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Doping
Schattenboxen mit der Null-Toleranz

Das IOC hat sich in der Causa Russland was den vermeintlichen Anti-Doping-Kampf angeht, selbst entlarvt. Wer kämpft da eigentlich noch mit wem und wer gegen wen? Es drängt sich die Vermutung auf, dass der Anti-Doping-Kampf zu einer Art Schattenboxen geworden ist.

Von Jürgen Kalwa | 08.10.2016
    Ein Mann öffnet die Tür einer Doping-Kontrollstation bei den Olympischen Spielen in Rio 2016
    Ein Mann öffnet die Tür einer Doping-Kontrollstation bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 (picture alliance / dpa, Michael Kappeler)
    Es war eine ernst gemeinte, aber genau genommen sinnlose Frage, weil sie ins Leere zielte:
    "Wie weit kann man gehen, individuelle Athleten für das Versagen und die Manipulation ihrer Regierung zu bestrafen?"
    Gestellt hatte sie Thomas Bach wenige Tage vor den Olympischen Spielen von Rio, als eine Komplettsperre für Russlands Athleten im Raum stand. Die er ablehnte. Und als sich bereits eine Kampagne abzeichnete, die das Ziel hat, die Arbeit der Welt-Antidopingagentur zu diskreditieren. Null-Toleranz?
    "Der Schutz des sauberen Athleten hat für das IOC oberste Priorität, deshalb wird das IOC mit einer Null-Toleranz-Politik reagieren."
    Ja, Null-Toleranz gegenüber der WADA. Nicht jedoch gegenüber der Sportgroßmacht Russland. Die Haltung mag überraschen. Aber nur wenn man nicht weiß, wie hinter den Kulissen gearbeitet wird: So leitet nun ein Mann IOC-Untersuchungen in Sachen Russland, der in einer Attacke 2005 gegen die WADA ausgerechnet für den Doper Lance Armstrong in die Bresche sprang. Der Schweizer Denis Oswald. Einst Ruderer, dann Jurist und Funktionär.
    Floyd Landis erlebete den selektiven Kampf gegen Doping im Einzelfall
    Wer mit wem? Wer gegen wen? Die Sache ist komplex. Der ehemalige Radsportprofi Floyd Landis zum Beispiel durfte am eigenen Leib erfahren, wie selektiv der Kampf gegen Doping im Einzelfall abläuft. Er unterstrich das am Sonntag im Deutschlandfunk-Sportgespräch noch einmal, als es um seine positive Probe bei der Tour de France 2006 ging:
    "Sie müssen die wissenschaftlichen Grundlagen verstehen. Dieser Test war nicht in Ordnung. Und das Labor müsste eigentlich geschlossen werden. Die USADA wusste das... Sie haben Zeugen mitgebracht, die gelogen haben und das später zugegeben haben. Sie hatten Dokumente, die gefälscht waren, was später auch zugegeben wurde. Das ist ein System, in dem mit gezinkten Karten gespielt wird."
    Gewiss: Landis gab später zu, dass er jahrelang verbotene Substanzen genommen und dass er dafür pro Jahr rund 100.000 Dollar ausgegeben hatte. Man hatte also durchaus den Richtigen erwischt. Aber womöglich mit den falschen Mitteln überführt.
    Das Ausmaß der Versäumnisse ist enorm
    Denn der Anti-Dopingkampf ist längst ein geschicktes Schattenboxen geworden, das so wirken soll, als werde ganz viel getan. Dabei ist das Ausmaß der Versäumnisse enorm, wie die Arbeit von Journalisten wie etwa ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt zuletzt im Fall Russland dokumentierte. Doch, glaubt man Landis, existiert beim Doping-Thema zwischen IOC, WADA und USADA kein Unterschied.
    "Geben Sie sich keiner Illusion hin. Die WADA ist das IOC. Und USADA auch. Ich habe keine Zweifel, dass es die korrupteste Organisation im gesamten Sport ist. Daneben sieht die FIFA noch ziemlich gut aus."
    Selbst die seit dem Armstrong-Fall viel gepriesene amerikanische Anti-Dopingagentur USADA und ihr Chef Travis Tygart lassen Zweifel wach werden. So schweigt man seit dem Juni 2015 offiziell zu den Enthüllungen über die Praktiken des Langlauftrainers Alberto Salazar und seines vom Sportausrüster Nike finanzierten Oregon Projects. Nur wenige Details sickerten durch. Die besagen: Der Fall scheint beschwerlich. Der Stand der Dinge? Salazar-Athleten gewannen in Rio Medaillen.
    Null Toleranz?
    Enthüllungen der "Fancy Bears" ergeben seltsames Bild
    Auch die Enthüllungen mutmaßlich russischer Hacker, die sich "Fancy Bears" nennen, ergeben ein seltsames Bild. Dabei geht es um sogenannte medizinische Ausnahmegenehmigungen. Es ist nicht klar, ob die publizierten Informationen überhaupt authentisch sind und was die WADA meint, die warnt: dass sie die Archivunterlagen in ihrem Haus nicht "akkurat widerspiegeln". Die USADA, die ebenfalls einen Hacker-Angriff auf ihr Email-System erlebt hat, reagierte bisher gar nicht auf konkrete Vorwürfe, wonach sie willkürlich mit Resultaten umgeht.
    Ein Problem, wie es der amerikanische Politikwissenschaftler und Sportexperte Roger Pielke neulich dem Deutschlandfunk so beschrieb: "Es ist essenziell, dass man im Sport und hier besonders bei der WADA hieb- und stichfest arbeitet. Mit einem wissenschaftlichen Fundament. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Organisationen verantwortungsbewusst und transparent und integer sind."
    Weil die Auswirkungen weit reichen können. So geriet der bestens beleumundete Journalist David Walsh, der als erster im großen Stil Armstrongs Dopingpraktiken enthüllt hatte, in ein schlechtes Licht. Man hatte ihn vor einer Weile beim britischen Radteam Sky ausgiebig hinter die Kulissen schauen lassen. Walsh ließ sich blenden und stellte Sky 2013 in einem Buch einen Persil-Schein aus.
    Erst die Enthüllungen der Hacker sowie weitere Recherchen zum Arzneimittelkonsum des ehemaligen englischen Tour-de-France-Siegers Bradley Wiggins brachten Walsh dazu, zu erkennen, dass man ihn ganz offensichtlich benutzt hatte. Und so distanzierte er sich neulich: "Sky stellt sich selbst gerne als das moralisch sauberste Team im Peloton dar", schrieb er. Die neue Beweislage bedeute "etwas anderes".
    Man könnte das bezogen auf Moral und Sauberkeit inzwischen auch über das IOC sagen. Auf jeden Fall bis zum Beweis des Gegenteils.