Samstag, 20. April 2024

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Doppelausstellung von Käthe Kruse
Kunst zerpflückt Zeitungszeilen

"Park, Pogrome, Prügel" - 3927 Wörter wie diese hat Künstlerin und ehemaliges Die-tödliche-Doris-Mitglied Käthe Kruse aus Zeitungen gesammelt und daraus eine LP und Doppelausstellung gestaltet. In Ton und Bild deckt sie auf, wie Sprache das Denken in unserer Mediengesellschaft generiert.

Von Jenni Zylka | 08.06.2020
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Ein Blick in die Ausstellung " 366 Tage" von Käthe Kruse in der Zwinger Galerie (Zwinger-Galerie )
"Abstiegsangst, Alarmstufe, Ausrede, Anlage."
So geht das noch eine Weile weiter. Bis zum Buchstaben Z. 3927 Wörter, verteilt auf zwei Schallplatten. Sie stammen aus Überschriften, mit denen ein Jahr lang deutsche Tageszeitungen ihre Artikel betitelten: Die Künstlerin Käthe Kruse hat ein Doppelalbum, besser gesagt ein Konzeptalbum, der Stimmung im Land zwischen dem 1. April 2015 und dem 1. April 2016 vorgelegt. Die bewusst monoton gelesene Bestandaufnahme von dem, was die Öffentlichkeit aus Sicht der Presse interessiert, gehört zu einem mehrteiligen Kunstwerk: Das ehemalige Mitglied der 1987 aufgelösten Berliner Künstlergruppe "Die tödliche Doris" stellt Wörter aus einem journalistischen in einen künstlerischen Zusammenhang. Und findet damit neue, ungewöhnliche Bilder und Klänge für ein Unheil, das schon lange und nicht nur Deutschland droht.
"Park, Pogrome, Prügel, Pusteblume, Politikerbüros, Prügelattacke."
Käthe Kruse: "Diese Wörter und der Zustand unserer Zivilisation, unserer Gesellschaft, der geht uns alle an. Ich komm' aus einer Anti-Nazi-Familie, und deshalb empfinde ich das jetzt auch als so bedrohlich was passiert, und darum ist es auch ... In erster Linie ging es mir um ein politisches Signal – kann ich das lesen, dass wir einen Rechtsruck in Deutschland haben, kann ich das in Überschriften von Artikeln feststellen? Und ich finde, ja, das kann ich und ich sehe die Problematik - und darum heißt die Arbeit auch 'Ich sehe'."
Schallplatte und Bild
"Käthe Kruse - Ich sehe" ist eine von zwei korrespondierenden Ausstellungen der 61-jährigen Künstlerin in Berlin, die Schallplatte ist ein Teil davon. In der Kreuzberger Zwinger Galerie hängen akkurat nach Erscheinungsdatum geordnete 366 Bilder mit Überschriften aus der "taz", der "Süddeutschen", dem "Tagesspiegel" oder dem "Handelsblatt". In der Galerie Nord in Moabit stellt Kruse zeitgleich die Substantive aus.
"Pünktichkeit, Pudel, Placebo, Polizeistaat, Palast."
Fünf Jahre hat die Künstlerin daran gearbeitet, hat die Bilder gemalt, die Platte mit Hilfe des Einstürzende-Neubauten-Mitglieds Alexander Hacke in dessen Studio produziert und sich dabei von der Künstlerin Myriam El Haik in an Morsezeichen erinnerndem Stakkato am Klavier begleiten lassen. Ihre Tochter Edda Kruse-Rosset spielt Schlagzeug, und auf jeder Seite kommt ein Sound dazu, am Ende das Zerknüllen von Papier. Die Idee, das alles auf eine CD zu brennen, verwarf Kruse.
Stärkung der Sinne
"Dann hab ich gedacht: Nein, als Künstlerin eine CD zu machen - das geht ja gar nicht, als Musikerin kann ich ja jedes halbe Jahr eine rauswerfen, aber nicht als Künstlerin. Und dann hab ich gedacht: Ok, ich möchte Vinyl machen, und das finde ich einfach toll, und zu Vinyl gehört natürlich auch, dass es dann eine Doppel-LP werden musste, denn es sind ja 3927 Wörter. Und das geht nun mal nicht gesprochen, auch schnell gesprochen, auf eine einfache LP."
"Yogastudio, Ziele, Zahl, Zeit, Zerfall, Zyklon B."
Kruses künstlerische Bearbeitung löst die 3927 Substantive zwar aus dem redaktionellen Sinnzusammenhang, stärkt aber dadurch ihren Sinn. Es entsteht eine Art verzweifelte, zuweilen schöne, zuweilen traurige, zuweilen reißerische Poesie, ein Lament zum Zustand der Welt, das ohne Reime und mit eigenem Rhythmus arbeitet. Dass Kruse dabei auf die schreienden Schlagzeilen der "Bild"-Zeitung verzichtet und sich auf kleinere, systemkritischere Zeitungen wie die "taz" kapriziert, sei, so sagt sie, einerseits ihr Geschmack, andererseits aber auch der schöneren Lyrik, dem größeren Humor in den Titeln geschuldet. Wie aktuell nicht nur "Yesterday’s Papers", sondern auch jahrealte Ausgaben sind, hat sie selbst verwundert.
Sprache kann ein Bewusstsein wecken
"Was mich eigentlich auch ein bisschen erschüttert hat, weil ich habe gedacht: So nach vier Jahren ist das vielleicht ein bisschen veraltet, was ich da gesammelt habe, aber nein - es ist brandaktuell. Und auch Pandemie und Quarantäne und Reisebeschränkung – diese Wörter sind alle schon da."
Wir schreiben eben nicht nur, was passiert, sondern auch umgekehrt: Sprache, Worte generieren das Denken. So spielerisch wie eindringlich kreist Kruses Arbeit um die Zusammenhänge zwischen Wort und Tat. Sie zeigt, dass man einer Sache leider nicht den Schrecken nehmen kann, wenn man sie benennt – aber dass Sprache ein Bewusstsein wecken kann. Dafür, dass wir es in der Hand haben, wie die Schlagzeilen von morgen lauten.