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Donald Antrim: "Das smaragdene Licht in der Luft"
Die Psyche pillenschluckender Männer

In den Erzählungen von Donald Antrim geht es um nervöse Männer und den Zwang der Gesellschaft, Menschen einordnen zu wollen. Da passt es nur zu gut, dass die Geschichten zum Teil in Psychiatrien spielen.

Von Tobias Lehmkuhl | 30.03.2016
    "Es stimmte, er hatte etwas zu viele Tabletten ausgekippt, und einige waren in Richtung der Gewürze, des Ketchups, des Zuckers, des Salz- und Pfefferstreuers und so weiter davon gekullert, und ihm fehlte - was fehlte ihm? Alice’ Anteil hatte er unter Kontrolle. Und da lagen seine rosa-gelben Antipsychotika. Wo waren seine Betablocker?"
    Pillen und schöne Worte
    Sieben Geschichten enthält Donald Antrims Erzählungsband "Das smaragdene Licht in der Luft", und es fällt schwer, eine davon als beispielhaft auszuwählen. Denn obwohl die verschiedenen Figuren sich allesamt ähneln - nervöse, pillenschluckende, psychiatrieerfahrene Männer vor allem - steht doch jede Erzählung für sich, ist doch eine, wie man so sagt, besser als die andere, jede einzelne ein meisterhaftes Beispiel ihres Genres: Da ist das Paar, das sich mit Pillen und schönen Worten an der Illusion eines glücklichen Lebens festkrallt, der Mann, der auf jeder Party zwanghaft seine Ex-Frau zitiert, der Möchtegern-Schriftsteller, der obsessiv jeden Gedanken und jede Beobachtung notieren muss und darüber sein Leben aus dem Blick verliert. Oder, in der Titelgeschichte, Billy French, der bei allen Schicksalsschlägen versucht, tapfer weiterzumachen:
    "In weniger als einem Jahr hatte er seine Mutter, seinen Vater und die Liebe seines Lebens verloren, als die er Julia empfunden hatte und zuweilen immer noch empfand; und im Laufe dieses Jahres oder vielmehr im Zuge seiner suizidalen Nachwirkungen hatte er sich zweimal in die psychiatrische Station der Universitätsklinik aufnehmen lassen, wo er bei beiden Aufenthalten an drei Vormittagen die Woche auf einen Operationstisch geklettert war und weinend die Decke angestarrt hatte, während Ärzte den Impuls eingestellt und ihm Elektroden an die Stirn geklebt hatten."
    Jede dieser Erzählungen greift nur eine Szene aus dem Leben ihrer jeweiligen Hauptfigur auf, oft sind es nur wenige Minuten, die wir Billy, Jonathan, Claire oder Alice begleiten, und doch werden sie in diesen kurzen Ausschnitten fasslich, faltet sich ihr Schicksal vor uns auf. Dabei erscheinen sie nie allein als pathologische Fälle. Die Abweichung im psychologischen Apparat fasst Antrim vielmehr als Teil ihrer selbst auf, für ihn ist beispielsweise Depression keine Krankheit, die sich wie ein Schnupfen heilen lässt. Krankhaft oder zumindest zwanghaft erscheint vielmehr der Versuch der Gesellschaft, diese Abweichungen einzuordnen und auszumerzen. Beispielhaft hier ein Gespräch zwischen zwei Psychologen im Roman "Der Wahrheitsfinder":
    "Manisch?"
    "Möglicherweise hat er manische Tendenzen, ja."
    "Schizoid?, fragte der Auszubildende der Kinderpsychologie aufgeregt."
    "Das ist gut möglich."
    "Paranoid?"
    "Paranoid, oh ja, ohne Zweifel, sagte Konwicki."
    "Winnicott’sches falsches Ich? Wahnhafte Macht- und Allwissenheitsphantasien? Sexuelle Devianzen?, rief Bob wie ein Wahnsinniger."
    "Ich würde nichts ausschießen, Bob."
    "Phantastisch!"
    Es geht um eine gestörte Gesellschaft
    Hier wird klar, dass es in Donald Antrims Erzählungen und Romanen nicht um gestörte Individuen, sondern um eine gestörte Gesellschaft geht. Die stärksten Bilder dafür findet er in dem Roman "Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt". Folgt er in "Das smaragdene Licht in der Luft" ganz einer realistischen Erzählhaltung, finden hier einige fantastische Verschiebungen statt: Der Bürgermeister einer Kleinstadt schießt mit Stingerraketen auf seine Mitbürger, die vierteilen ihn daraufhin und beginnen, um ihre Häuser Gräben auszuheben, die mit den absurdesten Sicherheitsvorkehrungen versehen sind, auch wenn Haustiere und Nachbarskinder dadurch gefährdet werden. Wr dagegen, etwa auf einer Gemeindeversammlung Einspruch erhebt, wird schnell niedergemacht.
    "Bill wurde pathetisch und sagte: Ich lehne es ab mir von irgend so einem Tierfreund sagen zu lassen, ich soll einen Maschendrahtzaun um meinen rasengestützten Abwehrschacht ziehen, weil er oder sie Angst hat, dass sein oder ihr Hund oder Katze mal da hineinläuft." Er gluckste vermutlich über dieses ironische Bild einer Grube oder eines Grabens mit einem Zaun drum herum. Mehrere Männer und Frauen unter den Zuhörern glucksten mit. Bill blähte er seinen Brustkorb und schloss: "Liebe Freunde, heute Abend ist der kleine Jeff mit dem Babysitter zu Hause, und lasst es mich euch sagen: Mit ist eine ganze Menge wohler bei dem Gedanken, dass da ein System vernetzter und elektronisch zündbarer Splitterbomben scharfgemacht und entsichert in der Kapuzinerkresse vor seinem Fenster liegt."
    Hauptfigur dieses Romans ist Jeff, ein Lehrer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, jeden Körperteil des zerfetzten Bürgermeisters einzeln und an verschiedenen Orten zu begraben, während seine Frau sich in Trancezustände in einen Quastenflosser verwandelt. Eine Schule gibt es nicht mehr, denn der Staat hat diese Stadt völlig verlassen, so dass sich jeder seiner Obsession hingeben kann, seien es Waffen, isolationistische Abschottungsphantasien oder dann eben doch der Versuch, eine Privatschule zu gründen. Dass sich gerade dieses Projekt als das am Ende schrecklichste herausstellt, ist Antrims bittere Pointe. Lehren sind aus seinen Geschichten nicht zu ziehen. Die Möglichkeit einer "Gesundung" erweist sich als Illusion. Rettung oder zumindest Trost verspricht allein der scharfe Witz, mit dem Antrim von den Untiefen unserer Welt und von den Abgründen eines jeden Einzelnen erzählt.
    Donald Antrim: Das smaragdene Licht in der Luft, Übersetzt von Nikolaus Stingl, Rowohlt Verlag 2015, 224 Seiten, 18,95 Euro
    Donald Antrim: Der Wahrheitsfinder. Übersetzt von Brigitte Heinrich. Rowohlt Verlag 2015. 224 Seiten, 12,99 Euro
    Donald Antrim: Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt. Übersetzt von Gottfried Röckelein. Rowohlt Verlag 2015. 224 Seiten, 12,99 Euro