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Doku-Drama
"Zschäpe war sicher auch der emotionale Kassenwart"

"Letzte Ausfahrt Gera - Acht Stunden mit Beate Zschäpe" ist ein ZDF-Dokudrama von Autor und Regisseur Raymond Ley. Im Zentrum steht eine Autofahrt der Angeklagten mit zwei BKA-Beamten im Jahr 2013. Man müsse, um ein Licht auf die NSU-Taten zu werfen, sich mit den möglichen Tätern beschäftigen, erklärte der Filmemacher im Corsogespräch.

Raymond Ley im Gespräch mit Eric Leimann | 25.01.2016
    Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt am 09.12.2015 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München
    Die Angeklagte Beate Zschäpe im Gerichtssaal (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    Eric Leimann: In Ihrem Doku-Drama über Beate Zschäpe versuchen Sie sich ihr über ein Roadmovie zu nähern, ein Gespräch auf einer achtstündigen Autofahrt. Warum haben Sie diesen Ansatz gewählt?
    Raymond Ley: Diese Möglichkeit hat sich ja nicht wiederholt, es war eine relativ einmalige Situation, die wahrscheinlich auch das BKA als sehr besonders empfand. Ich denke mal, dass das BKA damals auch sehr unter Druck stand, da eine Klärung herbeizuführen und vielleicht im Vorfeld vielleicht auch einen derartigen Prozess, den wir ja jetzt erleben mussten, über zwei Jahre mit Kosten, glaube ich, die um die 35 Millionen liegen - bisher - zu verhindern.
    "Eine Frau, die von ihrem eigenen Schicksal sehr begeistert ist"
    Leimann: Also die Fahrt hat auf jeden Fall den Effekt gehabt, dass Beate Zschäpe geredet hat, es heißt auch irgendwo: Sie redete viel, aber sagte wenig. Worüber wurden denn jetzt konkret gesprochen in diesen acht Stunden?
    Ley: Ich glaube auch, dass die Beamten, die sie begleitet haben, auf ein Geständnis aus waren - letztendlich. Aber die Zschäpe sagt, kaum ist sie in dem Auto drin: Also, all das, was ich hier sage, das kann ruhig aufgeschrieben werden. Also den Beamten war schon ganz klar, das wird wirklich eine harte Nuss. Und wir sehen hier praktisch eine Frau, die von ihrem eigenen Schicksal sehr begeistert ist. Die also sehr, sozusagen mit sich hadern kann. Die ja auch in Tränen ausbricht, wenn man in Jena an den Häusern vorbeifährt, die sie kennt. Dort, wo sie die Uwes erlebt hat. Dort, wo sie die Böhnhardts erlebt hat. Also das berührt sie. Aber sie findet auch auf dieser Fahrt kein Wort für die Opfer, keinen Anklang auch von Reue. Man kann so sagen: Da gibt es so ein großes - wahrscheinlich - Empathie-Defizit bei ihr. Ich glaube, solche Leute wie die Zschäpe, für die ist das in diesem rassistischen Kosmos auch gar nicht möglich. Also die sehen sich als die weiße Rasse und alles andere daneben ist für sie verachtungswürdig.
    Leimann: Jetzt haben ja die Verhör-Spezialisten vom BKA mit verschiedenen Methoden versucht, sie locker zu machen, sie zum Reden zu bringen - was waren das denn für Methoden? Welche Themen hat man den abseits des eigentlichen Gegenstands der Verhandlung da gefunden?
    Ley: Na ja, die Beamten haben es, finde ich, relativ geschickt gemacht. Sozusagen in Form einer Plauderei haben sie alle möglichen Themen angesprochen. Sie haben es sogar geschafft, innerhalb dieses Gespräches, dieser Fahrt eine Kronzeugenregelung anzubieten. Sie haben ihr gesagt: Hey, Sie sind was Besonderes. Es gibt ähnliche Fälle in der RAF. Sie schildern sehr genau, wie die Geschichte mit Christian Klar und Susanne Albrecht funktioniert hat. Und auch, wie Susanne Albrecht darauf eingegangen ist, ihre Knastzeit verringert hat, während Christian Klar relativ lange abgesessen hat. Also sie versuchen, die Zschäpe auch in die Richtung zu drücken: Wenn Sie eine Aussage machen, könnte das dem Strafmaß zugutekommen.
    "Zschäpe war auf jeden Fall sehr darum bemüht, jovial, eloquent zu wirken"
    Leimann: Würden Sie sagen, dass Beate Zschäpe sich auf dieser Autofahrt, in diesem Gespräch mit den Spezialisten als, ja, kluge oder schlaue Frau präsentiert hat?
    Ley: Das kann ich nicht sagen. Sie war auf jeden Fall sehr darum bemüht, jovial, eloquent zu wirken. Sie hielt das Gespräch in Gang. Das haben die Beamten auch später im Protokoll vermerkt: Sie kann ein Gespräch in Gang halten. Also sie ist niemand, dem man die Themen aus der Nase ziehen muss. Aber ich glaube, ihr Ehrgeiz geht auch immer darum, sozusagen, dass sie kein Wässerchen trüben kann. Dass man ihr gar nicht die mögliche Mittäterschaft zutraut.
    Leimann: Das gesamte Filmprojekt hat ja parallel stattgefunden zu dem Prozess von Beate Zschäpe. Das kommt mir jetzt erst einmal relativ ungewöhnlich vor, dass man praktisch einen Film macht über einen Gegenstand, der ja gerade noch verhandelt wird. War das nicht seltsam?
    Ley: Na ja, wir haben den Film über Oberst Klein gemacht, da war auch der Untersuchungsausschuss noch nicht abgeschlossen. Ich glaube aber, der Zschäpe-Prozess ist einer der wichtigsten Prozesse seit der RAF, seit den 70er, 80er-Jahren. Und ich glaube, in der Deutung der Figur Zschäpe kann man auch neben dem Prozess mit solchen dramatischen Mitteln, wie wir sie eingesetzt haben, arbeiten. Also die Fahrt war wie eine Steilvorlage, diese stumme Frau zum Reden zu bringen.
    Leimann: War denn diese Fahrt jetzt letztendlich ein Erfolg?
    Ley: Ich glaube schon, dass es ein Erfolg war, wenn man so ein bisschen die Quintessenz dieser Fahrt so ein bisschen reduziert, dann kommt dabei heraus, dass sie sagt: Also, ich steh zu den Taten, ich will mich entschuldigen und will meiner Großmutter alles erklären. Man kommt diesem narzisstischen Kern der Zschäpe sehr nahe. Also, wenn sie dann sagt: So einen Fall wie den meinen, den hat's doch bisher noch nicht gegeben? Da merkt man, jemand ist auch sehr darum bemüht, sich als etwas Besonderes darzustellen. Und die Beamten haben natürlich nichts unterlassen, das auch noch zu stärken. Die haben gesagt: Natürlich, sicher, außerordentlicher Fall. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, dann würde ich auch reden, dann würde ich vielleicht auch einen anderen Anwalt nehmen, der dann mit mir zusammen so eine Aussage vorbereitet. Die wollten natürlich auch die Beamten, die sie begleitet haben, auf eine ganz subtile Art gegen die Anwälte vorgehen, die die Zschäpe sich da ausgesucht hatte.
    "Der Tatanteil der Zschäpe ist ja nicht zu unterschätzen"
    Leimann: Würden Sie sagen, dass Beate Zschäpe in gewisser Hinsicht eine ehrgeizige Frau ist und welche Form von Ehrgeiz ist das eigentlich, was sie da erreichen möchte?
    Ley: Sie ist sicherlich ehrgeizig in dem Falle, wenn es darum geht, sozusagen ihre Ziele zu verfolgen und sich selber zum Opfer eine Liebe zu stilisieren. Die sozusagen leidend das Tun der beiden Uwes mitverfolgt hatte. Das ist ein unglaublicher Ehrgeiz darin, die eigene Mittat zu verharmlosen. Der Tatanteil der Zschäpe ist ja nicht zu unterschätzen. Also sie hat diese Gruppe letztendlich zusammen gehalten. Sie hat diese Gruppe auch emotional zusammen gehalten. Sie hat wechselnde Liebschaften zu Mundlos und Böhnhardt gehabt. Glaub ich, im Abschluss zu Böhnhardt, wie sie das beschreibt. Ohne diese Frau in diesem Zentrum wäre diese Dreikonstellation auch auseinandergebrochen. Die hätten sich andere Partner gesucht, diese irgendwie gegründete NSU wäre aufgebrochen und hätte sich erledigt, aber sie war sicher auch der emotionale Kassenwart von den beiden. Sie hat dieses Frau-am-Herd, Zurückkommen, Wärme. Das hat sie ja auch den beiden vorgelebt und angeboten.
    Leimann: Es wird den Vorwurf geben, dass man mit einem Film, der Beate Zschäpe so in den Mittelpunkt stellt, auch ihr Psychogramm, vielleicht zu viel Aufmerksamkeit auf die Täter lenkt.
    Ley: Ich glaube, man muss, um ein Licht auf diese Taten zu werfen, sich mit den möglichen Tätern beschäftigen. Es lässt sich - so bitter wie sich das anhört - nicht aus der Opferposition erklären. Aber gleichzeitig wollten wir diesen Opfern eine Stimme geben. Wir sind in die Türkei gefahren, wir haben mit der Familie Şimşek gesprochen, mit der Familie Özüdoğru gesprochen, wir haben mit dem Bruder von Herrn Turgut gesprochen. Also - wir sind da sehr weit gegangen, um einerseits den Narzissmus der möglichen Mittäterin Beate Zschäpe aufleuchten zu lassen und ihn zu kontrastieren mit dem Schicksal der Opfer.
    "Sie schauen auf ein neofaschistisches internationales Netzwerk zurück"
    Leimann: Was bleibt über nach dem Film, wenn man sich so lange damit beschäftigt hat - mit dem Fall?
    Ley: Für mich wird auf einmal klar, in welchem Umfeld die Zschäpes, Böhnhardts und Mundlos dieser Welt sich denn auch bewegen. Nämlich: Sie schauen auf ein neofaschistisches internationales Netzwerk zurück. Unser Film endet ja sozusagen mit dem Brief, den der Massenmörder Breivik an sie geschrieben hat. Also da war schon klar, wo Frau Zschäpe angekommen ist. Wer jetzt ihre neuen Freunde sind. Also dass sie mit diesen zehn Mordtaten, die nach ihrer Meinung die Uwes begangen haben, sie da auch in einer absoluten Liga internationaler Terroristen mitspielt. Das war für mich noch mal eine sehr ernüchternde Erkenntnis - wie unerbittlich auch das Gewaltpotenzial dieser Szene ist. Also solche Leute wie Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, gerade natürlich Mundlos und Böhnhardt, die können ja wie Schläfer agieren. Es ist möglich für einen Rechtsradikalen, für einen Neofaschisten, beim Türken sich Äpfel zu kaufen. Aber es ist auch möglich für sie, wenn sie das Gefühl haben: Die sind für eine Überfremdung meines Landes verantwortlich, dann nach Nürnberg zu gehen und Leute, die sie gar nicht kennen, die vielleicht von anderen ausgespäht wurden, zu ermorden. Weil der Rechtsradikalismus lehnt das Ethos dieser fundamentalen Menschengleichheit komplett ab. Und darauf haben die auch ihre Taten aufgebaut.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.