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Dokumentartheater an den Münchner Kammerspielen
In den Mühlen der Bürokratie

Die 42-jährige Argentinierin Lola Arias gilt als Star des Dokumentartheaters. In ihrem neuen Stück "What they want to hear" steht ein syrischer Flüchtling auf der Bühne und zeigt seine Versuche, dem Bamf seine Fluchtgründe zu erklären. Aufgeführt wird es an Münchener Kammerspielen.

Von Sven Ricklefs | 24.06.2018
    Der geflüchtete syrische Archäologe Raaed Al Kour steht in Lola Arias' Dokumentartheater "What they want to hear" selbst auf der Bühne und erzählt seine Geschichte
    Der geflüchtete syrische Archäologe Raaed Al Kour steht in Lola Arias' Dokumentartheater "What they want to hear" selbst auf der Bühne (Münchner Kammerspiele / Thomas Aurin)
    Eigentlich ist Deutschland fein raus. Es liegt so mittig in Europa, dass die Möglichkeit sehr nahe liegt, dass ein Flüchtling in irgendeinem anderen Land registriert wurde, bevor er deutschen Boden betritt. Dann aber kann er dorthin abgeschoben werden, sofern das Land ein sogenanntes sicheres ist. Darum dreht es sich angeblich im großen Showdown zwischen Merkel und Seehofer, der gerade auf der Berliner Bühne gespielt wird, und davon handelt auch "What they want to hear" von Lola Arias an den Münchner Kammerspielen.
    Dem Stück liegt der authentische Fall des 30-jährigen syrischen Archäologen Raaed Al Kour zu Grunde, der auf seiner Flucht vor dem Krieg in seiner Heimat und vor der Verfolgung durch das Assad-Regime in Bulgarien aufgegriffen wurde. Dort erhielt er einen subsidiären Flüchtlingsstatus, floh aber von dort wiederum wegen Bedrohung und unmenschlicher Unterbringungsbedingungen weiter nach Deutschland. Seit vier Jahren nun oder genauer gesagt seit 1.620 Tagen steckt er in den Mühlen des Bamf, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dessen Abschiebe-Bescheid nach Bulgarien zwar widersprochen werden konnte, das sich aber noch immer nicht zu einer endgültigen Entscheidung in seinem Fall durchrang.
    Atmosphäre eines chronischen Misstrauens
    "My name is Raaed Al Kour. I am a Syrian archeologist. In 2013 I escaped from the war in Syria. January 2014 I arrived to Germany and started the process of asylum."
    Raaed Al Kour steht nun in Lola Arias' Dokumentartheater "What they want to hear" selbst auf der Bühne, erzählt seine Geschichte und spielt sich auch selbst in jenen Szenen, die ihn etwa mit seiner Anwältin zeigen oder bei seinen Anhörungen im Bamf. Es sind diese Anhörungen, die einem Flüchtling die einzige Chance bieten, seine Geschichte und die Gründe für ein Asyl einem einzelnen Gegenüber, dem sogenannten Entscheider, in aller Eindringlichkeit glaubhaft zu vermitteln.
    Dass dabei viel allein im Akt der Übersetzung verfälscht werden kann oder sich in der Atmosphäre eines chronischen Misstrauens abspielt, darum geht es in "What they want to hear". Und natürlich um die schiere Unmöglichkeit, die jeweiligen Geschichten etwa von Kriegstraumata oder Fluchthorror letztlich zu beweisen. Zudem treffen diese weniger auf Menschen als auf das Groteske der Bürokratie:
    "Fiedler mit Anhörung zum Aktenzeichen 279/2014. Bitte öffnen Sie hierfür Anhörung-Standard-Mann und fügen Sie bitte ein wie folgt: Sternchen 11. Neuer Absatz Frage Doppelpunkt."
    Spielball bürokratischer Verfahren
    Während also Raaed Al Kour im realistisch nachgebauten Behördenbüro jenen Fragen ausgesetzt ist, werden über ihm - im zweiten Stock des Bühnenkastens - etwa die Protokolle seiner Anhörungen auf eine Leinwand projiziert, laufen kurze Videos aus den ersten Tagen der syrischen Proteste gegen das Assad-Regime oder: Es spielen sich kurze Szenen aus dem Flüchtlingsalltag ab.
    Lola Arias ist international bekannt für den sehr respektvollen Zugriff ihres Dokumentartheaters auf Menschen und ihre Schicksale, die immer auch für etwas Größeres stehen. Und so wirft sie auch jetzt wieder mit "What they want to hear" ein behutsames Schlaglicht auf Menschenleben, diesmal auf jene, die zu Spielbällen bürokratischer Verfahren werden.
    Dabei lässt sie auch noch die Geschichten einiger anderer ihrer Darsteller aufscheinen, seien es solche aus dem Ensemble der Münchner Kammerspiele oder auch jene aus dem Open Border Ensemble, das aus syrischen Schauspielern besteht, die auf Einladung der Kammerspiele seit Kurzem für ein Jahr mit Arbeitsvisa in München auf der Bühne stehen. Und so zeigt sich "What they want to hear" als eindringlicher und ruhiger, theatraler Kommentar zur gerade jetzt wieder hochgepeitschten Flüchtlingsdebatte.