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DLF-Chefredakteur: Für Wulff wird es noch mal schwierig

Der Chefredakteur des Deutschlandfunks, Stephan Detjen, ist sich sicher, dass die "Bild"-Zeitung das Transkript der Mailboxnachricht von Bundespräsident Christian Wulff veröffentlichen wird. Damit werde es schwierig für Wulff, wenn da "ein möglicherweise höchst peinlicher Anruf" als Text oder Audio vorläge.

05.01.2012
    Gerd Breker: Bei mir im Studio jetzt der Chefredakteur des Deutschlandfunk, Stephan Detjen. Herr Detjen, kann man diesen Widerspruch noch auflösen?

    Stephan Detjen: Man muss ihn irgendwie auflösen. Es ist klar, da sind gestern noch mal neue Fragen entstanden. Christian Wulff hat diesen Anruf gestern als einen Fehler eingestanden, der ihm sozusagen in höchst persönlichem Affekt auf einer anstrengenden Auslandsreise unterlaufen sei. Er selber spricht von einem Impuls, der ihn zu diesem Anruf gedrängt habe. Aber tatsächlich wirkte es doch eher so – und nicht nur durch diese Irritation, die gestern in dem Interview und die anschließende Aussage von Nikolaus Blome bei uns entstanden ist -, tatsächlich wirkt es so, als habe er da durchaus planmäßig versucht, die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung zu beeinflussen. Es gab ja nicht nur diesen Anruf auf der Mailbox von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann, sondern - das ist von beiden Seiten zugestanden – auch einen Anruf beim Verlagschef, beim Vorstandsvorsitzenden des Springer-Verlages, Matthias Döpfner, und es gibt Berichte, denen zufolge der Bundespräsident auch bei der Verlegerin Friede Springer angerufen hat und versucht haben soll, dort zu intervenieren. Dazu hat sich, das ist ganz interessant, auch der Verlag selbst übrigens noch nicht geäußert.
    Jetzt ist es so, Sie haben das erwähnt, Herr Breker: Die "Bild"-Zeitung hat angekündigt, dass sie eine Mitschrift, ein Transkript dieser Mailbox-Nachricht veröffentlichen will. Das wird sicherlich geschehen. Auch wir haben heute Morgen beim Bundespräsidialamt angefragt, ob das Bundespräsidialamt im Sinne, so wie Diekmann das ja auch formuliert, der Transparenzoffensive des Bundespräsidenten dem jetzt zustimmen wird. Und das wird natürlich noch mal schwierig, wenn da jetzt ein möglicherweise höchst peinlicher Anruf des Bundespräsidenten als Text oder möglicherweise sogar als Audio, als hörbares Dokument in Erscheinung tritt.

    Breker: Denn nach dem, was man jetzt weiß, bleibt dieser Widerspruch. Beides kann nicht stimmen, entweder das eine oder das andere. Dazu würde man im Volksmund sagen, einer von beiden lügt.

    Detjen: Ich denke, man kann das möglicherweise noch mal zusammenbringen, man müsste es ergänzen, Christian Wulff müsste das präzisieren. Aber wie gesagt, aus meiner Sicht ist eines klar, dass es da nicht so einen einzelnen Anruf als spontane Reaktion gegeben hat, sondern dass das ein durchaus massiver und wie gesagt planmäßiger Versuch war, die Berichterstattung zu beeinflussen.

    Breker: Sie haben ja gestern die gesamte Ansprache, also das Fernsehinterview von ARD und ZDF, verfolgt. Hat der Bundespräsident Sie denn überzeugt? Hat er aus Ihrer Sicht alle Fragen beantwortet, die auf dem Markt sind?

    Detjen: Für mich war deutlich, dass er da eine sehr klare und durchschaubare Gesprächsstrategie verfolgt hat, auch mit Blick auf diesen Anruf. Tatsächlich gab es mindestens zwei Anrufe, er sprach dann von einem Anruf. Tatsächlich gab es einen massiven Versuch, die Berichterstattung der Zeitung zu beeinflussen, er setzt sich in die Rolle, dass es da nur um die Bitte um einen Aufschub ging. Also insgesamt war das so eine Art Verkleinerungs- und Verkleinbürgerlichungs-Strategie dieser ganzen Vorgänge, die Christian Wulff da verfolgt hat. Da wird er selber zum Bürger, der auf einmal, wie er selber sagt, ohne Karenzzeit sich im Amt des Bundespräsidenten wiederfindet und dann mit diesen ganzen Belastungen konfrontiert ist, die da auf ihn zukommen. Er schildert sich als der Privatmann, der sich auf dieser Auslandsreise plötzlich als Opfer der mächtigen "Bild"-Zeitung wähnt und deswegen mit Bitten an den Chefredakteur herantritt. Da erscheint er dann in seiner Schilderung selbst mehrfach als der kleine Junge Christian Wulff, der 14-Jährige, der väterliche Freunde hat, die ihm dann später, Jahre später in einer Familienkrise, hilfreich beispringen. Da ist von dem Urlaub im Kleinbürger-Milieu auf der Insel Norderney die Rede, im Gästezimmer eines Süßwarenhändlers. Und es ist eben nicht die Rede davon, dass es da auch noch den Urlaub in der Villa des bekannten politischen Strippenziehers und Unternehmers Maschmeyer gegeben hat, da ist eben dann nicht von den weiteren Anrufen im Zusammenhang mit der "Bild"-Berichterstattung die Rede und diese Strategie der Verkleinbürgerlichung, des Herunterspielens dieser ganzen Vorgänge, die ist natürlich fragwürdig und stößt auf.

    Breker: ARD und ZDF waren ja gestern die Auserwählten aus der Medienschar. Die privaten und vor allem die Printmedien, sie blieben außen vor. Was sagt uns das? Gibt es so eine Art Hofberichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen?

    Detjen: Das ist ja diskutiert worden. Es gab den Vorwurf, es ist die Rede heute in einigen Zeitungen von der Kritik, die geäußert wurde, gestern auch vom Journalistenverband, da ist der Vorwurf des Staatsfernsehens erhoben worden, auch bei uns im Programm sind kritische Stimmen dazu hörbar gewesen. Ich glaube, das war absolut kein Staatsfernsehen, was wir da gesehen haben gestern, sondern öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der eine öffentliche Verantwortung wahrnimmt. Dieses Interview ist vor der Ausstrahlung während der Aufzeichnung allen Journalisten, allen Parlamentsjournalisten in Berlin zugänglich gemacht worden. Private Sender haben Minuten nach der Aufzeichnung lange Ausschnitte gesendet, wir haben es parallel zur Fernsehausstrahlung im Deutschlandfunk übertragen, und die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, Bettina Schausten, und ihr ARD-Kollege, Ulrich Deppendorf, haben aus meiner Sicht alle notwendigen kritischen Fragen gestellt, die an dieser Stelle zu stellen waren, und von daher deutlich demonstriert, dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk unabhängig sein kann und dem Staatsoberhaupt in der gebotenen kritischen Distanz gegenübertreten kann.

    Breker: Der Chefredakteur des Deutschlandfunk, Stephan Detjen.

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