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Doping in der DDR
Keine Einsicht in der Kaderschmiede

Im Regionalmuseum in Neubrandenburg werden zwar die sportlichen Erfolge gefeiert, aber nirgends ist ein Hinweis zum systematischen Doping des DDR-Regimes zu finden. Wie wird 25 Jahre nach dem Mauerfall mit dem Erbe des DDR-Sports in der Sporthochburg Neubrandenburg umgegangen?

Von Hendrik Maaßen | 08.11.2014
    Ein Tropfen an der Nadel einer Spritze
    Ein Tropfen an der Nadel einer Spritze (dpa / picture-alliance / Patrick Seeger)
    Im Regionalmuseum in Neubrandenburg können Besucher die Geschichte der Stadt mit allen Sinnen erleben. Eine moderne Ausstellung, voller Bildschirme, Hörstationen und eindrucksvollen Ausstellungsstücken. Auf einer Wand im ersten Obergeschoss steht „Frisch, fromm, fröhlich frei- Sport frei! Darunter ein alter Spint mit Original-DDR-Trainingsanzügen darin. An der Seite hängt ein Poster: „Unsere Weltmeister" mit den Fotos der erfolgreichsten Kanuten der Stadt. Auf den ersten Blick fällt gar nicht auf, dass etwas fehlt.
    Das systematische Doping, also Körperverletzung auch an Minderjährigen, hat keinen Platz. Der Leiter des Museums, Rolf Voß, verspicht, dass Doping zukünftig auch Thema der Ausstellung sein soll. Sie würden erst jetzt lernen, wie die Multimedia-Stationen mit neuen Inhalten ergänzt werden können. Noch in diesem Jahr soll die Themeninsel Sport aktualisiert werden. Voß betont aber auch, dass es nicht Aufgabe des Regionalmuseums sein könne, Doping aufzuarbeiten.
    Bleibt die Frage, wer denn dann? Auch in Neubrandenburg sprechen die Täter nicht öffentlich darüber. Und selbst einige Betroffene, die in Dokumentationen von ihren Schicksalen berichteten, wollen sich nicht mehr vor einem Mikrofon äußern. Ihre Aussagen hätten zu viel aufgewühlt, bei ihnen, aber besonders in ihrem Umfeld. Auch 25 Jahre nach der Wende werden sie zu Außenseitern, weil sie etwas aussprechen, das historisch belegt ist. Sie werden ein zweites Mal zu Opfern. Es scheint, als ob Aufarbeitung noch gar nicht möglich ist, weil das Bewusstsein an der Basis fehlt.
    Der Sportclub Neubrandenburg ist diese Basis, das Herzstück des Sports in der gesamten Region. Hier kommen seit Jahrzehnten erfolgreiche Sportler her. Astrid Kumbernuss, Andreas Dittmer, aber auch Katrin Krabbe und Grit Breuer.
    Blockadehaltung der Verantwortlichen
    Doch die Doping und Stasi-Vergangenheit wurde auch hier nicht aufgearbeitet, obwohl Heinrich Nostheide, der Präsident des SC Neubrandenburg, schon häufig mit der Vergangenheit konfrontiert wurde: „Wir haben durchaus Reaktionen von Personen bekommen. Wir haben uns öffentlich für die Dinge entschuldigt, die damals waren. Wir sind auch der Meinung, dass hier durchaus eine Unterstützung durch den Verein gegeben werden kann, wenn wir konkrete Hinweise bekommen. Bisher sind die Hinweise so, dass sie einfach sehr pauschal geäußert werden. Niemand sagt, der Trainer, oder die Trainer hat dieses oder das gemacht."
    Doch das stimmt nicht. Gerade in Neubrandenburg sind alle wichtigen Unterlagen erhalten geblieben. Man muss es nur nachlesen, wie den Fall des Dreispringes Frank Wodars. Doch sobald es um konkrete Fälle geht, blockt Nostheide ab: „Ich bin nicht der Meinung, dass wir hier erörtern sollten, was für eine Fall Herr Wodars ist. Weil ich in dem Fall nicht aussagefähig bin, denn ich kenne Herrn Wodars nicht und Herr Wodars hat sich jetzt nicht in seiner Antwort nicht sehr konkret geäußert. Welcher Trainer war's denn?"
    Die Antwort des Reporters: " das kann man in den ZERV-Unterlagen nachlesen."
    „Ja, dann mag er das doch sagen, warum sagt er es dann nicht. Warum geht er dann nicht dagegen vor?"
    Weil all diese Straftaten seit 2000 verjährt sind. Keiner in Sport oder Politik setzte sich dafür ein, dass die Fristen verlängert werden. Es geht nicht mehr um juristisches Recht, sondern zuerst um Aufklärung.
    „Ich habe nichts dagegen, das zu tun, wenn das getan werden soll. Nur es muss einer tun und es muss einer tun, der die Initiative an der Stelle, in der Weise in die Hand nehmen, dass er sagt, ich mache das und ich führe dieses Programm durch." Ein überzeugter Aufklärer klingt anders.
    Im Jahnsportforum, der modernen Trainings- und Wettkampfhalle der Stadt, hängen stattdessen die alten Dopingrekorde aus. Hier trainieren auch die Schüler des Neubrandenburger Sportgymnasiums. Heute eine Eliteschule des Sports, früher eine Kinder und Jugendsportschule. Jeden einzelnen Schultag steht hier der Sport im Mittelpunkt –aber auch im großen Atrium der Schule werden die gedopten Athleten, auch die inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi geehrt.
    Als die Vizepräsidentin des Landtages, Silke Gajek, vor kurzem den Vorschlag machte, die NDR Dokumentation „Doping. Stasi. Goldmedaillen" den Schülern im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung zu zeigen, fiel die schriftliche Antwort der Schulleiterin Gesine Knospe deutlich aus: „Wir wünschen diese Veranstaltung nicht in unserem Haus."
    „Ich bin ja selten sprachlos, aber in diesem Moment war ich relativ sprachlos, weil ich da so mit nicht gerechnet haben", sagt die Grünen-Politikerin Gajek.
    Keine Doping-Aufklärung an der Schule
    Es ist ja eine Chance, darüber zu reden. Wir klagen ja nicht mit dem Film an, sondern wir suchen die Aufarbeitung, die Diskussion gerade mit den jetzigen Schülerinnen und Schülern der Kinder und Jugendsportschulen. Aber dass es so rigide gehandhabt wird, damit habe ich nicht gerechnet.
    Schulleiterin Gesine Knospe sieht ihre Absage in einem ganz anderen Licht: „Zum einen sind wir als Schule nicht die Plattform für Parteien und Fraktionen. Das ist generell so. Und zu anderen ging es ganz konkret dort um einen Film der gezeigt werden sollte, und diesen Film sehen wir hier ganz, ganz kritisch. Uns gefällt an diesem Film einfach nicht, dass er aus unserer persönlichen Sicht ganz, ganz fokussiert ist auf den SCN. Das also für uns die Botschaft so rüberkommt, der SCN ist der einzige Verein, der mit der Staatssicherheit Verquickungen hatte, beziehungsweise, wo Doping betrieben wurde."
    Aber gerade eine Aufarbeitung könnte genau das differenzieren: Wie war es bei uns, wie woanders? Doch das Wissen fehlt. Gesine Knospe zeigt sich später erschüttert von den Berichten der Doping-Geschädigten, das wüsste sie so gar nicht, sagt sie nach dem Interview.
    Auch der Landessportbund sieht sich nicht in der Pflicht und fordert stattdessen mehr Engagement von der Politik in Berlin - und in Frankfurt beim Deutschen Olympischen Sportbund.
    In Neubrandenburg scheint es, als ob im Sport Mikado gespielt wird: Wer sich zuerst bewegt, und die dunkle Vergangenheit anspricht, hat verloren.
    Einen ausführlicheren Bericht zum Thema finden Sie hier.