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Dokuserie "Die Rekruten" im Netz
Die Bundeswehr entdeckt YouTube

Mit Filmclips im Stil von Dokusoaps wirbt die Bundeswehr im Internet um Soldatennachwuchs. Nach vielen kritischen und hämischen Kommentaren geben die Corso-Filmkritiker Jörg Albrecht und Hartwig Tegeler ihr professionelles Urteil ab.

Von Jörg Albrecht und Hartwig Tegeler | 03.11.2016
    Ein Plakat der Bundeswehr trägt am 01.11.2016 in Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) den Schriftzug "Wir suchen keine Götter in Weiss. Wir suchen Helden in Grün.". Die Bundeswehr hat die knapp acht Millionen Euro Ausgaben für die Reality-Dokumentation "Die Rekruten" bezahlt.
    Werbekampagne der Bundeswehr in Stralsund. Die Bundeswehr hat die knapp acht Millionen Euro Ausgaben für die Reality-Dokumentation "Die Rekruten" bezahlt. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    "Ja hallo Leute, ich sitze jetzt hier im Zug auf dem Weg zur Kaserne."
    Albrecht: "Na schau mal einer an, die Bundeswehr hat YouTube entdeckt. Und das gerade mal fünf Jahre nach Merkel. Die wusste immerhin schon 2011, wie und wo man die Heranwachsenden im Land erreicht und Werbung für sich und die Bundesregierung machen kann."
    Hartwig: "Werbung. Gutes Stichwort. "Die Rekruten - Deine Grundausbildung als Webserie" heißt das Format von kurzen, circa fünf, sechs Minuten langen Filmchen."
    Jörg: "Nicht Filmchen! Das sind Clips. Ist ja schließlich das total hippe YouTube!"
    Hartwig: "Bitte sehr: Clips. Von denen gibt es die nächsten 12 Wochen - so lange dauert ja die Grundausbildung, auch unsere "an den Clips" - immer so einen oder zwei pro Tag. Die Kamera: hautnah dabei, wenn die Rekruten - es sind 12, die im Mittelpunkt stehen. Wenn also die 12 Rekruten die härtesten drei Monate ihres Lebens."
    Jörg: "Ist das so?"
    Hartwig: "Ja, steht im Originalton Bundeswehr-Pressetext. Ich kann's nicht beurteilen. Hab Zivildienst gemacht."
    Jörg: "Ich verstehe. Dann hatten es andere schwer mit dir. Aber lass doch mal den ersten Clip laufen. Der trägt ja den fast schon selbstironischen Titel "Kulturschock Bundeswehr Tag 01"."
    Clips in Bullaugenperspektive
    "Wir gehen mal rein. Dann haben wir hier unseren ersten Tisch. Hier kontrollieren wir erst mal die ganzen Sachen, die Sie mitgebracht haben."
    Hartwig: "Moment mal! Das Bild ist ja rund. Warum? Nein, lass, ich glaube, ich weiß: Weil es bei der Bundeswehr keine Ecken und Kanten gibt?"
    Jörg: "Viel besser: Das Ganze spielt an der Küste. In einer Marinetechnikschule in Stralsund. Da hat man sich wahrscheinlich gedacht: Machen wir die Clips doch mal in der Bullaugenperspektive!"
    Hartwig: "Komm, sind auf jeden Fall Bilder, die man so aus dem Kino nicht kennt und eigentlich auch nur bei YouTube von irgendwelchen Klapskallis, die auf hohe Gebäude klettern und sich dabei filmen."
    Jörg: "Und nervt mich schon nach 30 Sekunden. Soll aber natürlich vor allem cool sein. Sind übrigens alles Aufnahmen mit dem Smartphone, gerne verwendet als Ego-Cam, also quasi Selfies der Protagonisten als bewegte Bilder."
    Konkurrenz für die YouTube Stars?
    "Ich bin überwältigt. Das ist alles so neu für mich. Och schön!"
    Hartwig: "Komm, mit der Schauspielkunst mag's nicht weit her sein, aber das sind doch überzeugende Selbstdarsteller. Und lass uns an dieser Stelle ruhig diese Fanfare erklingen lassen. Denn wir haben einen neuen YouTube-Star: Hauptbootsmann Loose."
    "Es gibt zwei verschiedene Arten, diese Linie zu übertreten: eine richtige und eine falsche."
    Jörg: "Lieber LeFloid, liebe DagiBee und lieber Torge: Da ist Konkurrenz ist im Anmarsch!"
    Hartwig: Reality-TV grüßen oder auch Doku-Soap: irgendwo zwischen "Teenager außer Kontrolle", "Big Brother" und "Berlin - Tag & Nacht".
    Jörg: "Gute Zeiten, schlechte Zeiten beim Bund". Nur eben in ganz echt, nicht gescriptet. Echte Typen in echten Situationen.
    "Ich bin überwältigt."
    Hartwig: "Nennen's wir doch besser: "authentisch". Meint das Gleiche, ist aber besser zu vermarkten. Alles wie das Leben: mal als Drama, mal als Komödie. Manchmal liefert "Die Rekruten" sogar eine richtige Charakterstudie."
    "Full Metal Jacket"-Feeling
    "Ich bin Jerome, bin 18 Jahre alt, wohne hier in Moers."
    Jörg: "Und jetzt sind wir schon bei Tag 02 und dem ersten Morgen in Stralsund - sogar ein bisschen "Full Metal Jacket"-Feeling auf beim Wecken um 4 Uhr 50."
    "Ich glaube, mein Schwein pfeift. Ab! Hoch!"
    Hartwig: "Ist ja auch, wie ich hörte, kein Kindergeburtstag beim Kommiss. Unglaublich nah dran und unglaublich - ich sag's noch mal: "authentisch". Endlich ein YouTube-Clip mit Echtheitszertifikat."
    Jörg: "Und schon jetzt durch den Kakao gezogen vom Satiremagazin Titanic mit eigenem YouTube-Clip. Weißt du, was schade ist?"
    Hartwig: "Nöö."
    Jörg: "Dass die YouTube-Sperrtafel "Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar" ausgerechnet an dem Tag abgeschaltet worden ist, an dem die Bundeswehr "Die Rekruten" gestartet hat."
    Hartwig: "Ich finde, Du bist gemein."
    "Auf die Stuben - weg!"