Donnerstag, 18. April 2024

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Doping im DDR-Sport
Menschliche Versuchskaninchen

Seit Jahrzehnten ist bekannt, wie Leistungssportler der DDR mit unerlaubten Methoden behandelt wurden, um Medaillen zu gewinnen. Die ARD-Dopingredaktion hat mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung aufgedeckt: Für Erfolge der Stars des DDR-Sports mussten Freizeitsportler die Knochen hinhalten.

Von Peter Wozny | 26.02.2021
Ein DDR -Trainingsanzug ist 2010 in der Ausstellung "Wir gegen uns" im Bonner Haus der Geschichte zu sehen
Experten schätzen, dass mehrere Hundert Freizeitsportler als Versuchskaninchen für die Stars des DDR-Sports missbraucht wurden. (imago images / epd)
Noch immer wirkt Hans-Albrecht Kühne agil, wenn er durch seine Heimatstadt Güstrow läuft. Seine angeschlagene Gesundheit sieht man ihm nicht sofort an. Kühne war in der DDR ein ambitionierter Freizeitläufer – kein Spitzensportler. Doch gut genug, um sich vom bekannten DDR-Sportmediziner Hermann Buhl für Forschungen anwerben zu lassen. "Es hieß, es sei eine Forschung, die nicht als Doping bezeichnet werden kann. Aber die ungeheuer nützlich ist, Analogieschlüsse ziehen könnte für die Leistungssportler."
Forschung, nützlich, aber auch streng geheim. Kühne durfte nicht aufzeichnen, was am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport in Leipzig, kurz FKS, Mitte der 70er-Jahre geschah. Er führte trotzdem ein Tagebuch. Es begann mit Laktattests auf dem Laufband. Doch schon bald folgten extrem schmerzhafte Muskel- und Leberbiopsien, also Gewebeentnahmen.
Die Skulptur Speerwerfer steht vor dem Gebäude der ehemailigen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig. Dort befinden sich jetzt Räume der sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig und der Handelshochschule Leipzig. Der vordere Teil des Speeres an der Skulptur ist abgebrochen. Ausschnitt aus der Skulptur Speerwerfer

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DHfK Leipzig - Forschungszentrum oder Doping-Labor?
Die deutsche Hochschule für Körperkultur sorgte in der damaligen Sportwissenschaft für sensationelle Neuerungen. Umstritten ist jedoch ihr Beitrag zum Staatsdoping in der DDR.
Wie diese Biopsien aussahen, zeigen geheime Filmaufnahmen von 1976 für die Staatsführung der DDR: Der Mediziner Buhl rammt die Spitze einer Metallstanze in den Oberschenkel. Hans-Albrecht Kühne sieht sich in dem Film als jungen Mann, der leidet. "Das geht mir schon tüchtig nahe. Ich hab die Schmerzen noch mal empfunden. Also es war grenzwertig. Aber ich muss es mir nicht oft anschauen."

Extrem hohe Dosierungen und Nebenwirkungen

Die Biopsien zerstörten das Lymphsystem in seinem linken Bein. Kühne ist bis an sein Lebensende auf medizinische Behandlungen angewiesen.
1976 beschreibt Kühne in seinem Tagebuch, wie Dr. Buhl ihm das anabole Steroid "Depot-Turinabol" verabreicht. Es war aggressiver als der DDR-Dopingklassiker Oral-Turinabol. Kühne notiert extrem hohe Dosierungen und Nebenwirkungen. "Dass ich eben Schmerzen im Unterleib bekam. Nierenschmerzen, dass dann plötzlich ein Hoden geschwollen war, mal der linke, mal der rechte, viel größer - und dass es blutig aussah, das Ejakulat. Das war also völlig verfärbt."

"Wir reden hier nicht von Einzelpersonen"

Die Recherchen der ARD-Dopingredaktion decken auch Versuchsreihen in anderen Sportarten auf. Sogar für Expertinnen der DDR-Dopinghistorie sind die Experimente an Freizeitsportlern noch Neuland. Anne Drescher, die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, sagt: "Wenn wir davon ausgehen, dass über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren am FKS Forschungskonzeptionen in einer großen Fülle entwickelt wurden und durchgeführt wurden, dann reden wir hier nicht von Einzelpersonen, sondern von mehreren hundert."
Das DDR-Staatsdoping: Ein Tiefpunkt der deutschen Sportgeschichte. Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung kommt durch die Experimente an Hobbysportlern ein neues, dunkles Kapitel hinzu.