Donnerstag, 25. April 2024

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Dokumentarfilmer Stanislaw Mucha
"Das Schwarze Meer verbindet die Menschen"

Es war eine beschwerliche Arbeitsreise: Der Dokumentarfilmer Stanislaw Mucha ist mit seinem Team einmal durch alle Anliegerstaaten des Schwarzen Meeres gereist und hat nach Gemeinsamkeiten zwischen den sonst oftmals verfeindeten Ländern gesucht - und sie gefunden.

Stanislaw Mucha im Gespräch mit Adalbert Siniawski | 19.03.2015
    Sonnenaufgang über dem Donaudelta in Rumänien.
    Sonnenaufgang über dem Donaudelta in Rumänien. (imago/imagebroker)
    Jedes Land gehe anders mit dem Meer um, sagte Mucha im DLF. "Die Türkei zum Beispiel pfeift drauf, und macht eine Müllkippe daraus, weil sie noch zwei andere Meere hat." In Russland werde das Meer zu Propagandazwecken instrumentalisiert: "Das ist wirklich schlimm, dass das Schwarze Meer das ertragen muss. Eines Tages wird es aus seinen Ufern austreten und so manchem Politiker zeigen, was es kann," so Mucha.
    Was die Menschen gemeinsam hätten, sei ihr Humor. "Ich glaube, das ist eine Art Selbstschutz gegenüber der rauen Wirklichkeit," sagte Mucha.
    An vielen Grenzen hatte das Filmteam enorme Schwierigkeiten einzureisen. Man habe sie stundenlang warten lassen und versucht zu erpressen. "Am schlimmsten war es zwischen Abchasien und Georgien, da flossen Tränen vor Verzweiflung."

    Das Interview mit Stanislaw Mucha in voller Länge:
    Adalbert Siniawski: "Tristia", so heißen die überlieferten poetischen Briefe des römischen Dichters Ovid. Diese elegischen Klagelieder schrieb er im Exil am Schwarzen Meer – düster das Wetter, rau die See und barbarisch das Volk am Verbannungsort Tomis im heutigen Rumänien. Kaiser Augustus hatte ihn fortgeschickt, wahrscheinlich, weil Ovid zuvor in seinen Gedichten über die Liebeskunst "Ars Amatoria" allzu explizit war.
    Warum erzählen wir das? Weil der polnische und in Deutschland lebende Regisseur Stanislaw Mucha vor einiger Zeit auch in Richtung Schwarzes Meer aufgebrochen ist, freiwillig allerdings, um in seinem neuen Dokumentarfilm zu erforschen, wie die Menschen in den sieben Anrainerstaaten heutzutage ticken, leben und miteinander auskommen.
    Sein Film "Tristia – Eine Scharzmeer-Odyssee" zeigt eine vielfältige, bunte und konfliktreiche Region, verbunden durch die Sehnsucht nach dem Schwarzen Meer. Und Stanislaw Mucha ist aus Düsseldorf zugeschaltet. Herr Mucha, der Dokumentarfilm wirkt streckenweise wie eine wilde Collage mit harten Schnitten, wie ein Kaleidoskop der zufälligen Eindrücke und Begegnungen auf der Straße. Kann man sich mit diesem skizzenhaften Ansatz überhaupt den Menschen nähern?
    "Was ist, wenn man die politischen Grenzen wegdenkt?"
    Stanislaw Mucha: Also, von Botschaften kann und werde ich auch nicht sprechen, weil da fühle ich mich nicht so wohl, bei den Botschaften. Aber uns hat interessiert eigentlich, gibt es etwas, was verbindet all diese Länder, die am Schwarzen Meer liegen. Es sind ganz harte politische Grenzen gewesen damals, heutzutage ist das gar nicht möglich, wahrscheinlich die nächsten 20 Jahre wird so eine Reise gar nicht möglich sein.
    Wir waren übrigens das erste Filmteam, das das geschafft hat, zum Beispiel so eine bestialische Grenze, die zwischen Abchasien und Georgien herrscht, also eine Brücke, die streng bewacht ist, wo es praktisch keine Grenze gibt, obwohl es sie gibt – aber man darf sie nicht überqueren.
    Siniawski: Und auch vor der Krimkrise.
    Mucha: Und das war vor der Krimkrise, genau. Obwohl, man hat schon das Rauschen, das ungute Rauschen in der Bevölkerung auf Schritt und Tritt getroffen und gehört. Wir wollten eigentlich überprüfen, was ist, wenn man die politischen Grenzen zum Beispiel wegdenkt? Also die Frage sozusagen nach der Identität der ganzen Länder: Haben die etwas Gemeinsames, oder ist das so wie, jeder beharrt auf dem Anderssein? Und unsere Entdeckung war, dass das Schwarze Meer, das Gewässer, die Menschen verbindet. Und dass sie sich eigentlich mehr ähneln, als sie vielleicht gern hätten.
    Siniawski: Wobei, ich hatte auch den Eindruck, ja, alle Menschen in diesen Ländern, die sind vereint in dieser Sehnsucht nach diesem Schwarzen Meer, aber trennt dieses Schwarze Meer diese Leute. Also die Konflikte und Vorurteile zwischen den Anrainerstaaten, die werden da immer wieder deutlich. Welchen Einfluss haben die Klischees und die Feindschaft zwischen den Nationen?
    "22 Stunden in der Sonne, Mobben, Drohungen"
    Mucha: Ja, jeder schimpft auf seinen Nachbarn. Das hat auch damit zu tun, wie das Schwarze Meer in dem jeweiligen von den sieben Ländern gesehen wird. Zum Beispiel, wenn man die Türkei nimmt, also sie pfeifen eigentlich auf das Schwarze Meer und machen daraus mehr oder weniger eine Müllkippe, weil sie zwei andere Meere haben.
    Oder zum Beispiel in Russland wird das Meer instrumentalisiert nicht nur für irgendwelche Kriegsschiffe und atomare Transporte à la James Bond, die vielleicht ein bisschen veraltet sind, aber man hat schon ein mulmiges Gefühl, wenn man da in Sewastopol auftaucht, sondern auch propagandamäßig wird das zu den Zwecken der – die bilden damit quasi die Jugend, also unterstützen das Heroische, das Patriotische, das Nationalistische. Und das Schwarze Meer muss das alles leider erleiden oder ertragen. Aber eines Tages, dachte ich mir, eines Tages wird das Meer aus den Ufern austreten und wird so manchen Politikern zeigen, was es noch kann.
    Siniawski: Wobei Sie im Begleittext zum Film schreiben, dass es Erlebnisse in dieser konfliktreichen Region gab, die Sie nicht zeigen wollten. Also an einigen Grenzen wurden Sie gemobbt und schikaniert. Was ist da passiert?
    Mucha: Das hat schon angefangen eigentlich, als wir die EU verlassen haben, an der polnisch-ukrainischen Grenze. Also, mit Polen ging das noch, weil ich selbst Pole bin, insofern – man kennt sich. Aber in der Ukraine dann plötzlich, zack, 22 Stunden in der Sonne, Mobben, Drohungen ertragen. Dass, wenn wir eine bestimmte Summe nicht bezahlen werden, es sein kann, dass sie dann eineinhalb Kilo Kokain finden bei uns – und was dann passieren kann, kann man sich denken.
    Zwischen Abchasien und Georgien: "Tränen und Verzweiflung"
    Und diese Probleme, diese Mobbing-Probleme, die haben angehalten bis eigentlich – ich habe mich zum ersten Mal im Leben gefreut, als ich die EU-Fahne erblickte, das war, als wir die Türkei verlassen haben mit unserem fast verschrotteten Auto. Und als ich die EU-Fahne in Bulgarien gesehen habe, da habe ich mich richtig, das erste Mal gefreut über den Anblick dieser Fahne.
    Am schlimmsten und am gefährlichsten war das zwischen Abchasien und Georgien. Da wurden wir so richtig durchgemobbt, also inklusive – uns flossen wirklich Tränen, und Verzweiflung, und wir wussten nicht, wie man weiter vorgeht. Obwohl wir sehr gut bewaffnet waren, nicht mit Waffen, sondern mit irgendwelchen ministerialen Briefen und Genehmigungen und so weiter. Aber die wollte eigentlich keiner, nicht mal sich angucken.
    Siniawski: Eine wilde, eine raue Gegend, und viele Steine im Weg. Es gibt ja gleich am Anfang des Films schon so eine Szene, in der das Filmteam mit dem Auto in einem Graben feststeckt. Ist das so eine Art –
    Mucha: Im Sumpf!
    Siniawski: Im Sumpf, ja. Ist das ein Sinnbild dafür, wie schwer diese Reise war?
    Mucha: Ja, leicht gesagt, vielleicht. Aber lieber wäre mir, ehrlich gesagt, vier- oder fünfmal so ein Sumpf – das war im Donaudelta in der Ukraine – als diese steinige Grenzüberschreitung. Wir haben das alles gefilmt, auch heimlich. Und ich habe das dann mit der Cutterin gesehen im Schnittraum, als wir saßen, dass das Material vollkommen anders ist.
    Und eigentlich kann es das nie wieder geben, das, was wir erlebt haben. Und ich wollte nicht unbedingt die Zuschauer dann zumüllen mit meinem Stöhnen und meine eigene "Tristia" schreiben wie der gute Ovid, vom Schwarzen Meer, wie schrecklich das alles ist. Sondern wir haben das einfach weggetan.
    Humor als Selbstschutz vor rauer Wirklichkeit
    Siniawski: Genau. Und es überwiegt der Humor. Kommen wir auch darauf zu sprechen, weil das zieht sich ja wirklich durch den Film. Sie zeigen oft schräge Typen und Begegnungen. Auf einem Flohmarkt in Odessa verkauft ein Mädchen eine Kalaschnikow. Später sieht man eine alte, dicke Frau, die ziemlich unvorteilhaft in der Brandung liegt und ein Schwarzmeerlied anstimmt. Warum haben Sie die Menschen so schräg und so ironisch in den Blick genommen?
    Mucha: Das ist eigentlich gar nicht mein Verdienst. Natürlich, man manipuliert –
    Siniawski: Aber Sie haben eine Auswahl getroffen!
    Mucha: Ja, selbstverständlich. Aber wir könnten eigentlich den Film siebenmal hundert Minuten machen, so viel Material hatten wir gehabt. Und das ist in der Tat, also zum Beispiel die Dame, die da liegt und sich wälzt wie ein angespülter Wal im Schwarzen Meer, korpulent, und singt über das Schwarze Meer. Sie findet sich überhaupt nicht unvorteilhaft. Das ist so manche Leute vielleicht, die zu sehr sich um ihre Fitness kümmern, die würden sie als unvorteilhaft sehen.
    Siniawski: Aber Sie haben sie auch singen lassen. Also, so ein bisschen karikiert haben Sie die Menschen schon.
    Mucha: Ich finde, nicht. So viel Macht hat man nicht im Dokumentarfilm. Und jetzt, mit dem Humor, das ist so eine Sache, das ist nicht – es gibt Ironie, es gibt Zynismus, es gibt aber Humor. Und dieser Humor, den haben die Leute am Schwarzen Meer, dem werden Sie sofort begegnen, egal, wo man da aufkreuzt. Ich gehe davon aus, dass das eine Art von Selbstschutz ist gegenüber der rauen Wirklichkeit.
    Siniawski: Sie fassen aber auch schwierige Themen an, Stichwort raue Wirklichkeit. In Odessa sprechen Sie plötzlich über das Tabuthema Homosexualität, in Sotschi geht es um die Umsiedlung der Anwohner für den Bau der Olympiastadien, und in Bulgarien fragen Sie die Fischer einfach mal so nach dem illegalen Delfinfang. Wollten Sie die Leute auch so ein bisschen provozieren? Und wie ist das, wenn quasi so die westliche Weltanschauung auf die östliche trifft?
    Mucha: Die Themen, die wir angesprochen haben, die kamen nicht von uns, sondern von den Menschen her. Wenn man dort zum Beispiel zur Recherche auftauchte, dann guckte man sich erst mal nach dem "Guten Tag", nach dem vielleicht gemeinsamen Essen oder Smalltalk achtet man drauf oder schaut, was die Menschen so bewegt.
    "Ich darf politisch unkorrekt bleiben"
    Und in jedem der Länder gibt es Sachen, die sich unterscheiden, und die Themen sozusagen bei so einem Film, die kommen nicht von uns, weil wir sind in dem Fall nicht Drehbuchautoren, die das vorschreiben können, sondern die Menschen servieren sie Ihnen dann. Und dann müssen Sie natürlich, klar, entscheiden, interessiert mich das, interessiert mich das nicht? Wie interessant ist das überhaupt für den gesamten Film?
    Siniawski: Und die Tabus haben Sie interessiert offenbar. Sie haben sich im Dokumentarfilm "Absolut Warhola" auf die Spuren der Verwandten von Andy Warhol in der Slowakei begeben, in Rumänien wollten Sie im Film "Die Wahrheit über Dracula" herausfinden, und jetzt diese Doku über die Menschen am Schwarzen Meer. Warum lenken Sie den Blick immer nach Osten?
    Mucha: Ja, das ist doch ganz klar. Ich bin ein Ossi. Also, ich bin nicht im deutschen Sinne Ossi, aber ich bin Pole, also schlimmer eigentlich als Ossi, und das ist, glaube ich –
    Siniawski: Das dürfen Sie sagen.
    Mucha: Ich darf das sagen, klar. Ich darf auch politisch unkorrekt bleiben. Polen dürfen das.
    Siniawski: Ich meine, auch politisch will ja Polen die östliche Partnerschaft vorantreiben. Ist man da als Pole in so einer Vermittlungsposition zwischen Ost und West?
    "Der Humor der Menschen hat mich platt gemacht"
    Mucha: Also, ich komme aus einem Grenzgebiet, und wenn man im Grenzgebiet aufwächst, dann hat man ziemlich schnell drauf, dass man sich sehr gut mit dem Nachbarn stellen soll. Wenn man selbst ein einigermaßen gutes Leben haben will, dann soll man mit dem Nachbarn gut leben. Und für, sagen wir so, für die östlichen Länder, genauso wie für den Westen, ist Russland zum Beispiel oder sind russischsprachige Länder mehr Nachbar, als wir vielleicht wahrhaben wollen.
    Siniawski: Ist das auch das Fazit am Ende des Drehs? Hat sich Ihr Blick auf die Schwarzmeerregion verändert nach der Reise?
    Mucha: Mein Blick hat sich nicht deshalb verändert. Die Lebhaftigkeit und vor allem der Humor der Menschen, das hat mich platt gemacht.
    Siniawski: Stanislaw Mucha war das, Regisseur des Dokumentarfilms "Tristia – Eine Schwarzmeer-Odyssee", ab heute in den deutschen Kinos zu sehen. Herr Mucha, danke für das Gespräch!
    Mucha: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.