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Doping in der Leichtathletik
Die Stepanows - die berühmtesten Whistleblower des Sports

Die Schurken des Sports sind schwer zu enttarnen. Meistens gelingt das nur, wenn mutige Menschen nicht mehr mitspielen wollen - wie das russische Ehepaar Stepanow. Die ehemalige Weltklasse-Leichtathletin und der frühere Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur haben vor einem Jahr Sportgeschichte geschrieben.

Von Andrea Schültke | 02.01.2016
    Yuliya und Vitaly Stepanov mit Sohn Robert.
    Julia Stepanowa (li.) und Vitali Stepanov mit ihrem Sohn Robert. (Yuliya und Vitaly Stepanov)
    Es war eine außergewöhnliche, herausragende Leistung von Vitali Stepanow und Julia Stepanowa. In der ARD-Sportschau bilanzierte die 29-Jährige Ende Dezember: "Wir sind im Sport neue Wege gegangen, als Pioniere im Whistleblowing. Das könnte andere motivieren, aber leider gibt es im Sport kein Zeugenschutzprogramm. Daher wird kein Athlet die Wahrheit erzählen wollen."
    Sie haben die Wahrheit erzählt. Sie haben ausgepackt. Über systematisches flächendeckendes Doping und Korruption in der russischen Leichtathletik. Und per Videoaufnahmen lieferten sie die Beweise gleich mit dazu. Veröffentlicht in der ARD-Dokumentation: Wie Russland seine Sieger macht.
    Erdbeben über die internationale Leichtathletik hinaus
    Die Folge: ein weltweites Medienecho. Russische Leichtathleten wurden suspendiert, ihr Ausschluss von den Olympischen Spielen in Rio steht im Raum. Es gab Strafen gegen russische Anti-Doping-Einrichtungen und verantwortliche Funktionäre mussten zurücktreten. Julia Stepanowa und ihr Mann Vitali haben ein Erdbeben ausgelöst, das weit hinaus geht über die internationale Leichtathletik. Die ganz persönlichen Folgen für die beiden und ihren kleinen Sohn schilderte Vitali Stepanow vor zwei Wochen in der ARD-Sportschau: "Im vergangenen Jahr sind wir sieben Mal umgezogen, das ist schon anstrengend, aber wir hoffen, dass wir uns bald irgendwo niederlassen können."
    Aus Sorge um ihr Leben halten sie sich an einem geheimen Ort auf. Kein Land will sie offiziell aufnehmen. Sie haben keinen Job, keine Einnahmen, leben von Ersparnissen und der Unterstützung von Freunden. Dennoch wirkte Vitali Stepanov auch im Mai im Deutschlandfunk-Sportgespräch nach wie vor überzeugt davon, dass sie richtig gehandelt haben. "Julia und ich glauben wirklich, dass wenn man die Chance hat, etwas zum Guten zu ändern, dann muss man es versuchen. Und wenn man nicht erfolgreich ist, dann kann man zumindest sagen, dass man es versucht hat."
    Keine Kontaktaufnahme von IAAF oder IOC
    Ihr Versuch habe dem sauberen Sport gegolten. Dass saubere Athleten und faire Wettkämpfe nicht allen so viel bedeuten, mussten die beiden berühmtesten Whistleblower des Sports nach ihrem Gang an die Öffentlichkeit erkennen. Hajo Seppelt, Autor der ARD-Dokumentation, fragte Vitali ein Jahr später nach Reaktionen führender Sportfunktionäre etwa des Präsidenten des Welt-Leichtathletikverbandes oder des Internationalen Olympischen Komitees:
    "Hat IAAF-Präsident Coe jemals versucht, mit Ihnen in Kontakt zu treten?"
    "Bisher nicht!"
    "Hat das IOC versucht, mit Ihnen in Kontakt zu treten?"
    "Bisher nicht!"
    "Haben Sie dafür Verständnis?"
    "Das sind sehr beschäftigte Leute. Wir sind eine kleine Familie und versuchen, Doping zu bekämpfen und diese Leute haben offensichtlich Wichtigeres zu tun."
    Die Stepanows lassen sich von ihrem eingeschlagenen Weg nicht abbringen. Sie waren mutig und haben dafür einen hohen Preis gezahlt. Sie werden wohl nie mehr in ihre Heimat zurückkehren können und sie sind ohne Arbeit. Eine Selbstverständlichkeit wird daher für Julia Stepanowa zum Wunsch für die Zukunft: Endlich ein fester Platz zum Leben und dass ihre Familie sich nicht mehr verstecken muss. Dass ihre Familie sich verstecken muss, könnte sie verzweifeln lassen. Sie könnte sich Vorwürfe machen, warum sie und ihr Mann ihr Wissen öffentlich gemacht haben. Das Gegenteil ist der Fall: "Ich bereue nichts von dem, was ich getan habe. Ich bereue nur, dass ich nicht noch mehr Beweise herangeschafft habe. Nur das bereue ich."