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Dokumentation über "Charlie Hebdo"-Attentat
Humor bis zum Tod

Das Attentat auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" hatte weltweit Entsetzen ausgelöst. Islamisten töteten am 7. Januar 2015 elf Menschen, weil das Magazin Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte. Zwei Filmemacher haben sich nun in einer Dokumentation mit dem Attentat und seinen Folgen auseinandergesetzt, der Titel: "L'humour à mort", auf Deutsch: "Humor bis zum Tod".

Von Wolfgang Hamdorf | 04.01.2016
    Eine Frau zeigt die erste Ausgabe des Satiremagazins "Charlie Hebdo" nach den Anschlägen von Paris.
    Sonderausgabe von "Charlie Hebdo" nach den Anschlägen von Paris mit der Bildüberschrift "Alles ist vergeben" und der Prophet mit einem "Je suis Charlie" Plakat in der Hand. (picture alliance / dpa / Ian Langsdon)
    Vier Millionen Menschen demonstrierten in Frankreich um der Opfer der Terroranschläge zu gedenken. Zwei Millionen davon auf den Straßen von Paris, soviel wie seit der Befreiung von Paris im Jahr 1944 nicht mehr. Regisseur Daniel Leconte hat sich bereits 2007 in einem Dokumentarfilm mit dem Spannungsfeld von den Blasphemie und Meinungsfreiheit beschäftigt. Darin ging um die dänischen Mohammed-Karikaturen und den Prozess, der sich fragte, ob das Satiremagazin Charlie Hebdo die Titelkarikatur veröffentlichen durfte: Der Prophet Mohammed rauft sich die Haare und klagt über seine fanatischen Gläubigen:
    "Ich habe damals den Prozess begleitet, als der Nationalrat der französischen Muslime Charlie Hebdo verklagte. Mir ging es besonders um die Argumente der Redaktion: Sie haben die Mohammed-Karikaturen der dänischen Jyllands Posten nicht veröffentlicht, weil sie ihnen so gut gefallen haben, sondern, um ein Zeichen für die Meinungsfreiheit zu setzen. Es war eine sehr spannende Auseinandersetzung vor Gericht von hohem philosophischem Niveau. Am Ende haben die Richter Charlie Hebdo Recht gegeben, dass die Meinungsfreiheit ein ganz wertvolles öffentliches Gut ist. Damals dachten wir, dass die Auseinandersetzung mit dem Freispruch abgeschlossen sei."
    Linksintellektuelle Arm in Arm mit gewalttätigen Islamisten
    Aber dann, so der 66-jährige Regisseur, gab es eine Kampagne von Intellektuellen und Künstlern, die die Zeitschrift als rassistisch und islamfeindlich denunzierte und parallel dazu die Aktionen fanatischer Islamisten: Über Charb, den Chefredakteur verhängte Al-Quaida schon 2011 ein Todesurteil. Kurz darauf gab es einen Brandanschlag und Ende 2014 stand Charlie Hebdo völlig allein da, mit nur noch 30.000 verkauften Exemplaren.
    Filmemacher Leconte versteht seinen neuen Film als eine traurige Fortsetzung einer gesellschaftlichen Debatte über Meinungsfreiheit und religiöse Gefühle. Eine Auseinandersetzung, bei der laizistische Linksintellektuelle Verständnis für gewalttätige Islamisten propagierten:
    "Ich möchte es mit der Situation in den 30er-Jahren vergleichen, an die Versuche, Hitler und die Nazis zu rechtfertigen. Da wurde immer die große Demütigung angeführt; der Vertrag von Versailles habe zur Radikalisierung Deutschlands beigetragen und das heißt am Ende, dass Frankreich, die USA und Großbritannien eigentlich verantwortlich für den Naziterror waren: Die Opfer sind die Täter und die Mörder sind die Opfer."
    Dabei zeigt Daniel Leconte, gemeinsam mit seinem Sohn und Koregisseur Emmanuel Leconte, auch, wie die Zeitschrift bewusst und provokant immer wieder an die Grenzen des guten Geschmacks geht. In einer Charlie-Hebdo-Karikatur etwa ist ein Fundamentalist zu sehen. Er gibt sich damit zufrieden, dass statt des Gesichtes des Propheten nur der Penis des Propheten gezeigt wird. Oder in einer anderen Karikatur: Ein riesiger Finger zerdrückt einen kleinen, schwerbewaffneten Islamisten. Darunter ist zu lesen: "Gott ist groß genug, um Mohammed zu verteidigen! Verstanden?" Über Geschmack lässt sich streiten, aber es geht den Filmemachern auch nicht darum, Charlie Hebdo zum moralischen Mainstream einer säkularen Gesellschaft zu erheben oder religiösen Aktivisten das Recht auf Entrüstung abzusprechen:
    "Das ist auch ihr gutes Recht. Demokratie bedeutet immer Streit, Auseinandersetzung, ein Ausloten der Grenzen. Aber eine Grenze, die nicht überschritten werden darf, ist die Gewaltfreiheit. Keiner hat das Recht, jemanden körperlich anzugreifen, nur weil er geschockt ist von dessen Meinungsäußerung oder seinem Verhalten. In unserer Gesellschaft ist immer jemand geschockt: Der Politiker über den Journalist und umgekehrt, oder mein Nachbar ist schockiert, weil ich schlecht koche."
    Ein persönlicher und sehr engagierter Film
    Wichtig sind den Regisseuren aber auch die Stimmen moderater Muslime, etwa der Angehörigen des ermordeten Polizisten Ahmet Merabet oder des Philosophie-Lehrers Soufiane Zitouni, die sich vehement gegen islamistischen Terror richten - und die für mehr muslimische Selbstkritik plädieren:
    "Es kann doch nicht sein, dass jetzt gefragt wird: 'Warum muss sich der normale Moslem von radikalen Fundamentalisten distanzieren?' Ja, wenn nicht der Moslem, wer denn dann? Wir? Die Atheisten? Die Christen? Protestanten? Juden? Sollen sie das an Stelle der Moslems distanzieren? Nein, die Moslems müssen sich äußern. Es wäre so, als würde man heute erklären, ein Katholik müsse nicht die Inquisition kritisieren. Die Moslems haben ein Problem mit ihren Extremisten; und sie sollten sie kritisieren. Als Moslems und Franzosen müssen sich entscheiden, wer ihr Freund und wer ihr Feind ist. Stehen sie auf der Seite derer, die sagen: Nicht in meinem Namen! Oder auf der Seite der Terroristen, die im Namen Mohammeds töten. Das ist die entscheidende Frage."
    JE SUIS CHARLIE ist ein persönlicher, ein sehr engagierter Film. Die Botschaft der beiden Filmemacher: Die tödlichen Anschläge haben nicht zum Ende von Witz und Satire geführt. Die Sonderausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Massaker zeigt wieder eine Mohammed-Karikatur. Die Bildüberschrift sagt: "Alles ist vergeben" und der Prophet hält ein "Je suis Charlie" Plakat in der Hand.