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Dokumentarfilm "ThuleTuvalu"
Klimawandel in der Eiswüste und der Südseeidylle

Matthias von Gunten hat die Folgen des Klimawandels im Dokumentarfilm "ThuleTuvalu" festgehalten. Der Schweizer gibt Menschen aus dem grönländischen Thule und der Südseeinsel Tuvalu die Chance, ihre Ängste und auch ihre Wünsche zu zeigen.

Von Josef Schnelle | 13.08.2015
    Eine Kette von Eisbergen im grönländischen Thule.
    Würde das gesamte Eis Grönlands abschmelzen, stiege der Meeresspiegel um sieben Meter. (imago stock&people)
    Rasmus Avike ist 46 Jahre alt. Als Jäger ernährt er eine sechsköpfige Familie. Er hat Angst davor, dass er eines Tages nicht mehr jagen kann, weil das Eis im Norden Grönlands immer mehr abschmilzt. Immer kürzer wird die Zeit, in der die Inuit überhaupt jagen können. Heute freut er sich. Die Narwale sind da. Mehr als eine Tonne Fleisch bringt jeder Narwal, dazu noch einen wertvollen Stoßzahn, der an ein Einhorn erinnert, weswegen die kleinwagengroßen Fische schon früh in die Mythologie des Meeres eingegangen sind.
    1671 wurde der dänische König Christian V. auf einem Thron gekrönt, der ausschließlich aus Narwalzähnen hergestellt war. Diese Zeiten sind vorbei. Der Narwal ist geschützt. Aber die Ureinwohner im äußersten Norden Grönlands dürfen trotzdem tausend von ihnen pro Jahr erjagen. Der Name Thule stand seit der Antike sprichwörtlich für den äußersten Nordrand der Welt (lateinisch ultima Thule). In der keltischen Mythologie galt Thule als "letztes Land". Dort leben nun Rasmus und Lars und ein paar tausend Bewohner und die unvermeidlichen Eisbären. Würde das gesamte Eis Grönlands abschmelzen, stiege der Meeresspiegel um sieben Meter. Davon ist man in Tuvalu in der Südsee am ganz anderen Ende der Erde noch weit entfernt. Immerhin 19 Zentimeter stieg in den letzten 20 Jahren das Meer. Aber die Atollwelt von Tuvalu liegt an ihrem höchsten Punkt nur sechs Meter über dem Meeresspiegel. Wird das Schmelzwasser aus Thule ihr eines Tages den Garaus bereiten?
    Komplizierten Fakten des Klimawandels werden zur schlichten These
    Der Schweizer Filmregisseur Matthias von Gunten hat aus diesem weltumspannenden Widerspruch des Klimawandels seine Story gebastelt. Doch auch in Tuvalu ist es wichtig, den Fisch zu fangen.
    "Malaki, siehst du den Fisch."
    "Wir verlassen uns nicht sehr auf Geld, denn wir können allein mit unserer eigenen Ernte überleben."
    Patrick Malaki, 42 Jahre alt, er ist Fischer und Kanubauer, hat drei Kinder, doch an der Zukunft von Tuvalu zweifelt er. Ohnehin ist die bebaubare Fläche der acht Inseln sehr klein. Queen Elizabeth ist auch hier die offizielle Königin und die Atolle haben ein kleines Parlament, aber die Zukunftssorgen sind nicht politischer Natur. Der Meeresspiegel steigt und viele fragen sich: Was soll man nur tun gegen das Schicksal des Klimawandels?
    Manch einer träumt davon, dass die kleine Gemeinde evakuiert wird, am Liebsten nach Neuseeland, wo es hohe Berge gibt und tiefe Schluchten. Thule und Tuvalu sind nicht wirklich direkte Antipoden, obwohl das Filmplakat das suggeriert. Es ist als Kippbild gestaltet, mit der Eiswüste oben und der Südseeidylle unten. Matthias von Gunten hat die komplizierten Fakten des Klimawandels zu einer sehr schlichten These vereinfacht.
    Tatsächlich gibt es weltweit Menschen, die unter den Folgen des Klimawandels leiden. Zur Frage: Ist der Klimawandel ein von Menschen gemachter oder einfach eine Entwicklung, für die es keine Schuldigen gibt, äußert sich Matthias von Gunten nur indirekt durch die Romantisierung seiner Protagonisten.
    Menschen können Ängste thematisieren
    Von Gunten hat mit seinem Kameramann Pierre Mennel auch interessante Bilder, die die Folgen des Klimawandels zeigen, gefunden und er hat dabei eine wichtige Entscheidung getroffen. Anfangs hatte er den Film mit subjektiven Kommentartexten unterlegen wollen, später entschied er sich, nur noch seine Protagonisten aus Thule und Tuvalu sprechen zu lassen. Zum Beispiel Vevea Tepou mit 71 Jahren Vater von 21 Kindern. Er findet, die Hauptaufgabe der Regierung von Tuvalu müsse sein, die gesamte Bevölkerung so bald wie möglich komplett zu evakuieren. Das Land versinkt, wo soll man da noch bleiben?
    "ThuleTuvalu" ist auch deswegen ein besonders eindrucksvoller Dokumentarfilm, weil er den Menschen eine Chance gibt, ihre wahren Ängste und auch ihre Wünsche zu zeigen. Und manchmal wird es direkt philosophisch, wenn der Älteste das unausweichliche Schicksal seiner Heimat auch noch preist. Vielleicht werden das sagenhafte Thule und das Südseeparadies gleichzeitig verschwinden. Den Lauf der Welt wird das nicht verändern. Aber unsere Wahrnehmung von ihr.
    "Wir warten nur darauf, dass die Zeit kommt. Das Meer steigt und wir alle verschwinden."