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Dombrovskis: Lettland ist drei Monate vom Staatsbankrott entfernt

Eine Milliarde Euro hat Lettland aus internationalen Geldern erhalten, um seine Wirtschaft aufrecht zu erhalten. Fließen keine weiteren Mittel, ist das Land im Juni bankrott, sagt Ministerpräsident Valdis Dombrovskis. Doch die Auflage des Westens für mehr Geld heißt: mehr sparen - und das machen die Bürger nicht mit.

Von Albrecht Breitschuh | 16.03.2009
    Ein Markt in Riga. Raimonds Leimanis und seine Frau Aija stehen hier seit neun Uhr und verkaufen Milch. Um halb fünf sind sie aufgestanden, nachdem sie die Kühe gemolken und gefüttert haben, machten sie sich mit 220 Litern Milch auf in die über 100 Kilometer entfernte lettische Hauptstadt. Doch der Weg lohnt sich. Hier können sie den Liter für umgerechnet knapp 60 Cent verkaufen. Die Molkereien zahlen nicht viel mehr als 10 Cent. Und Raimonds Leimanis braucht das Geld:

    "Wir müssen wegen unserer Kredite hierher kommen und Geld verdienen, sonst verlieren wir unseren Hof. Vor der Krise lagen die Zinsen bei 8,8 Prozent, in den ersten drei Monaten des Jahres bei 17. Jetzt sind sie etwas runtergegangen. Aber die Banken wollen die Krise nicht mit uns teilen. Bei der Kreditvergabe waren sie höflich, jetzt aber, wo die Krise da ist, werden die Zinsen hochgeschraubt."

    Doch nicht nur die Landwirte klagen. Bei einem Gang durch die Rigaer Innenstadt wird schnell klar, wie angespannt die Lage ist. Viele Geschäfte und Kneipen haben aufgegeben oder werben mit Preisnachlass von bis zu 80 Prozent wegen Räumungsverkauf. "Die Party ist vorbei", hatte Lettlands Zentralbankchef Ilmars Rimsevics kürzlich in einem Interview mit der FAZ verkündet. Dass das Land noch keinen Bankrott anmelden musste, lag allein am Kredit vom Internationalen Währungsfond und einiger EU-Mitglieder, doch die Gefahr sei noch akut, so der seit vergangenem Donnerstag amtierende Ministerpräsident Valdis Dombrovskis:

    "Wenn wir keine weiteren Geldmittel über internationale Kredite erhalten, dann ist in der zweiten Hälfte im Juni das Geld in der Staatskasse alle. Dann kann der Staat keine Gehälter und keine Renten mehr bezahlen, auch nicht die Rechnungen des öffentlichen Bereichs oder nur noch in dem Ausmaß, wie Geld hereinkommt. Das ist dann ein Staatsbankrott."

    7,5 Milliarden Euro stehen an internationalen Krediten zur Verfügung, gut eine Milliarde hat Lettland bisher tatsächlich erhalten. Dass weitere Mittel fließen, hängt unter anderem davon ab, wie erfolgreich die neue Regierung mit ihren Sparbemühungen ist. Gekürzt werden soll vor allem im öffentlichen Dienst, durch Stellenstreichungen und 20 Prozent weniger Gehalt. Wegen ähnlicher Vorschläge hatte es Anfang des Jahres gewaltsame Proteste in Riga gegeben. Dass sich so etwas nun wiederholt, befürchtet der frühere Wirtschaftsminister des Landes Krisjanis Karins, der heute als Abgeordneter im Parlament sitzt:

    "Das ist eine der großen Gefahren, die wir haben. Die Frage ist ganz einfach, ob die neue Regierung von der Bevölkerung unterstützt wird oder nicht. Die letzte Regierung hatte am Ende nur noch 14 Prozent Unterstützung in der Bevölkerung, was unhaltbar ist. Wenn wir Unterstützung kriegen, haben wir eine gute Chance."

    Immerhin haben sich die Medien des Landes überwiegend für die Sparpläne der Regierung ausgesprochen. Und die muss nun auch noch den Internationalen Währungsfond davon überzeugen, dass sie das Geld auch dann bekommt, wenn sie die Kreditbedingungen nicht erfüllen kann, so Ministerpräsident Dombrovskis:

    "Es wird für uns ganz wichtig sein, über weitere Kreditbedingungen zu verhandeln. Ursprünglich gingen alle Beteiligten von einem Rückgang der Wirtschaft um fünf Prozent aus, die jetzige Prognose liegt bei minus 12 Prozent oder noch höher. Deswegen sind wir der Meinung, dass wir uns ein etwas höheres Haushaltsdefizit erlauben können."

    Mit falschen Prognosen hat auch Aivars Bramanis so seine Erfahrung gemacht. Der 53 Jahre alte arbeitslose Schweißer sitzt im Wartezimmer des Arbeitsamtes in Riga und wundert sich noch immer, warum es ihn getroffen hat:

    "Ich habe 4 Jahre in Norwegen gearbeitet, dann hat unsere Regierung gerufen - Letten kommt nach Hause, hier geht es bergauf. Jetzt bereue ich, dass ich zurückgekommen bin. Man hat uns Arbeit und goldene Berge versprochen. Wenn ich bloß nicht darauf reingefallen und in Norwegen geblieben wäre, wäre ich heute wirklich in goldenen Bergen. Jetzt bin ich irgendwo – am Fuß des Berges."