Dienstag, 19. März 2024

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Dokumentarfilm "Zero Days"
"Die Geheimhaltung hat einen absurden Level erreicht"

Offiziell spricht niemand über den Cyberkrieg, der imstande ist unbemerkt zentrale Bereiche der zivilen Infrastruktur eines Landes anzugreifen. US-Regisseur Alex Gibney will mit seiner Dokumentation "Zero Days" das Schweigen über Existenz und Einsatz von Cyberwaffen brechen und eine internationale Debatte über diese moderne Kriegsführung anstoßen.

Alex Gibney im Corso-Gespräch mit Sigrid Fischer | 31.08.2016
    Regisseur Alex Gibney während der Pressekonferenz zum Film "Zero Days" auf der Berlinale 2016
    Regisseur Alex Gibney während der Pressekonferenz zum Film "Zero Days" auf der Berlinale 2016 (imago/ Seeliger)
    Sigrid Fischer: Alex Gibney, für Laien ist es nicht ganz leicht, alles in Ihrem Film komplett zu verstehen, es geht um eine komplexe und komplizierte Materie. Wie ging es Ihnen damit? Wieviel Ahnung hatten Sie davon?
    Alex Gibney: Ich wusste gar nichts über das Thema und kam nicht als Experte, sondern als Amateur dazu. Ganz naiv. Und ich glaube, es ist wichtig, mit einer gewissen Naivität an solche Projekte heranzugehen, zumindest mit Offenheit. Auch bei den Interviews stelle ich gerne die dummen Fragen. Manchmal erfährt man so viel mehr als bei den schlauen Fragen. Film ist ja nicht nur Informations-vermittlung. Wenn man jemanden da sitzen sieht, transportiert er ja viel mehr. Wie er etwas sagt, das kann einen zweifeln lassen an dem, was er sagt. Ich versuche immer, in Interviews auch den manchmal ambivalenten Charakter des Gegenübers sichtbar zu machen.
    Fischer: Existenz und Einsatz von Cyberwaffen durch Geheimdienste und Militär stehen unter großer Geheimhaltung, wie haben Sie Quellen gefunden, die Auskunft geben wollten? Wenn auch im Fall der ehemaligen Regierungsmitglieder nur sehr allgemein gehalten.
    Gibney: Ich glaube, einige Leute wollten gerne sprechen, so wie der ehemalige CIA- und NSA-Chef unter George W. Bush Michael Hayden. Viel schwieriger war es, etwas über die Details des Programms zu erfahren. Ich habe Freunde, die für Obama gearbeitet haben, die waren nicht einmal bereit, inoffiziell mit mir zu reden. Sie hatten Angst, am Lügendetektor aussagen zu müssen und strafrechtlich verfolgt zu werden. Das war sehr schwierig. Deshalb ist ein Thema des Films auch die Geheimhaltung und welche Gefahren damit verbunden sind.
    Fischer: Hatten Sie selbst auch Angst vor unangenehmen Konsequenzen?
    Gibney: Angst hatte ich nicht, aber wir waren auch sehr vorsichtig. Wir haben uns viel unterhalb des Radars bewegt. Wir haben abhörsichere Handys benutzt und verschlüsselt gemailt, wir haben manche Gespräche nur in direktem Kontakt geführt und unsere Informationen gut gehütet. Wir haben vor langer Zeit schon Kontakt zur NSA gesucht, weil wir da gerne drehen wollten. 60 Minuten des Films waren schon fertig als wir anfragten und es gingen über 150 E-Mails hin und her. Und dann kam letztens eine Mail: tut uns leid, dass wir die Interviewanfrage so spät beantworten. Würden Sie uns vielleicht eine Kopie des Films geben? Da wollte ich schon zurückschreiben: wenn ihr keine Kopie habt, macht Ihr aber Euren Job nicht ordentlich.
    Dokumente unterschiedlichster Quellen
    Fischer: Vertrauen Sie denn Ihren Quellen immer? Wenn zum Beispiel Amerikaner sagen, die Israelis hätten den Stuxnet-Code* fahrlässig in Umlauf gebracht. Das könnte auch eine interessengesteuerte Aussage sein.
    Gibney: Das stimmt, aber dieser Teil der Story wurde von israelischen Quellen bestätigt. Was man im Film sieht, ist das Material, das für jeden irgendwie zugänglich und nachvollziehbar ist. Aber dem liegen noch viele Dokumente unterschiedlichster Quellen zugrunde, die uns Vertrauen in die Richtigkeit dessen gibt, was wir im Film sagen.
    Fischer: Haben Sie versucht, Stimmen aus dem Iran zu bekommen, dem von Stuxnet attackierten Land?
    Gibney: Wir haben schon versucht, mit iranischen Offiziellen zu sprechen, wir haben konkret gesagt, was wir vorhaben und mit wem wir sprechen wollen. Und wir haben Leute im Iran gebeten, in unserem Auftrag dort zu filmen. Aber sie hatten Angst, also das Sicherheitsproblem war einfach zu groß.
    Fischer: Noch mal zur Geheimhaltung: Immer mehr Regierungshandeln spielt sich im Geheimen ab: TTIP-Verhandlungen, Drohnenkriege, etwas wie Stuxnet, Cyberangriffe. Das ist beängstigend, aber auch lächerlich zu sehen, dass auch vor Ihrer Kamera niemand drüber reden will, obwohl wir doch wissen, dass diese Dinge passieren.
    Gibney: Das hat mich ja so geärgert. Ich habe Sie ja erst nach Stuxnet gefragt, als alles schon bekannt war, und nicht vorher. Erst als man wusste, dass 1000 Zentrifugen beschädigt worden waren. Das heißt, ich habe nach etwas gefragt, das bereits öffentlich war. Und dann sagen sie: tut uns leid, das ist geheim. Nein, ist es nicht! Aber sie behaupten es. Und das ist das Absurde und Interessante, was ich herausgefunden habe. Und das meinen Michael Hayden und die anderen, wenn sie sagen: die Geheimhaltung hat einen absurden Level erreicht. Selbst Leute in der Regierung sagen, sie können schon strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie bestimmte Dinge lesen, die über die Medien leicht zugänglich sind. Das ist total idiotisch.
    Fischer: Gehen Sie davon aus, dass der dritte Weltkrieg ein Cyberkrieg wäre?
    Gibney: Dazu kann ich sagen, was einige Leute im Film sagen: "Cyber" war lange Zeit etwas, das parallel zu den konventionellen militärischen Waffen existiert hat. Und jetzt hat Cyber ganz eigenständig eine Kriegsdimension angenommen. Diesen Krieg kann man ganz leicht starten, man braucht keine Truppen dazu. Noch beängstigender ist, dass Cyberkriege, anders als die Kriege der Vergangenheit, von Kämpfern ausgefochten werden können, deren Identität unbekannt ist.
    Die Menschen sollten sich Gedanken machen
    Fischer: Wenn Staaten dazu in der Lage sind, Schadprogramme unbemerkt in der Welt zu installieren, sind es professionelle Hacker dann nicht auch, vom IS zum Beispiel?
    Gibney: Ja und nein. Sicherheitsexperten würden jetzt sagen, etwas wie Stuxnet ist für nichtstaatliche Personen nicht so leicht auszuführen. Weil es unglaublich kompliziert ist. Jetzt ist allerdings die Schablone für diese Art von Code da draußen in der freien Wildbahn unterwegs. Und die Leute der Antivirenfirma Symantec im Film sagen mir heute, dass Schadprogramme von staatlichen Akteuren immens zugenommen haben. Das finde ich interessant.
    Fischer: Mit einem Film wie "Zero Days"** kann man Menschen auch Angst machen, haben Sie das bedacht?
    Gibney: Darüber muss man sich immer Gedanken machen, denn man will ja nicht unnötig Angst verbreiten oder Leute so schockieren, dass sie sich nicht mehr hinaus trauen. Aber gleichzeitig sollten sich die Menschen Gedanken machen. Und Filme können sie emotional erreichen. Wenn sie sich nicht betroffen fühlen, werden sie nicht ihre Meinung sagen und Kritik üben, und so wird sich nichts ändern. Es ist ein Dilemma, aber wenn man nicht einfach nur schockiert, sondern seine Einschätzungen im Kontext gut begründet, dann kann man hoffentlich Veränderungen provozieren.
    Fischer: Okay, aber wenn Dokumentationen stark emotionalisieren, haben Zuschauer oft das Gefühl, manipuliert zu werden. Von Dokumentationen erwarten sie Objektivität, als ob ein Film jemals objektiv sein könnte. Wie gehen Sie mit diesem Zwiespalt um?
    Gibney: Wie Sie schon sagen: kein Film kann objektiv sein. Aber Filme können fair sein. Wie mein großer Held, der Regisseur Marcel Ophüls, mal sagte:"Ich versuche, Filme mit einem Standpunkt zu drehen, aber ich zeige auch immer, wie schwierig es ist, zu diesem Standpunkt zu gelangen." Oder wie der Physiker Richard Feynman sagte: "Es ist gut, den Dingen gegenüber offen zu sein, aber nicht so offen, dass dabei das Gehirn rausfällt."
    Fischer: Apropos offen sein: Hat Tom Cruise eigentlich Ihre HBO-Dokumentation "Going Clear" über Scientology vom letzten Jahr in irgendeiner Weise kommentiert?
    Gibney: Nein, das hat er nicht, aber ich wurde stark von seinen PR-Leuten kritisiert. Sie hatten eine klare Strategie, wie er sich verhalten sollte, wenn der Film rauskommt. Und ich weiß, dass er zusammen mit der Scientology-Führung eine PR-Strategie entworfen hat, wie sie uns angreifen.
    Fischer: Letzte Frage, Alex Gibney - welche Länder sind am besten gegen Cyberkriege gerüstet?
    Gibney: Oh, so weit reicht meine Expertise nicht, ich kann Ihnen keine Rangliste geben.
    * Stuxnet ist ein Computerwurm, der gezielt von der USA und Israel entwickelt wurde, um das iranische Atomprogramm unentdeckt zu sabotieren. Stuxnet verbreitet sich eigenständig und unkontrolliert weiter und verwischt dabei seine eigenen Spuren.
    ** "Zero Days" sind vom Hersteller unentdeckt gebliebene Sicherheitslücken in Software. Hacker, die solche Lücken entdecken, können dadurch unmittelbar angreifen, ohne dass der Hersteller die Zeit (=Zero Days) hat, Gegenmaßnahmen zu entwickeln.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.