Freitag, 19. April 2024

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Dokumentarfilm "Score"
Querschnitt durch die Filmmusikgeschichte

Das Ende vom Film "E.T." rührt zu Tränen und "Der weiße Hai" erzeugt Gänsehaut - das liegt auch an der Musik. Sie verstärkt die Emotionen der Zuschauer. Wie Filmmusik entsteht, zeigt der Dokumentarfilm "Score" anhand der US-amerikanischen Filmgeschichte und vieler Interviews, unter anderem mit Hans Zimmer und John Williams.

Von Agnieszka Zagozdzon | 01.01.2018
    Film, Filmrolle, Kino, Filmprojektor, Zelluloid
    Die Geschichte und stilistische Entwicklung des Genres Filmmusik seit den Anfängen der Klavierbegleitung von Stummfilmen werden anschaulich thematisiert. (dpa / picture alliance )
    Das blaue Meer füllt den gesamten Bildschirm, der Zuschauer sieht Wasserpflanzen, die in der Strömung sanft hin- und her schwanken. Die Unterwasserkamera gleitet gemächlich durch sie hindurch. Visuell weist absolut gar nichts auf irgendeine Art von Bedrohung hin - wäre da nicht dieses von den Kontrabässen und dem Klavier gespielte, kurze Motiv.
    Musik: Anfang "Jaws"-Thema
    Nur zwei Noten - eine kleine Sekunde aufwärts, eine kleine Sekunde abwärts - und kurz darauf der Einsatz der Hörner. Diese wenigen Mittel reichen aus, um dem Zuschauer klar zu machen: etwas Schweres, Großes und sehr Gefährliches ist hier auf der Jagd.
    Ein musikalischer Witz wird zur Legende
    Eine der spannendsten Stellen in dem Dokumentarfilm "Score" ist ein altes Interview zwischen dem Regisseur Steven Spielberg und seinem langjährigen Filmmusikkomponisten John Williams, in dem sie sich über genau dieses musikalische Thema aus ihrem gemeinsamen Film "Der weiße Hai" unterhalten: Spielberg erzählt unverblümt, dass er zuerst an einen Witz dachte, als Williams ihm dieses kurze Thema als musikalisches Leitmotiv für den Hai vorschlug. Doch Williams überzeugte ihn von seiner Idee - und mittlerweile zählt das Thema aus "Der weiße Hai" zu einer der populärsten musikalischen Ideen aller Zeiten.
    Die wichtigsten und bekanntesten Filmmusikkomponisten kommen in Matt Schraders Film "Score - Eine Geschichte der Filmmusik" zu Wort. Einer von ihnen ist der gebürtige Deutsche Hans Zimmer, der seit Jahren höchst erfolgreich für Hollywood arbeitet:
    "Jedes Projekt fängt im Grunde genommen gleich an: Jemand kommt vorbei und sagt 'ich habe diese und jene Idee und ich denke, das würde Spaß machen.' Und man wird da hineingezogen und ist auch ein bisschen geschmeichelt, dass man überhaupt in Betracht gezogen wurde - 'Wow, sie wollen mich dabei haben!' Doch dann, wenn man wieder alleine ist, wird einem klar: 'Ich habe keine Ahnung, wie ich das machen soll.' Nach einer Weile denkt man vielleicht: Soll ich sie anrufen und sagen 'Hey, ihr solltet vielleicht besser John Williams nehmen - ich weiß nämlich überhaupt nicht, wie ich das machen soll.' Ich weiß einfach nicht, woher die Musik kommt - und daher gibt es immer diese Angst, dass eines Tages jemand mal den Hahn zudreht."
    Viele persönliche Interviews mit Filmmusikkomponisten
    Die große Stärke von "Score" sind aber nicht nur die vielen persönlichen Interviews mit den Filmmusikkomponisten, sondern auch, dass die Geschichte und die stilistische Entwicklung des Genres anschaulich thematisiert werden: von den Anfängen mit live-gespielter Klavierbegleitung bei Stummfilmen über den ersten Einsatz eines Orchesters - 1933 in "King Kong und die weiße Frau" - den frühen Jazz-Einflüssen in "Endstation Sehnsucht" 1951 sowie den ersten experimentell-elektronischen Klängen in "Chinatown" 1974.
    Viele dieser stilistischen Neuerungen resultierten dabei ganz direkt aus den frühen Berufserfahrungen der Filmmusikkomponisten. So begann Hans Zimmer beispielsweise als Background-Musiker in dem allerersten MTV-Videoclip "Video Killed The Radio Star". Nur wenige Jahre später revolutionierte er durch seinen unkonventionellen Instrumenteneinsatz die bisherige klassisch-sinfonische Filmmusik, wie in "Score" sein Kollege John Debney anhand eines konkreten Beispiels aus dem Piratenfilm "Fluch der Karibik" erklärt:
    "Deswegen ist er revolutionär: Hans nahm die Streicher und benutzte sie wie eine Gitarre; sie spielen den Rhythmus. Das ist das interessante. Ich glaube nicht, dass jemand das zuvor schon mal gemacht hatte."
    Musik: Ausschnitt "Pirates of the Caribbean"
    Auf der ständigen Suche nach neuen Klängen
    Einige der schönsten Passagen in dem Dokumentarfilm "Score" zeigen, wie die Filmmusikkomponisten ständig auf der Suche nach neuen Klängen für ihre Arbeit sind. Nichts ist ihnen dabei zu schräg, zu exotisch oder zu seltsam: Mal ist es ein Klavier, das in der Wüste platziert wird, damit der heiße Wind die Saiten zusätzlich zum Klingen bringt, mal ist es ein fremdartiges afrikanisches Instrument oder ein bereits veraltetes wie eine Drehleier. Das Schreiben von Filmmusik, das wird in "Score" deutlich, ist ein in höchstem Maße kreativer und sehr individueller Prozess. So schildert es auch der Komponist Danny Elfman am Beispiel seiner Arbeit an Tim Burtons erstem "Batman"-Film:
    "Für 'Batman' gab es scheinbar nur eine Vorlage - nämlich John Williams; aber gerade das wollten wir nicht tun. Es gab für mich also kein Modell dafür, welche Art von Akkorden man zum Beispiel verwendet. Wie schreibt man eine dunkle Art von Musik, die aber trotzdem Spaß und Energie hat? Und dann fiel mir ein, was ich vor Jahren von Bernhard Herrmann gelernt habe: Es gibt nur eine Regel - nämlich die, dass es keine Regeln gibt."
    Musik: Ausschnitt "Batman"-Thema
    "Score - Eine Geschichte der Filmmusik" zeigt die Komponisten in verschiedenen Stadien ihrer Arbeit: bei den ersten konzeptionellen Gesprächen in sogenannten Spotting Sessions, beim Herumexperimentieren am Klavier und während der späteren Aufnahmen mit Orchester.
    Geschichte der US-amerikanischen Filmmusik
    Angemerkt werden sollte allerdings, dass in "Score" nur die Geschichte der US-amerikanischen Filmmusik thematisiert wird. Doch für musikinteressierte Cineasten - die vielleicht schon immer wissen wollten, warum ihnen am Ende von "E.T." immer die Tränen kommen oder warum das Thema aus "Indiana Jones" so ein guter Ohrwurm ist - für die bietet "Score" einen sehr informativen, höchst interessanten und sehr persönlichen Blick auf die Männer und Frauen, deren Namen vielleicht nur die wenigsten kennen - deren Musik aber oftmals unvergesslich ist.