Freitag, 19. April 2024

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Dokumentarfilm "Bruder Jakob"
Mein Bruder, der Salafist

Jakob ist 23 Jahre alt, als er sich dem Salafismus zuwendet. Sein Bruder Elí ist Filmemacher und begleitet Jakobs Wandlung mit der Kamera. Es könnte der Weg in den Dschihad sein, doch am Ende schlägt Jakob überraschend eine andere Richtung ein.

Von Wolfgang Martin Hamdorf | 04.01.2018
    Jakob liegt im Laub und streckt Arme und Beine von sich
    "Jakob sucht die Wahrheit und ich suche Jakob", sagt Filmemacher Elí Roland Sachs (Filmstill aus "Bruder Jakob" von Eli Roland Sachs)
    "Es kann dir doch nicht gleichgültig sein, dass dein Bruder überzeugt davon ist, dass du, wenn du in deinem jetzigen Zustand als Leugner der Wahrheit stirbst, für alle Ewigkeiten in die Hölle kommst."
    Jakob möchte alle bekehren, auch seinen Bruder. Mit 23 Jahren hat er sich dem Salafismus zugewandt, einer radikalen konservativen Strömung des Islams. Zusehends entfremdet sich Jakob von seinen Freunden und seiner Familie, denn sein neuer Glaubenseifer stößt auf Unverständnis und Ablehnung. Der Regisseur Elí Roland Sachs sucht immer wieder die Nähe zu seinem Bruder und beginnt, Begegnungen und Gespräche zu filmen. Sechs Jahre lang wird er an dem Projekt arbeiten:
    "Mein Hauptanliegen bei dem Film war es zu verstehen, warum er den Islam für sich wählt und warum er so eine strenge Form für sich wählt und was das mit mir und mit uns und mit unserer Beziehung macht."
    Blick in das Innere der Familie
    Dabei kommen die Freunde aus Jakobs WG ebenso zu Wort, wie seine Familie und natürlich Jakob selbst, ein introvertierter, mitunter schwärmerischer, aber nie aggressiver junger Mann.
    Jakob und Elí Roland Sachs gehen spazieren
    Filmemacher Elí Roland Sachs mit seinem Bruder Jakob (Filmstill aus "Bruder Jakob" von Eli Roland Sachs)
    Durch die Vertrautheit mit der Hauptfigur und ihrem Umfeld gelingt es dem Film, das schon häufig behandelte Thema religiöser Radikalisierung in einem privaten Rahmen zu erzählen. Der Film beschreibt Abgrenzungsmechanismen und tief sitzende Ängste in dem scheinbar so vernünftigen und abgeklärten Umfeld einer deutschen Mittelstandsfamilie, wenn etwa Jakobs Frau Kathrin, streng bis auf das Gesicht verhüllt, ihre Position bei einem Familientreffen verteidigt:
    "Ich habe diesen Anspruch, eben meinen Glauben leben zu können, mich bedecken zu dürfen. So wie andere sich nackt ausziehen, möchte ich mich bedecken dürfen und mich eben trotzdem respektiert und willkommen fühlen in dieser Welt."
    Onkel: "Du erwartest aber auch sehr viel von mir. Ich kann es nicht, ich kann nicht völlig differenzieren, dich als Kathrin zu sehen und nicht deine Kleidung mit zu sehen. Die Tansanierinnen, die gezwungen werden, die Kleidung so zu tragen, wie du sie trägst, die werden gezwungen, wie soll ich da denn differenzieren."
    "Ganz nah an meinem Bruder"
    "Bruder Jakob" erzählt die Geschichte von Entfremdung und Annäherung jenseits der großen Schlagzeilen. Zwar geht es um religiöse Radikalisierung, aber Jakob und seine Ehefrau gehen nicht nach Syrien, werden keine IS-Terroristen. Regisseur Elí Roland Sachs ist weit entfernt von der sentimental überladenen holzschnittartigen Dramatik vieler Fernsehfilme.
    "In dem Film schwingen die Themen, die auf gesellschaftlicher Ebene diskutiert werden, auf ganz persönliche Weise mit und werden ja auch erzählt. Aber ich versuche bewusst keine allgemeinen Aussagen zu treffen, beziehungsweise immer ganz, ganz nah an meinem Bruder und an mir und an unser Beziehung zu bleiben, weil das letztendlich das Einzige ist, was ich gut beurteilen kann und worüber ich gut erzählen kann."
    Der Film zeigt aber auch sehr viel von Jakobs salafistischem Umfeld. Eine zentrale Figur ist dabei Abdul Adhim Kamouss, ein bekannter islamischer Prediger, durch Fernsehauftritte, aber auch durch seine Abkehr von einer fundamentalistischen Auslegung des Islams:
    "Für meinen Bruder war er einer der wichtigsten Imame. Und so hatte ich immer wieder Kontakt, ganz unabhängig von den Filmarbeiten und war erstaunt, wie offen Abdel Hadime gegenüber den Dreharbeiten eigentlich war und wie offen er auch für Veränderungen war, für mich auch irgendwo eine Parallele zu meinem Bruder, der auch keine Scheu hat sich weiter zu entwickeln und seinen Horizont zu erweitern. und ich glaube, da sind sich die beiden irgendwo auch ähnlich.
    Jakob betet mit Händen und Stirn auf dem Teppich
    Jakob durchlebt einen intensiven religiösen Wandel (Filmstill aus "Bruder Jakob" von Eli Roland Sachs)
    Denn Jakob kehrt dem Salafismus den Rücken und findet seine neue religiöse Heimat im Bahaitum.
    "Mein Weltbild ist auch ganz anders jetzt. Früher dachte ich, dass die Menschheit so dem Ende zugeht, und so denken ja auch die Muslime und die Christen auch. Sehr viele Menschen denken, es geht alles dem Ende zu und die Bahais glauben, also ich glaube jetzt, dass die Menschheit erst am Anfang ist."
    Neue religiöse Heimat im Bahaitum
    Mit der gleichen Ernsthaftigkeit und tiefen Überzeugung, mit dem sie sich zuvor dem Islam verschrieben hatten, sehen Jakob und seine Frau in der nachislamischen Religion der Bahai nun eine neuerliche Weiterentwicklung.
    "Mein Bruder ist, glaube ich, weiterhin ein Suchender, ein unbeirrt Suchender. Auf mich strahlt er eine große Ruhe und Zufriedenheit zur Zeit aus. Er sieht sich weiterhin als Bahai und fühlt sich dort auch sehr wohl in dieser Gemeinschaft und soweit ich das beurteilen kann, geht’s ihm ganz gut.
    "Bruder Jakob" ist kein Pamphlet, weder für die Vernunft, noch für die religiöse Selbstverwirklichung. Kein Film über den Salafismus, sondern eine teilnehmende Beobachtung über die Suche nach dem Sinn des Lebens und die Bedeutung und die Kraft menschlicher Bindungen.