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Doping in der Leichtathletik
WADA-Kommission fordert Ausschluss Russlands

Eine Untersuchungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur hat den Ausschluss Russlands aus der Internationalen Leichtathletik-Föderation (IAAF) gefordert. Hochrangige Funktionäre sollen Ergebnisse von Dopingproben verfälscht und bei der Vertuschung von positiven oder verdächtigen Testergebnissen mitgewirkt haben. Die WADA spricht von einer "tief verwurzelten Betrugskultur".

09.11.2015
    Hürdenläuferinnen bei der Leichtathletik-WM 2013 in Moskau
    Hürdenläuferinnen bei der Leichtathletik-WM 2013 in Moskau (imago Sportfoto)
    Die Ermittlungskommission der WADA empfiehlt in ihrem Bericht, Russland aus dem Leichtathletik-Weltverband auszuschließen und fünf Athleten sowie fünf Trainer auf Lebenszeit zu sperren. Das Kontrolllabor in Moskau solle geschlossen und dessen Direktor Gregory Rodschenkow abgelöst werden. Dem russischen Sportminister Witali Mutko wurde vorgeworfen, er solle angeordnet haben, "bestimmte Dopingproben zu manipulieren". Russische Sportfunktionäre, die am systematischen Betrug beteiligt gewesen seien, sollten lebenslang gesperrt werden.
    Olympia ohne Russland?
    Die WADA empfiehlt darüber hinaus als drastischste Maßnahme dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), keine Teilnahme russischer Leichtathleten an internationalen Wettbewerben zuzulassen, bis der russische Leichtathletik-Verband ARAF die Regeln des WADA-Codes einhalte. Das könnte entsprechende Folgen für die Olympischen Sommerspiele in Rio 2016 haben. Der frühere WADA-Chef Richard W. Pound, der die Untersuchungskommission leitet, empfahl im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2016 in Rio ausdrücklich, dass der russische Leichtathletik-Verband suspendiert wird. Pound fügte hinzu: "Ich hoffe, sie haben verstanden, dass es Zeit zu handeln ist."
    Die IAAF kündigte über ihren Präsidenten Sebastian Coe an, eine Sperre Russlands zu erwägen. "Unseren Athleten, Partner und Fans versichere ich, dass wir Fehler in unserer Führung oder unseren Anti-Doping-Programmen in Ordnung bringen werden", wird Coe zitiert. Russland habe eine Woche Zeit, Stellung zu nehmen. Das IOC versprach in einer Erklärung, jegliche Aufklärung zu unterstützen und kündigte eine Vorgehensweise mit "null Toleranz" an - ohne konkret auf die Forderung der WADA-Kommission einzugehen.
    Deutscher Journalist berichtete über die Missstände
    Die Untersuchungskommission war eingesetzt worden, um die in einer ARD-Dokumentation erhobenen Vorwürfe über Doping im russischen Spitzensport zu untersuchen. Der Journalist Hajo Seppelt berichtete im vergangenen Jahr in seinen beiden ARD-Filmen über die Missstände in der russischen Leichtathletik. Seppelt sagte im Deutschlandfunk, dass man "bei dem Ausmaß normalerweise Russland von der kommenden WM oder den kommenden Olympischen Spielen ausschließen müsste". Der Untersuchungskommission gehören neben Pound der anerkannte Sportrechts-Experte Richard McLaren und der deutsche Kriminalbeamte Günter Younger an.
    Die Kommission der WADA kommt zu demselben Schluss, doch eine Entscheidung über deren Forderungen können nur IAAF und IOC treffen. Die WADA muss die Forderungen der Kommission noch offiziell bestätigen und an die beiden zuständigen Organisationen weiterleiten. Seppelt zweifelt jedoch an einem Aufklärungswillen von IAAF und IOC, dafür gehe es um zu viel Geld. Eine russische Bank sei immerhin ein Großsponsor der IAAF.
    Die Welt-Anti-Doping-Agentur

    Die WADA organisiert seit 1999 weltweit Maßnahmen gegen Doping im Leistungssport. Das IOC gründete die Agentur mit dem Ziel, Anti-Doping-Maßnahmen weltweit zu harmonisieren. Sie verfolgt eine rigorose Haltung - Sportler beklagen häufig den hohen Grad an Einfluss der WADA auf das Privatleben der Athleten, da diese die nationalen Doping-Agenturen stets über ihren Aufenthaltsort in einem Meldesystem informieren müssen. Zuletzt erhöhte die WADA mit der Aktualisierung ihres Codes die Standardsperre bei schweren Vergehen von zwei auf vier Jahre.
    Russischer Funktionär: "Bericht ist politisch motiviert"
    Wladimir Uiba, Chef der staatlichen medizinisch-biologischen Agentur Russlands, brachte den Bericht mit dem Ukraine-Konflikt in Verbindung und nannte ihn "absolut politisch motiviert". Er nannte den Bericht eine "Sanktion gegen Russland". In ihrem Bericht beklagt die WADA-Kommission eine "tief verwurzelte Betrugskultur" in der russischen Leichtathletik. Gerechtfertigt werde dies durch die Annahme, dass alle anderen auch betrügen würden. Die Ausbeutung von Athleten für Medaillen und finanziellen Erfolg sei in der russischen Leichtathletik weit verbreitet. Die Athelten waren oft willige Teilnehmer, allerdings gebe es auch dokumentierte Fälle, in denn Athleten, die nicht Teil des Programms werden wollten, nicht für die russische Nationalmannschaft nominiert worden seien.
    Darüber hinaus stellt der Bericht fest, dass es ein hoher Prozentsatz der russischen Athleten nicht mit der Komission zusammenarbeiten wollte. Viele Athleten gaben darüber hinaus nur unzureichend Auskunft über ihren Aufenthaltsort. Im Moskauer Anti-Doping-Labor sollen mut- und böswillig mehr als 1400 Proben zerstört worden sein, nachdem die WADA Zielkontrollen angeordnet hatte. Auch wurden Teststandards nicht eingehalten. In diesem Jahr wurden zahlreiche russische Leichtathleten wegen Dopings gesperrt; Verbandspräsident Valentin Balachnitschew trat Mitte Februar von seinem Amt zurück.
    WADA-Kommission kritisiert Russland - aber auch die WADA
    Korruption und Bestechung seien jedoch nicht nur in Russland, sondern auch auf der höchsten Ebene der internationalen Leichtathletik ein Problem. Die Beweise dafür seien an Interpol übermittelt worden, die Veröffentlichung soll bis zum Ende des Jahres geschehen. Zunächst sollen die Entscheidungen der Untersuchungsbehörden abgewartet werden.
    Im Zentrum dieses Schmiergeldsystems soll Lamine Diack gestanden haben. Die französische Justiz hat den ehemaligen IAAF-Präsidenten bereits angeklagt. Er soll mehr als eine Million Euro kassiert haben, um positive Doping-Proben zu vertuschen. Auch sein Anwalt Habib Cisse wurde angeklagt. Zudem sind der einstige Leiter der Anti-Doping-Abteilung der IAAF, Gabriel Dolle, und Diacks Sohn Papa Massata ins Visier der Justiz gerückt. Die Ethikkommission des IOC empfahl eine vorübergehende Sperre Diacks.
    Michael Vesper, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sagte: "So beunruhigend und erschreckend die Vorkommnisse sind, so wichtig und dringend erforderlich war es für den gesamten Sport, dass diese Untersuchung die Fakten ans Licht brachte und dass nun auch harte Konsequenzen folgen" Der frühere IAAF-Vizepräsident Helmut Digel nennt die Affäre einen Wendepunkt, der den Sport verändern könnte. "Der Doping-Fall des kanadischen Sprinter Ben Johnson 1988 und auch der FIFA-Skandal sind dagegen harmlos", sagte der Tübinger Sportsoziologe. Der Schaden für die IAAF sei groß. "Die Leichtathletik steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise, deren Reichweite noch nicht zu ermessen ist."
    Entsetzt zeigte sich auch der deutsche Leichtathletik-Präsident. "Der WADA-Bericht übersteigt meine Befürchtungen bei weitem", sagte Clemens Prokop. "Es ist an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen. Wenn alle Vorwürfe stimmen, muss den WADA-Empfehlungen gefolgt werden."
    (nch/kis)