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Dokumentarfilmfestival Doku.Arts
Internationales Festival für Filme zur Kunst

In Berlin feiert das Dokumentarfilmfestival "Doku.Arts" sein zehn-jähriges Jubiläum. Ab Donnerstag sind Dokumentarfilme über Künstler, ihren Schaffensprozess und ihr Leben zu sehen. Einige sind wahre poetisch-visuelle Meisterwerke. Andreas Lewin, Leiter des Festivals "Doku.Arts", über die 22 Filme aus 16 Ländern.

Von Bernd Sobolla | 04.10.2016
    Szene aus dem Eröffnungsfilm "Notes on Blindness" von Peter Middleton und James Spinney auf der Doku.Arts 2016
    Szene aus dem Eröffnungsfilm "Notes on Blindness" von Peter Middleton und James Spinney auf der Doku.Arts 2016 (© Peter Middleton, James Spinney aus "Notes on Blindness")
    "Ich habe damals festgestellt, dass Filme, die sich mit Kunst auseinandersetzen, bei den großen Dokumentarfilmfestivals, eigentlich eine Nebenrolle spielen, dass politische oder soziale Themen doch immer im Vordergrund stehen", sagt Andreas Lewin, Leiter des Festivals "Doku.Arts". "Das fand ich immer schade und habe dann die Idee in die Akademie der Künste getragen, wo ich damals Stipendiat war. Und habe vorgeschlagen: Warum machen wir nicht über alle Sektionen hinweg ein Festival, um diese Filme zu feiern?"
    Konkret: Wie arbeiten Künstler heute? Welchen Konzepten folgen sie? Wie befruchten sich Musik und Literatur, Schauspiel und Fotografie, Malerei und Architektur? Das Festival, das vor allem aus aufwendigen Langzeitdokumentationen besteht, widmet sich zudem einem Schwerpunkthema. In diesem Jahr geht es dabei um den Essay-Dokumentarfilm.
    "Es gibt immer mehr Essay-Filme, vor allem sie werden gezeigt im Museumsbereich und in der Kunstszene, in Galerien. Und halt immer leider immer weniger im Fernsehen."
    Eröffnungsfilm "Notes on Blindness"
    Gleich der Eröffnungsfilm "Notes on Blindness" von Peter Middleton und James Spinney ist ein großartiger Vertreter des Genres, das Biographie, Philosophie und Experiment in sich vereinigt. Er handelt von dem 1935 geborenen Theologen John Hull, der als Teenager an einer Trübung er Augenlinse erkrankte, die bei ihm 1983 zur völligen Blindheit führte. Hull beginnt mit Hilfe eines Kassettenrecorders ein Audiotagebuch zu führen, um die Veränderung seiner Sinneswelt zu verarbeiten. Die Filmemacher hingegen versuchen, Hulls Blindheit visuell zu übersetzen. Durch unscharfe Bilder, dunkle Räume, Nahaufnahme. Außerdem werden Szenen aus Hulls Leben zu den Originaltonaufnahmen von Schauspielern nachgespielt. So bleibt Hulls Stimme präsent, seine Teilnahme an der sichtbaren Welt jedoch ist gebrochen. Drei Jahre nach seiner Erblindung verschwinden allmählich auch die in seinem Kopf gespeicherten Bilder seiner Frau und seiner Tochter:
    "Jemand erinnerte mich daran, dass ein Teil des Gehirns die visuellen Eindrücke aufnimmt und verarbeitet. Was aber passiert mit diesem Teil, wenn die optischen Eindrücke verschwinden? Könnte es verantwortlich sein für mein Leidensgefühl in den letzten beiden Jahren? Ein Gefühl, dass sich mein Gehirn nach optischer Stimulation sehnt wie der Körper nach Nahrung?"
    Symposium zum Essay-Dokumentarfilm
    In einem Symposium zum Essay-Dokumentarfilm werden Filmexperten über neue Entwicklungen im Genre sprechen, aber auch, wie Andreas Lewin erläutert, über die Wahrnehmung von Bildern:
    "Und wir zeigen eben auch einige Filme, wo es um eine Philosophie des Blicks und der Bildwahrnehmung geht, unter anderem selbst Samuel Beckett hat darüber gearbeitet. Er hat seinen Film, 'Film' heißt der, das ist der einzige Film, für den er das Drehbuch geschrieben hat, und da setzt er sich auch mit filmphilosophischen Fragen auseinander."
    In dem Film, den Beckett zusammen mit Alan Schneider 1965 drehte, spielt Buster Keaton einen mysteriösen Unbekannten, der auf den Straßen Brooklyns von einer Kamera verfolgt wird. Ein Spiel, das man als Vorbote einer alles durchdringenden Medienwelt verstehen könnte. Ross Lipman beschreibt in "Notfilm" die Entstehungsgeschichte von Becketts Werk, verbindet Archivaufnahmen mit aktuellen Analysen und zeichnet so ein Porträt von einem faszinierenden Kapitel der künstlerischen Avantgarde. In dem Beckett den Protagonisten schließlich in seine Wohnung führt, die - wie so oft in seinen Stücken - nichts Heimisches bietet, was Samuel Beckett so beschreibt:
    "Eine Zelle. Ich denke, der Raum darf nur das Minimum bieten. Nichts darf irgendwie vorbereitet sein. "
    Herausragend: Ramón Gielings "Erbarme Dich - Matthäus Passions Stories"
    Besondere Aufmerksamkeit verdient auch Ramón Gielings Film "Erbarme Dich - Matthäus Passions Stories", eine grandiose Collage aus persönlichen Geschichten und Choreinlagen. In dem Werk sprechen Künstler wie der Dirigent Simon Halsey, die Schriftstellerin Anna Enquist und der Opernregisseur Peter Sellars über ihre Verbindung zu Bachs "Matthäus Passion", während ein Obdachlosenchor die Passion in einer verfallenen Amsterdamer Kirche probt. Durch Fragmente aus den Nachrichten wird der sonst intime Ton gebrochen und das Leid als universelle Erfahrung gezeigt. Peter Sellars philosophische Betrachtung dazu könnte zugleich der Schlusssatz für das Doku Arts Festival sein:
    "Trauer nimmt immer Raum in deinem Leben ein. Aber du betrittst ihn erst, wenn dich etwas an einen Punkt führst, an dem du aufgeben musst. Wo du sagen musst: Ich habe keine Antwort, keine Kontrolle über mein Leben mehr. Aber mit dieser Aufgabe gibt es eine radikale Öffnung. Du brichst aus alten Strukturen auf und eine untröstliche Melancholie bringt dich dazu, nach etwas Tieferem zu suchen."
    Das Dokumentarfilmfestival Doku.Arts findet vom 6. bis 23. Oktober 2016 in Berlin statt.