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DNA-Kontrollen in Kuwait
"Damit kann man politische Gegner unter Druck setzen"

Mit einem neuen Gesetz zu generellen DNA-Proben von Bürgern und Einreisenden will sich Kuwait besser vor Terrorismus schützen. Olaf Rieß, Präsident der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik, vermutet hinter dem Vorhaben allerdings auch innenpolitische Zwecke. Man könne die Tests zum Beispiel nutzen, um Personen auszusiedeln, die nicht "kuwaitisch" seien, sagte er im DLF.

Olaf Rieß im Gespräch mit Ralf Krauter | 31.10.2016
    Das kuwaitische Herrscherhaus plant die größte DNA-Datenbank der Welt - alle im Land lebenden und ins Land reisende Menschen sollen erfasst werden. Doch nach Kritik im eigenen Land und auch aus Europa scheint die Führung nun zurückzurudern
    Das kuwaitische Herrscherhaus plant die größte DNA-Datenbank der Welt. (US Department of Defense/ Bill Dorman/ dpa picture alliance)
    Ralf Krauter: Sprechen wir erst mal über die Folgen für Reisende, die so ein zwangsweiser DNA-Test hätte, wie er Kuwaits Gesetzgeber vorschwebt. Das heißt ja letztlich: Jeder, der mit dem Flugzeug dahin fliegt, müsste nach der Ankunft am Flughafen eine Blut- oder Speichelprobe abgeben. Wäre das rein technisch gesehen überhaupt machbar?
    Olaf Rieß: Ja, das ist machbar. Geplant war, dass quasi während der Einreise Speichelproben abgenommen werden, nicht Blutproben. Das ist relativ einfach durchzuführen, indem eben jeder, der bei der Einreise sein Foto oder seinen Pass vorlegt, dann gleichzeitig eben eine Speichelprobe abgenommen bekommt. Geht schnell, ist eigentlich auch mit der Passvorlage gut zu dokumentieren.
    Krauter: Wäre so was auch logistisch machbar, weil, mal angenommen, man hat dann einen Flieger, aus dem 300 Menschen aussteigen, würde von denen dann diese Proben nehmen, die müsste man ja letztlich auch erst analysieren, bevor man wüsste, welcher der Passagiere jetzt vielleicht ein mutmaßlicher Terrorist ist, oder nicht?
    Rieß: Nein, ich glaube, dass ist technisch nicht möglich, also man kann sie nicht parallel analysieren, sondern man würde sie abnehmen. Man braucht dann ungefähr zwei Tage, bis man die analysiert hat, hätte aber eben danach klar das Profil, das genetische Profil des jeweiligen, der eingereist ist.
    "Zur Terrorabwehr ist das nicht dienlich"
    Krauter: Das heißt aber, möglicherweise würde man einen potenziellen Terroristen dann erst zu spät entdecken.
    Rieß: Ja, wenn es ein Terrorist ist, der mit einem falschen Pass reist, wo man das DNA-Profil schon hat, würde man das zu spät entdecken. Auf der anderen Seite muss man ja sagen, man weiß von den potenziellen Terroristen ja nicht, dass sie potenzielle Terroristen sind. Das war einer der Gründe, warum wir als Europäische Humangenetische Gesellschaft darauf hingewiesen haben, dass das nicht zur Terrorabwehr dienlich ist.
    Krauter: Ihr Einwand ist, dass sozusagen jeder unter Generalverdacht gestellt werden würde, wenn man diese Form der Tests verpflichtend einführen würde.
    Rieß: Ganz genau. Wir haben ja in Europa und auch in Amerika klare Vorgaben und rechtliche Rahmenstellungen. In Europa haben wir so eine Konvention für Menschenrechte, und da ist im Artikel 8 ganz klar definiert, dass wenn nicht ein klarer Tatverdacht vorliegt, man die Privatsphäre der Person zu respektieren hat, und das fällt eben auch mit darunter.
    Krauter: Warum ist denn aus Ihrer Sicht, aus Sicht der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik, es deutlich schlimmer, DNA-Proben zu nehmen, als zum Beispiel Fingerabdrücke zu scannen oder biometrische Fotos zu schießen, wie es ja heute schon bei der Einreise in vielen Ländern üblich ist, zum Beispiel auch in den USA?
    Rieß: Der Punkt, der uns so besonders Sorge gemacht hat, als man dieses Gesetz ins Leben gerufen hat, ist, dass Staatssekretäre des Premierministers und des Innenministeriums dort verlauten haben lassen, dass man das auch nehmen kann, um beispielsweise Personen, die nicht kuwaitisch sind, klar zu identifizieren. Dazu muss man wissen, dass Beduinen die Regierung nicht anerkennen und dort eben lange Jahre - seit 61, wo also Kuwait gegründet wurde - geduldet werden, aber nicht als Staatsbürger richtig anerkannt werden, dass es Pläne gibt, die Beduinen auszusiedeln, und dafür könnte man DNA-Tests gut nehmen. Es gibt ungefähre Hinweise, dass das eben 200.000 Leute betreffen könnte, dass sie damit exponiert werden.
    Der andere Punkt ist, dass man mit DNA-Gutachten - das geht weiter eben über ein Passbild oder Fingerabdrücke hinaus - Vaterschaften oder Verwandtschaften nachweisen kann. Wenn man das System in Kuwait kennt, also das sehr stark patriarchalische System, da weiß man, dass man das eben auch durchaus nehmen kann, um andere potenzielle politische Gegner unter Druck zu setzen, zu sagen, du hast einen Sohn mit dieser Frau, oder man kann Frauen diskreditieren, dass sie eben einen anderen Vater für eins der Kinder haben. Das ist so auch kundgetan worden durch Regierungsmitglieder, und das hat natürlich unsere Alarmglocken klingeln lassen.
    "Vorwand, um das 'Problem mit den Beduinen' zu legalisieren"
    Krauter: Das heißt, solch eine DNA-Datenbank, wenn sie denn aufgebaut würde, könnte eben nicht nur der Terrorabwehr dienen, sondern auch für innenpolitische Zwecke letztlich eingesetzt werden dann.
    Rieß: Wir hatten sogar den Eindruck, dass das eins der maßgeblichen Gründe mit ist, dass man den Vorwand jetzt hatte, um genau dieses zu machen, insbesondere das, in Anführungsstrichen, "Problem mit den Beduinen" da irgendwo zu legalisieren.
    Krauter: Das heißt, das wäre sozusagen die Büchse der Pandora, der Weg zur Diskriminierung ganzer Bevölkerungsschichten eigentlich?
    Rieß: Ja, schien mir so.
    Krauter: Wären Sie denn etwas weniger weitreichend für Gentests bei erkennungsdienstlicher Erfassung von Personen, bei denen zum Beispiel schon ein begründeter Verdacht vorliegt, dass sie schwere Straftaten planen? Würde das Ihre Unterstützung finden?
    Rieß: Ja, würde meine Unterstützung finden. Ich glaube, dass DNA-Tests wirklich zur Verbrechensbekämpfung sehr nützlich sind, auch gezeigt haben, dass viele Verbrechen damit aufgeklärt wurden und eben dann nur durch DNA-Tests, durch andere Sachen. Ich glaube, an sich ist das etwas Vernünftiges, aber eben nur bei Tatverdächtigen.
    Krauter: Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Bedenken, die Sie geäußert haben, in Kuwait Gehör gefunden haben und dass bei der jetzt gerade in Arbeit befindlichen Überarbeitung dieser Gesetzesvorlage diesen Bedenken Rechnung getragen wurde?
    Rieß: Ja, wir sind sehr schnell nach unserem Brief an den Premierminister, den wir dann auch öffentlich gemacht haben, kontaktiert worden von Rechtsanwälten aus Kuwait, die auch gegen das Gesetz vorgehen wollten und die dann unseren Brief an den Premierminister quasi mit zur Grundlage genommen haben und gesagt haben, Achtung, hier sind auch ausländische Organisationen, die befürchten, dass wir als Kuwaitis, auch als Land damit einen Nachteil haben. Und wie gesagt, der Emir hat ja vor einer Woche dann das Parlament angewiesen, das Gesetz dementsprechend zu überarbeiten. Wir wissen eben von den Rechtsanwälten im Land, die Klage geführt haben, dass unser Brief ein ganz wesentlicher Meilenstein dabei war.
    "Wir als Wissenschaftler würden dort natürlich nicht mehr hinfahren"
    Krauter: Viele haben sich ja angesichts dieses Vorstoßes aus Kuwait die Augen gerieben und sich gedacht, das ist doch nur politischer Aktionismus, der den Freunden eines Überwachungsstaats in die Hände spielt. Ist Kuwait mit diesen Plänen denn wirklich allein auf weiter Flur, oder ist es vielleicht nur das erste Land, das sich mit solchen Ideen aus der Deckung gewagt hat?
    Rieß: Es gibt Diskussionen in mehreren arabischen Ländern, die aber nicht so weit gediehen sind. Das war für uns eben auch ein Grund, dass wir gesagt haben, hier müssen wir sofort agieren, damit andere Länder so ein bisschen auch aufgeschreckt sind. Wir haben das auch wirklich - und das sind in der Tat Bedenken - gesagt, dass diese Länder zumindest wissenschaftlich - das ist das, was wir beurteilen können - in eine Isolierung fallen, weil wir als Wissenschaftler würden dort natürlich nicht mehr hinfahren.
    Wir haben unsere Wissenschaftler der ESHG aufgerufen, nicht mehr ins Land zu reisen, solange das Gesetz nicht außer Kraft gesetzt ist, und ich glaube, dass das eben auch die Gründe waren, warum Kuwait jetzt dieses Gesetz überdenkt und diese Diskussion, die es in anderen arabischen Ländern gibt, hoffentlich damit auch gleichzeitig unterbunden wird.
    Krauter: Sagt der Präsident der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik, Professor Olaf Rieß von der Universitätsklinik Tübingen. Vielen Dank für diese Informationen und Einschätzungen zu Kuwaits Vision von der genetischen Rasterfahndung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.