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Diskussionsrunde in Berlin
Einblicke in die iranische Theaterszene

Von Barbara Behrendt | 09.02.2016
    Kopftuchpflicht, Berührungsverbot, Zensur – das sind die ersten und oft einzigen Dinge, die man in Deutschland mit iranischem Theater verbindet. Was sich dagegen thematisch und ästhetisch auf den Bühnen tut, ist kaum bekannt. Und auch bei dieser Berliner Podiumsdiskussion sind es die Augenfälligkeiten, die zuerst besprochen werden:
    "Die Frauen müssten entweder so schlecht gemachte Perücken tragen, dass man sieht, es ist eine Kopfbedeckung – oder eben Kopftuch. Und es war klar, es darf keine Berührung zwischen Mann und Frau geben, und bestimmte Wörter dürfen nicht benutzt werden. Das Wort Busen darf so nicht ausgesprochen werden. Der Umgang mit der Zensur, das war neu zu lernen, dass es sehr wenig um Inhalte ging, es ging wirklich um Formalien: Wie lang ist der Rock, die Jacke, der Mantel, sind die Haare."
    Erzählt Annette Heilmann, die früher als persönliche Referentin von Roberto Ciulli am Theater an der Ruhr gearbeitet hat – an jenem Theater, das 1999 die ersten Kontakte zur iranischen Theaterszene knüpfte.
    Wie ambivalent sich die iranischen Künstler selber zum Thema Kunst und Politik verhalten, hat die Choreografin Helena Waldmann 2004 bei einem Workshop in Teheran erfahren:
    "Ich habe die erste Aufgabe gestellt, und es kam eigentlich sofort die Reaktion: Wir haben die Nase voll. Ihr wollt nichts anderes als politische Aussagen aus uns raus zu quetschen. Wir sind auch nur Menschen wie ihr, wir wollen leben, lieben und lachen."
    Waldmann hat dann die politischen Themen bei den Proben ganz ausgeklammert – mit dem überraschenden Ergebnis, dass nun die politischen Antworten von den Schauspielerinnen selber kamen:
    "Ich glaube, was dort stattfindet, ist: Die Damen und Herren können gar nicht anders, als politische Aussagen zu machen. Egal, was sie tun, es ist in der Situation, in der sie sind, eigentlich immer politisch."
    Zu diesem Zeitpunkt der Diskussion ist der iranischen Schauspielerin und Theaterwissenschaftlerin Narges Hashempour, die ebenfalls auf dem Podium sitzt, das Missbehagen schon ins Gesicht geschrieben. Sie hatte zuvor einen ziemlich akademischen Vortrag über die iranische Theaterlandschaft der 1970er Jahre und die vitale Performance-Bewegung der Gegenwart gehalten. Dabei hatte sie die Themen Zensur, Kleidung und Politik bewusst ignoriert, um den Blick ganz auf die Ästhetik zu lenken. Jetzt interveniert sie:
    "Es gibt zwei Möglichkeiten, Iran zu sehen: Entweder, man kann die Kamera von oben haben, und was ich hier gehört habe, ist meistens die Kamera von oben. In diesen Situationen sieht man zum Beispiel nur diese Zensurbestimmungen, auf oberflächlicher Ebene. Man kann die Kamera auch unten lassen: Wir hören so etwas – und was passiert dann in dem Körper von der Gesellschaft? Das bringt plurale, ambivalente Bilder."
    Nur folgerichtig, dass Narges Hashempour insgesamt die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Europa und dem Iran als einseitig empfindet.
    Auch die iranischstämmige Tänzerin Modjgan Hashemian spricht von einem Fenster, das zu oft nur in eine Richtung geöffnet werde. Allerdings blickt sie nicht ohne Skepsis auf die offizielle Theaterszene Irans:
    "Es ist unglaublich korrupt, was da passiert. Auch diese neuen Häuser werden von privaten Investoren finanziell unterstützt und die haben auch ihre Lieblinge aus Film und Fernsehen, die sie dann auf die Bühne stellen. Es geht alles nur um Hochkultur, um Geld, wo oftmals der künstlerische Anspruch völlig flöten geht."
    Solche Einblicke in die aktuelle Theaterszene des Iran gab es bei dieser Diskussion nur selten. Wie sich die Situation der Künstler seit Rohanis Amtsantritt verändert hat und jetzt noch verändern könnte; ob die Rückkehr des Iran auf die weltpolitische Bühne nicht nur einen wirtschaftlichen Aufschwung, sondern auch einen kulturellen Aufbruch auslösen wird, welche Themen die Theaterleute momentan vor Ort verhandeln – das waren Fragen, die hier entschieden zu kurz kamen.