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Doku über Jerry Lewis' KZ-Satire
Der Film, den niemand sah

Um den Holocaust-Film "The Day The Clown Cried" ranken sich Gerüchte, Mythen und Legenden. 1972 wurde er von der Komiker-Ikone Jerry Lewis in Schweden gedreht - gezeigt wurde er jedoch nie. Lewis ließ die Motive dafür bisher im Dunkeln. Eine Dokumentation im Ersten arbeitet jetzt die mysteriöse Geschichte des Films auf.

Von Hartwig Tegeler | 03.02.2016
    Lager Auschwitz-Birkenau im Nebel: Ehemaliges Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Blick auf einen Wachturm
    "Der Clown": Eine Doku über die Geschichte eines deutschen Clowns in einem KZ. (picture alliance / dpa / Fritz Schuhmann)
    Jerry Lewis: "Ich glaubte, etwas Schreckliches getan zu haben. Und plötzlich schien alles schrecklich. Dieser Film wird mich bis an das Ende meiner Tage verfolgen."
    Da sitzt er vor Eric Friedlers Kamera, der alte Komiker. Und was er im Laufe der Dokumentation "Der Clown" sagt, macht vieles klar, was viele seit Jahr-zehnten wissen wollten. Es hat aber auch einen intensiven Ton einer Selbstgeißelung. Mea Culpa! Mea maxima culpa.
    1972. Jerry Lewis, Komiker-Ikone der 1950er und 60er Jahre, Schauspieler, Regisseur hat den Zenit seines Ruhms überschritten. In Frankreich und Schweden inszeniert er "The Day The Clown Cried", die Geschichte eines nichtjüdischen deutschen Clowns, gespielt von Lewis selbst, der als KZ-Häftling jüdische Kinder zur Gaskammer bringen soll. Um am Ende mit ihnen in den Tod zu gehen. Komik und Holocaust zusammen zu bringen, das war 1972 filmisches Neuland. Zwei Jahrzehnte vor Roberto Benignis "Das Leben ist schön" oder Radu Mihăileanus "Zug des Lebens", Filme, denen diese Gratwanderung zwischen Albtraum, Hölle und Lachen eindrucksvoll gelungen ist. Doch "The Day The Clown Cried" wurde nie gezeigt. Jede Interviewanfrage dazu beantwortete der Komiker später, wenn er denn antwortete, lakonisch bis wütend.
    "Ich war beschämt. Ich schämte mich für meine Arbeit." - Aber was bedeutet dieses "Schämen"? Eric Friedlers Annäherung an Lewis´ Film sucht im Gespräch mit ehemaligen Regieassistenten, Filmhistorikern oder den hochbetagten Schauspielern, die damals in "The Day The Clown Cried" spielten, nach einer Antwort auf diese Frage. Friedlers Doku wirkt manchmal, als ob die vielen Interviews nicht in eine stringente Erzählung gepasst hätten. Zu häufig wird dabei von "Phantom", von "Legende" geraunt, vom "großen Geheimnis" oder nicht minder großen "Mythos". Ein wenig weniger wäre mehr gewesen. Doch das ausführliche Interview, das Friedler mit dem fast 90 Jahre Jerry Lewis führen konnte, entschädigt für die langatmigen Momente. Jerry Lewis:
    "Wenn ich mich denn nun einmal dazu entschieden habe, dazu etwas zu sagen, wird mich keiner aufhalten. Ich will es, also wird es endlich geschehen."
    Annäherung an einen Film, den noch niemand gesehen hat
    Spannend wie dieses Interview ist auch das Rohmaterial von "The Day The Clown Cried", hier das erste Mal zu sehen. Diese Szenen aus diesem Material verbindet Filmemacher Eric Friedler mit einer bühnenhaften Inszenierung von Teilen des Drehbuchs, gespielt von den alten Darstellern. Versuch einer Annäherung an einen Film, den bisher niemand gesehen hat. Eine der wenigen Ausnahmen: Der Schauspieler Harry Shearer. *Der meint, Jerry Lewis´ Film sei "drastisch daneben" und sein "Pathos und seine Komik vollkommen deplatziert". Shearer sagt dies 1992 in einem Interview mit der Zeitschrift "Spy" und bezieht sich dabei, wie in "Spy" zu lesen ist, auf die Sichtung eines Rohschnittes Ende der 1970er Jahre. War Jerry Lewis tatsächlich überfordert?
    Die wenigen Ausschnitte, die wir in Eric Friedlers Dokumentation zu sehen bekommen, wirken in der Tat pathetisch und melodramatisch. Und sogar naiv! Wenn Jerry Lewis nämlich erzählt, dass er 1972 bei den Dreharbeiten als technischen Berater einen ehemaligen SS-Mann angeheuert hatte, und dass der während der Shoah direkt an der Vergasung von Juden beteiligt: Es ist es schon verstörend, wenn Lewis, selbst Jude, das bemerkt, das dieser Mann ja nur Befehlen gefolgt sei. Naiv? Überfordert? Fragezeichen? Eine Antwort wäre erst möglich, wenn wir den ganzen Film sehen könnten. Jerry Lewis gesteht zumindest ein, dass er das Thema unterschätzt habe. Und das meint er offensichtlich, wenn er davon redet, seine Idee, Komik und Holocaust zusammen zu bringen, sei ihm entglitten. Eric Friedler:
    "Comedy war für ihn dann einfach unmöglich. Es wurde dann alles zu ernst für ihn."
    Den ganzen Film "The Day The Clown Cried" konnte auch Eric Friedler nicht sehen. Aber über das Rohmaterial, das er jetzt in seiner Doku zu sehen, meint Friedler:
    "Ich persönlich habe eigentlich nur ernste Dinge gesehen."
    Bekennung zum eigenen künstlerischen Scheitern
    Nach dem Abbruch seines Projekts fiel Jerry Lewis in eine Depression. Erst 1982 schaffte er als alter, verzweifelter Comedian in Martin Scorseses Film "The King Of Comedy" ein Comeback. Doch das Scheitern seines Holocaust-Films, sagt er, begleite ihn. Warum er sich jetzt darüber nun doch in einem Interview äußerte? Vielleicht, meint Eric Friedler:
    "Er schiebt ja die Schuld auf sich selbst."
    Vielleicht versteht er das jetzt als sein Vermächtnis. Und diese Haltung, sich zum eigenen künstlerischen Scheitern zu bekennen - egal, ob wir den Film "The Day The Clown Cried" jemals zu sehen bekommen oder nicht -, das ist beeindruckend und macht auch die Erzählung darüber in der Doku "Der Clown" eindrucksvoll. Eric Friedler:
    "Gerade in Amerika, wo alle sich selbst permanent auf die Schultern klopfen und sagen, sie sind toll, nur um bloß nicht irgendeine Schwäche zuzugeben. Er hat die Größe, Schwäche zuzugeben. Das ist eine echte Größe."
    (*Anmerkung d. Redaktion: Die beiden folgenden Sätze sind nachträglich korrigiert worden.)