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Dokumentation "Nicht alles war schlecht"
Fehlende Banalität des DDR-Alltags

"Nicht alles war schlecht" - so hat das ZDF 25 Jahre nach dem Mauerfall seine Dokumentation über den Alltag in der DDR genannt. Die Schriftstellerin und Journalistin Kathrin Aehnlich, selbst in der DDR aufgewachsen, fehlte es dabei an Tiefe. "Das wurde zunehmend peinlich, ging nicht auf", sagte sie im Deutschlandfunk.

Kathrin Aehnlich im Gespräch mit Christine Heuer | 29.01.2014
    Christine Heuer: Nicht alles war schlecht in der DDR, hört man schon mal im Gespräch mit denen, die den real existierenden Sozialismus selbst erlebt haben, und spätestens an dem Punkt ist dann auch jede Diskussion zu Ende. "Nicht alles war schlecht" – so hat das ZDF 25 Jahre nach dem Mauerfall seine Dokumentation über den Alltag in der DDR genannt. Der erste Teil lief gestern Abend. Ich habe ihn mir angeschaut und Kathrin Aehnlich hat das auch getan. Die Schriftstellerin und Journalistin ist Ende der 50er-Jahre in Leipzig geboren, hat also die DDR und die Wende bewusst erlebt und thematisiert beides in ihren Büchern, zuletzt in dem Roman "Wenn die Wale an Land gehen". Guten Morgen, Frau Aehnlich.
    Kathrin Aehnlich: Guten Morgen!
    Heuer: Wie hat es Ihnen gefallen?
    Aehnlich: Das ist sehr zwiespältig. Einerseits finde ich es schon mal gut, wenn das ZDF zur Prime Time Dokumentationen sendet. Andererseits hat sich wieder gezeigt, dass einfach diese Fülle dieser Themen, die unter diesem Motto standen, wie war die DDR wirklich, dass sich das nicht einlöst in dieser Form. Insofern fehlte mir die Tiefe und mir fehlte ganz einfach diese ganze Banalität des Alltags der DDR.
    Heuer: Das war in der Tat eine sehr kleinteilige Dokumentation, in der Tat, Ihnen offenbar zu oberflächlich, und es war ein Film für Wessis, denn es wurde den Wessis so ein bisschen erklärt, wie der Alltag in der DDR sich tatsächlich abgespielt hat. Wer nicht in der DDR gelebt hat, glauben Sie, der hat jetzt tatsächlich ein besseres Gefühl dafür, wie es war?
    Aehnlich: Das glaube ich nicht. Ich gebe Ihnen mal ein schönes Beispiel. Meine Tochter, die ist 1987 geboren, und ich habe natürlich immer Episoden aus der DDR erzählt, und dann hat sie mal gesagt, ja, das war als Krieg war, und dann habe ich gesagt, Krieg war bei der Oma, bei mir war die DDR. Ich glaube, diesen Eindruck vermittelt dann auch so ein bisschen diese Serie, dieses kurze Geschichten erzählen, und es bleibt einfach auf dieser Episodenebene stehen.
    Heuer: Die Unterhaltung, die Sie gerade geschildert haben, die Sie mit Ihrer Tochter führen, die ist ja eigentlich auch das Grundkonzept in diesem Film. Da gibt es viel altes Filmmaterial, es gibt aber auch Spielszenen, in denen ein Endzwanziger versucht, sich in den DDR-Alltag zurückzuversetzen. Das ist sozusagen Reality-TV eines Nachgeborenen. Hat Sie das überzeugt?
    Aehnlich: Das hat mich leider nicht überzeugt. Ich fand die Idee spannend. Das ist ein sehr spannender Ansatz und es fing sehr schön an. Er saß mit seinen Eltern da, sie guckten alte Dias an und er sagte: "Ihr seht nicht glücklich aus auf diesen Bildern". Jetzt hätte eigentlich der Film anfangen müssen. Jetzt hätte er seine Eltern fragen müssen, warum. Die Eltern haben ja dann auch die DDR verlassen.
    Diese Frage wurde einfach nicht wieder aufgenommen, die Eltern verschwanden, sondern er versuchte, sich jetzt in bestimmte DDR-Situationen hineinzuversetzen. Er ging zu einem nachgespielten DDR-Friseur, der ihm eine Kaltwelle machte, oder, was ich äußerst peinlich fand, ins Schulmuseum, wo dann eine ehemalige Lehrerin eine ehemalige DDR-Lehrerin spielte. Das wurde zunehmend peinlich, ging nicht auf, und ich halte es nach wie vor für spannend, wirklich jemanden aus dieser Generation zu nehmen, der seine Eltern befragt und seine Eltern in die Zange nimmt, so wie wir unsere Eltern über die Kriegszeit befragt haben, und nur sagt, warum habt ihr das so gemacht, wie war das, wie habt ihr euch in diesem Land eingerichtet. Das ist noch offen.
    "Ich war zu Teilen glücklich"
    Heuer: Der Protagonist stellt viele Fragen. Die Frage nach dem Glück stellt er in der Tat eigentlich nicht den Eltern, aber sich selbst. Die Frage kommt vor: Wäre ich glücklich gewesen. Frau Aehnlich, waren Sie glücklich in der DDR?
    Aehnlich: Ich war zu Teilen glücklich, ganz einfach, weil ich es ja nicht in Frage gestellt habe lange Zeit. Ich bin 1957 geboren, bin in den 60er-Jahren zur Schule gegangen, habe meine Schulfreunde gehabt und war jung, habe mich verliebt, Diskothek und all diese Dinge. Da ist man durchaus glücklich. Das Unglücklichsein kam in dem Moment, wo man anfing, bestimmte Dinge in diesem Land zu begreifen, zum Beispiel: Warum gibt es im Konzentrationslager Buchenwald keinen Gedenkstein für die ermordeten Juden. Solche Sachen, an dem Punkt begann sozusagen mein zwiespältiges Gefühl zu meinem Land. Aber da war ich natürlich schon viel älter, habe schon viel mehr reflektiert. Der Rest war relativ unreflektiert und war Alltag, ganz einfach. Der war nicht immer schlecht.
    Heuer: Erinnern Sie sich an etwas besonderes aus Ihrem DDR-Alltag heute noch besonders gerne, etwas was es in der Bundesrepublik heute so nicht mehr gibt?
    Aehnlich: Ich glaube, es war schon wirklich eine große Solidarität unter den Leuten, unter Nachbarn. Es gibt zum Beispiel eine Episode: Meine Tochter war krank und hatte Durchfall und meine Nachbarin hatte in ihrer Betriebskantine zum Mittagessen eine Banane bekommen, was ja wieder dieses Klischee bedient, aber die gab es nun wirklich nicht oft. Und dann hat die die nicht gegessen, sondern mit nach Hause gebracht, hat bei mir geklingelt und hat die mir gegeben. Das waren diese kleinen Gesten, jeder wusste, was der andere eigentlich macht, alles war relativ gleich. Es gab nicht diese Sorge um Existenz, es gab andere Sorgen, aber das ist ja dann die politische Ebene. Ich glaube, das ist so ein bisschen verloren gegangen. Wir sind alle zu Einzelkämpfern geworden.
    Heuer: Fehlte Ihnen in dieser Dokumentation – das war ja jetzt auch nur der erste Teil – etwas Entscheidendes, ein besonderer Aspekt, den Sie ganz wichtig gefunden hätten?
    Aehnlich: Das kann ich so nicht sagen. Mir waren es einfach zu viele Aspekte. Wenn ich mal ein Beispiel sagen kann: Die Andrea Kiewel sagte, dass die Frauen in der DDR den Frauen in der Bundesrepublik zehn Jahre voraus waren. Das kann man im Grunde genommen so sagen, aber man muss jetzt sagen, unter welchen Bedingungen, denn die Frauen mussten mitarbeiten, weil einfach das Familieneinkommen sonst nicht gereicht hätte, und Frauen, die zuhause blieben, waren verpönt. Da hätte ich gerne, dass man nachgefragt hätte, wollten denn die Frauen das eigentlich. Wollten die gerne Verkehrspolizistin sein, wollten die gerne Kranführerin sein, wollten die eigentlich so emanzipiert sein und wie war denn das mit der Emanzipation auf der politischen Ebene, wie viele Frauen waren denn im Politbüro zum Beispiel, hatten die Stimmrecht. Ich wäre gerne bei diesen Themen mehr in die Tiefe gegangen und dann wäre das für mich spannender geworden.
    Heuer: Frau Aehnlich, ganz zum Schluss und wirklich mit der Bitte um eine kurze Antwort. Die Doku heißt "Nicht alles war schlecht". Was hätten wir herüberretten sollen aus der DDR, außer den Kitas und dem grünen Pfeil?
    Aehnlich: Wir hätten herüberretten sollen die Akzeptanz von Kunst, das Auseinandersetzen von Kunst und die Solidarität der Menschen untereinander.
    Heuer: Kathrin Aehnlich, Schriftstellerin, Journalistin, selbst hat sie den DDR-Alltag lange erlebt, und sie hat sich die Dokumentation "Nicht alles war schlecht" gestern angeschaut. Wir sprachen über diese ZDF-Dokumentation. Kathrin Aehnlich, vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.