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Dokumente über Uiguren-Verfolgung
Bütikofer (Grüne): "Unakzeptabel, wenn europäische Unternehmen aus dem Elend Profite ziehen"

Die jetzt dokumentierte systematische, mit künstlicher Intelligenz perfekt organisierte Unterdrückung der Uiguren durch die chinesische Führung, sei eine neue Qualität, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer im Dlf. Deutsche Unternehmen, die in China tätig sind, müssten Konsequenzen ziehen.

Reinhard Bütikofer im Gespräch mit Christine Heuer | 25.11.2019
Der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen) Sauer/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Europaabgeordneter Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen) (dpa-Zentralbild/Stefan Sauer)
Christine Heuer: Wir möchten das Thema vertiefen mit Reinhard Bütikofer von den Grünen, Vorsitzender der China-Delegation im Europäischen Parlament. Guten Abend, Herr Bütikofer.
Reinhard Bütikofer: Schönen guten Abend.
Heuer: Hat China Cables Sie in irgendeiner Weise überrascht?
Bütikofer: Ja! – Vieles von dem, was da jetzt schwarz auf weiß nachzulesen ist, hatte man ja in der einen oder anderen Form schon von einzelnen Betroffenen gehört. Aber was mich überrascht hat war, dass der Widerstand gegen diese brutale Politik zur Unterdrückung der Muslime in Xinjiang auch innerhalb des chinesischen Apparates offenbar so stark ist, dass jetzt irgendjemand sich veranlasst sah, diese Dokumente der Öffentlichkeit mitzuteilen. Das ist ja ein massiver Schlag gegen die Politik der chinesischen KP. Es ist auch ein Schlag gegen Xi Jinping persönlich, weil der ja in diesen Dokumenten persönlich für diese Unterdrückungskampagne verantwortlich gemacht wird.
Siedlung südlich von Kashgar in der chinesischen Provinz Xinjiang am 4.6.2019
Minderheiten in China - Die Lage der Uiguren
Lagerhaft, Zwangsarbeit, Zwangs-sterilisationen: Die Menschen-rechtslage in Chinas Uiguren-Provinz Xinjiang wird immer prekärer. Fragen und Antworten zu einem Konflikt, in den möglicherweise auch internationale Firmen verstrickt sind.
"Die offizielle Politik Chinas gibt die Unterdrückung nicht zu"
Heuer: Wie bewerten Sie denn in der Sache, was die Recherchen jetzt zu Tage gefördert haben? Wie muss man so etwas, was da beschrieben ist, benennen?
Bütikofer: Mir fallen da nur schreckliche Ausdrücke dafür ein. Das ist der schlimmste Polizeistaat, den es derzeit auf der Welt gibt. Das ist Totalitarismus pur, rücksichtslos, gnadenlos, zynisch. Das ist wirklich in seiner kalten Planerfüllungsmentalität unglaublich brutal.
Heuer: Welches Ziel verfolgt Peking mit der Unterdrückung der Uiguren?
Bütikofer: Die offizielle Politik Chinas gibt ja die Unterdrückung nicht wirklich zu. Die haben ja die ganze Zeit behauptet, das wäre eigentlich so eine Art Berufsweiterbildung. Das ist jetzt widerlegt. Die Begründung dafür, dass man gegen die Muslime in Xinjiang, vor allem gegen die Uiguren besondere Maßnahmen ergreift, wird darin gesehen, dass man sagt, da hat es Terroranschläge gegeben – stimmt leider, die hat es gegeben – und man will jetzt den Terror rücksichtslos bekämpfen. Aber tatsächlich – das zeigen die Dokumente – wird ja nicht der Terror bekämpft, sondern es wird jeder bekämpft, der auch nur von weitem im Anschein steht, ein gläubiger Muslim zu sein. Und wenn, wie die Dokumente zeigen, jemand zu zehn Jahren Knast verurteilt wird, weil er zum Nachbarn gesagt hat, der solle lieber beten als Pornos gucken, dann zeigt das die ganze Absurdität der Schutzbehauptung.
Übrigens hat die aktuelle chinesische Führung mit dieser Politik eine jahrzehntelange Politik gegenüber den nationalen Minderheiten in China auf den Kopf gestellt. Diese Art von systematischer, mit künstlicher Intelligenz perfekt organisierter Unterdrückung, das ist eine neue Qualität. Das ist der Umschlag von einem autoritären Regime ins Totalitäre.
Entweder sich offen mit China anlegen oder Geschäfte einstellen
Heuer: Nun fordert die Bundesregierung den freien Zugang von Menschenrechtsexperten in die Lager. Sehen Sie eine Chance, dass Peking Experten da reinlässt?
Bütikofer: Ich denke, es ist richtig, diese Forderung aufzustellen. Die Vereinten Nationen haben die Forderung ja schon lange erhoben. Ich finde, das sollte die EU durchaus auch gemeinsam und auch alle einzelnen Mitgliedsländer der EU nachdrücklich wiederholen.
Heuer: Aber wird das zu etwas führen, Herr Bütikofer?
Bütikofer: Ich glaube nicht, dass es die einzige Maßnahme ist, die uns einfallen wird. Ich glaube, man wird auch an einer ganz anderen Stelle ansetzen müssen.
Heuer: An welcher?
Bütikofer: Ich erinnere mich, dass der Chef von Volkswagen noch vor einigen Monaten in der BBC in einem Interview gesagt hat, er habe noch gar nichts davon gehört, dass es da in Xinjiang irgendwelche Probleme gebe. Das war besonders zynisch. Ich glaube, man wird europäische Unternehmen, die in Xinjiang produzieren, fragen müssen, in welchem Umfang sie eigentlich von der Zwangsarbeit, die da organisiert wird, profitieren, in welchem Umfang sie sich darauf einlassen, den Muslimen Spielräume zu nehmen. Ich finde, man muss das genauso angehen, wie das vor 40 Jahren mit der Apartheid in Südafrika war, als man gesagt hat, es ist unanständig und unakzeptabel, aus der Unterdrückung und dem Elend der Schwarzen in Südafrika Profite zu ziehen. Genauso unanständig und unakzeptabel ist es, wenn europäische Unternehmen aus dem Elend in Xinjiang Profite ziehen. Ich glaube, wenn man diese Seite, diese wirtschaftliche Seite aufzieht, das kann schon eine Wirkung haben.
Heuer: VW und Siemens produzieren übrigens auch in Xinjiang. Ich verstehe Sie richtig? Sie glauben, die wissen, wovon sie da profitieren?
Bütikofer: Ja!
Heuer: Wenn das so ist, welche Forderung stellen Sie dann ganz konkret?
Bütikofer: Ich stelle die Forderung, entweder sich offen mit der chinesischen Politik in Xinjiang anzulegen und zum Beispiel für die uigurischen Mitarbeiter die Rechte zu garantieren, die die chinesische Staatsführung ihnen nehmen will, oder aber dort das Geschäft einzustellen.
Es hat eine Rolle rückwärts zum Schlechteren gegeben
Heuer: Kann die Bundesregierung da behilflich sein? Bisher heißt es ja in Berlin, Sanktionen fassen wir nicht ins Auge und den Wirtschaftsunternehmen (auch den deutschen) reden wir da nicht rein.
Bütikofer: Na wenn die Bundesregierung das nicht macht, dann wird es die Zivilgesellschaft machen müssen. Ich finde, wir haben in den letzten drei Jahren, seit Xi Jinping in China die Führung übernommen hat, zur Kenntnis nehmen müssen, dass es da eine Rolle rückwärts zum Schlechteren gegeben hat. Dass gesellschaftliche Grauzonen, die es vorher noch gab, in denen sich auch zivilgesellschaftliche Organisationen ein Stück weit bewegen konnten, rabiat abgeschafft wurden, dass Menschenrechtsverteidiger selber in den Knast kamen, dass die politische Entscheidungsmacht so konzentriert wurde, dass man heute von einer Ein-Mann-Diktatur sprechen kann, und wenn wir nicht völlig unglaubwürdig werden wollen, gegenüber den Werten der Demokratie, des Rechtsstaates und der Menschenrechte, auf die wir uns in der EU gemeinsam berufen, dann werden wir nicht Augen und Ohren zumachen können gegenüber solchen Praktiken.
Heuer: Vielleicht, Herr Bütikofer, ist die Bundesregierung ja auch nur realistisch. Sie sagt, wir führen ernste Gespräche. Aber mal im Ernst: Wenn die Bundesregierung Sanktionen verhängt, gegen China, stört das die Chinesen überhaupt? Tut es denen noch weh, so groß, wie die inzwischen sind?
Bütikofer: Ich glaube, wir sollten uns in eine Falle nicht begeben: Die chinesische KP ist fleißig dabei, der ganzen Welt einzureden, dass sie am Ende sowieso unaufhaltsam seien, dass ihnen sowieso keiner was könne, dass sie ohnehin auf der Gewinnerstraße sind, wenn nicht jetzt, dann später. Ich halte das für ein Propagandagerücht und glaube, dass die demokratische Bewegung in Hongkong gezeigt hat im letzten halben Jahr, dass diese angebliche Unverwundbarkeit und Unaufhaltsamkeit dieser Art von Autoritarismus in Wirklichkeit erschüttert werden kann. Deswegen glaube ich auch, dass es unsere Pflicht ist, da eine klare Position zu beziehen. Ich würde nicht als erstes darüber reden, jetzt flächendeckende Sanktionen gegen China zu verhängen, aber ich würde wollen – und das hat übrigens das Europäische Parlament schon mehrfach mit sehr großer Mehrheit beschlossen -, dass wir einen global wirksamen Mechanismus für Sanktionen gegen Einzelpersonen einführen in der EU, mit denen man gegen solche Leute vorgehen kann, die sich in besonderer Weise gegen Menschenrechte vergehen, wie zum Beispiel den Parteiboss von Xinjiang.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.