Euro, die werden wir kurzfristig auf keinen Fall und langfristig höchstens bestenfalls wiedersehen. Und deshalb kann es nur darum gehen, zusätzliche Schäden zu minimieren und insbesondere die Zinszahlungen sicherzustellen.
    Meurer: Es gibt ja noch eine zweite große Gefahr beim Grexit, Herr Straubhaar, nämlich die: Wenn Griechenland geht, dann wankt sozusagen der ganze Euro-Laden. Ist das heute noch so, oder sind die Mechanismen so, dass der Euro eben nicht implodieren würde, wenn Griechenland aussteigt?
    Straubhaar: Da denke ich in der Tat, sind wir heute weiter als das letzte Mal 2012 oder das erste mal 2010, als Griechenland vor dem Konkurs stand. Heute haben wir gute Hoffnungen, dass letztlich ein Grexit vor allem Griechenland das Leben schwer machen würde, nicht so sehr den europäischen Ländern, den Euro-Ländern, weil diese ähnlich, wie ich eben argumentiert habe, mittlerweile eigentlich nicht mehr davon ausgehen, dass sie das Geld kurzfristig zurückerhalten würden, und dass zweitens Mechanismen geschafft wurden, die eine Ansteckung verhindern. Es gibt einen starken, einsatzfähigen, finanzkräftigen europäischen Rettungsschirm, es gibt die Bankenunion, die Ansteckungsgefahren verhindert. Irland, Portugal sind schon weg aus fremder Hilfe. Spanien berappelt sich so langsam. Die Wirtschaft in Deutschland ist stabil, auch unabhängig von Griechenland.
    Meurer: Das hört sich alles ziemlich optimistisch an. Schauen wir nach Frankreich beispielsweise, oder doch nach Italien. Werden sich da Finanz-Hasardeure nicht darauf einschießen, um da ihr Milliardenspiel zu treiben und die Länder auch aus dem Euro zu zwingen?
    Straubhaar: Das ist eine gute Frage und ich kann das nicht ausschließen. Aber ich kann genauso argumentieren, dass gerade in Spanien, in Frankreich, in Italien werden die Menschen, wird die Bevölkerung sehen, wie es Griechenland schlecht geht, wenn Griechenland im Alleingang den Grexit exekutiert, und das wird eine gewisse Abschreckungswirkung in diesen anderen übrigen Euro-Ländern ausüben. Und zweitens gibt es mittlerweile eine Kettentheorie, die besagt, wenn das schwächste Glied der Kette den Euro-Raum verlassen würde, Griechenland, dann wird eigentlich die Kette insgesamt dadurch gestärkt und nicht geschwächt.
    Meurer: Thomas Straubhaar ist Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg. Ich sprach mit ihm über das Pro und Contra eines Grexit, eines Ausstiegs Griechenlands aus dem Euro-Verbund. Herr Straubhaar, danke für das Interview und auf Wiederhören!
    Straubhaar: Auf Wiederhören, Herr Meurer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.