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"Doktor Schiwago" in Regensburg
Schwülstig und reaktionär

Anton Lubchenko überzeugt zu Beginn seiner Opernfassung von "Doktor Schiwago" in Regensburg durch große Könnerschaft und pointiertes Zitieren fast sämtlicher Meister seines Heimatlandes. Am Ende hinterlässt das Stück jedoch zwiespältige Höreindrücke.

Von Jörn Florian Fuchs | 26.01.2015
    Aufführung von "Doktor Schiwago" als Oper in Regensburg.
    Aufführung von "Doktor Schiwago" als Oper in Regensburg. (dpa/picture alliance/Armin Weigel)
    Auf der Premierenfeier gibt es Wodka und warme Worte des Regensburger Intendanten Jens Neundorff von Enzberg. Ein kräftiges Signal für die deutsch-russische Freundschaft sei diese Premiere. Schon vor drei Jahren gab von Enzberg beim jungen Komponisten Anton Lubchenko (Jahrgang 1985) einen großen Opernstoff in Auftrag: Doktor Schiwago. Boris Pasternaks voluminösen Roman dampfte Lubchenko auf rund zweidreiviertel Stunden Musik ein. Wobei eindampfen bedeutet, die in der berühmten Verfilmung zentrale Liebesgeschichte zwischen dem Arzt und Dichter und seiner Angebeteten Lara nicht ganz so wichtig zu nehmen. Lubchenko interessiert vor allem die politische Dimension. Dazu benutzt er eine wahre Dampfwalze an Effekten. Die immer wieder aufflackernden Konflikte zwischen Revolutionären und Bewahrern alter Ordnung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts packt Lubchenko in ungeheure Klangmassen, mit ausufernden Chorpartien und pathetischem Sologesang.
    Im ersten Drittel zeichnet sich seine Partitur durch große Könnerschaft und pointiertes Zitieren fast sämtlicher Meister seines Heimatlandes aus. Nikolai Rimsky-Korsakow und Modest Mussorgsky liefern hübsche melodische Einfälle, anderes klingt nach Alexander Borodin. Peter Tschaikowsky oder Dmitri Schostakowitsch spielen ebenfalls eine Rolle, diverse Schlagwerkakzente sowie rhythmische Unruhepunkte wären ohne den Unruhestifter Schostakowitsch wohl nicht denkbar.
    Gigantische Talentvergeudung
    Man mag all das anfangs durchgehen lassen, weil es sich schön anhört und ja niemand behauptet hat, hier werde die Opernwelt neu erfunden. Doch übel nehmen muss man dem Komponisten die bald einsetzende Wurschtigkeit, mit der er zu Werke geht. Minimalistische Flächen, primitive Klangballungen nahe am Musical und immer extremerer Bombast hinterlassen zwiespältige Höreindrücke. Oft wähnt man sich in einem wild gewordenen Wurlitzer russischer Opernklassiker, vom keifenden Gottesnarren über wütende Revolutionskommandos bis zu halb wahnsinnigen Patrioten in irren Synkopenketten ist alles dabei.
    Regisseur Silviu Purcărete zeigt in Helmut Stürmers aufwendigem, oft mit Videos erweitertem Bühnenraum vorwiegend düstere Bilder, teils naturalistisch, teils märchenhaft surreal. So schreiten etwa immer wieder seltsame Tierwesen durch die Szenerie. Anton Lubchenko war dies zu viel, er stänkerte im Vorfeld gegen die Inszenierung und will sie nicht - wie ursprünglich geplant - nach Wladiwostok mitnehmen, am dortigen Opernhaus ist er nämlich Intendant, mit besten Kontakten übrigens in höchste Regierungskreise und zu Staatskünstlern wie Valery Gergiev, der ihn sehr förderte. Gegen Ende seiner Schiwago-Veroperung spielt Lubchenko noch einmal grotesk mit einschlägigen Russland-Klischees, die Rede ist da vom Westen, der die ach so tragische Seele von Mütterchen Russland einfach nicht verstehen will.
    Jenseits dieser Einwände bleibt es Tatsache, dass sich die Regensburger Musiker brillant ins Zeug legen, Michaela Schneider Lara mit gleißenden Kantilenen ausstattet und Vladimir Baykov in der Titelrolle schlicht Weltklasse ist. Letztlich jedoch handelt es sich um eine gigantische Talentvergeudung bei diesem reaktionären Machwerk. Oh, leidgeprüftes Russland beziehungsweise Regensburg!