Freitag, 29. März 2024

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Doppelleben als Hamas-Kämpferin und Ehefrau

Der islamistische Terror hat - mit beachtlicher Verspätung - die westliche Literatur erreicht. Israelische, britische, US-amerikanische , niederländische und deutsche Romane erproben die Vorstellung, wie es überhaupt dazu kommen kann, dass sich ein Mensch freiwillig in ein Bombenabwurfgerät, in eine Kriegswaffe verwandelt, die auf belebter Strasse, in einem Hotel, einer Diskothek hochgeht und sich und andere Menschen vernichtet.

25.10.2006
    Genau genommen ist es (also) nicht der Guerillakrieg islamistischer Fundamentalisten oder die Anatomie des Nahostkonflikts in seinen verschiedenen geopolitischen Brennpunkten, den Schriftsteller wie Jessica Durlacher, John Updike, Abraham B. Jehoschua, Christoph Peters und andere zum Thema ihrer jüngsten Bücher genommen haben, sondern die Figur des Attentäters. Sie widerstreitet vehement unseren abendländischen Vorstellungen einer subjektgeleiteten Vernunft, sie erteilt einem Freiheitsbegriff, der die Unversehrtheit von Körper und Geist zum höchsten Wert erklärt, eine höhnische Abfuhr. Sie verachtet den Tod. Sie feiert das Blutopfer.

    Den Attentäter in eine Romanfigur zu verwandeln, um seinen inneren Beweggründen in Rede und Gegenrede auf den Grund zu kommen, entspricht schon insofern einer westlichen Sicht auf die Dinge, als es rationale Schlüssel für die Erklärung radikalisierter Verhaltensmuster voraussetzt. Dass man damit nicht sehr weit kommt, zeigt uns der algerische Schriftsteller Yasmina Khadra in seinem vorletzten Roman "Das Attentat" von 2005, der in der Übersetzung aus dem Französischen jetzt bei uns unter dem Titel "Die Attentäterin" erschienen ist. Khadra hat vor sechs Jahren seine Militärlaufbahn als Offizier der algerischen Befreiungsarmee abgebrochen und ist mit seiner Familie nach Frankreich gezogen. Schon seit Mitte der achtziger Jahre schrieb er Romane, darunter populäre Krimis und Erzählungen, unter einem weibliche Pseudonym, das er beibehalten hat. Für den einundfünfzigjährigen Khadra ist der islamistische Terror nicht erst seit den Anschlägen von New York und nicht nur eine Bedrohung der westlichen Welt. Er ist vor allem eine Geissel der arabischen Welt. Bereits in früheren Romanen hat er die Fanatisierung arabischer Muslime als Hinwendung zum politischen Terrorkrieg dargestellt, 2001 in"Herbst der Chimären"und 2002 in "Wovon die Wölfe träumen". Auch sein nächstes Buch, "Les Sirénes de Bagdad", das vor kurzem in Paris herauskam, handelt wieder davon.

    "Die Attentäterin" ist die Geschichte eines Ehepaars aus israelischen upper class, das in einem bürgerlichen Viertel von Tel Aviv ein nettes Häuschen bewohnt. Dr. Amin Jaafari ist ein berühmter Chirurg, seine Frau Sihem schön und kultiviert. Beide sind arabischer Herkunft, doch sie haben israelische Freunde bis in die Kreise der Sicherheitspolizei und fühlen sich vollkommen integriert in die israelische Gesellschaft. Bis zu dem Tag, als Dr. Jaafari die Nachricht erreicht, dass seine Frau Sihem bei einem Selbstmordattentat getötet wurde.

    Das leicht kapriziöse, plauderhafte Gesellschaftspanorama der ersten fünfzig Seiten bricht abrupt ab, als sich ein furchtbarer Verdacht erhärtet. Nicht das Opfer war Sihem, sondern die Täterin. Verkleidet als Schwangere, bombte sie mit ein paar Kilo Sprengstoff ein gut besuchtes Café in die Luft. Dr. Jaafari begibt sich, wie zu erwarten war, auf eine kriminalistische Reise auf den Spuren seiner Frau, die ihm post mortem zur großen, Furcht einflößenden Unbekannten geworden ist. Er besucht ihre Familie und seine, kommt in die arabischen Viertel von Jerusalem und nach Bethlehem, gerät in die innersten Kommandokreise der Hamas, wird verprügelt und bedroht und findet am Ende - nein, nicht den Schlüssel zu Sihems schrecklicher Tat. Dass seine Frau unter der Maske des Luxus und der verführerischen Schmiegsamkeit ein Doppelleben als Hamas-Kämpferin geführt hatte, bleibt ihm so rätselhaft wie unglaublich. Jaafari findet etwas anderes: seine eigenen arabischen Wurzeln, seine Kindheit in der Wüste Judäas, die von der israelischen Armee in Schutt und Asche gelegt worden war. Er findet seine Empörung wieder, seine Wut auf Scharon, auf die Mauer, "the wall", die er - ein säkularer Moslem, Musterknabe jüdisch-palästinensicher Koexistenz und aufgeklärter Rationalist - über seiner Karriere vergessen wollte.

    Khadras Buch über ein Attentat, unaufgeregt und schlicht im Präsens erzählt, der ewigen Gegenwart der letzten Minute, endet mit dem Tod des Erzählers, als eine weitere Explosion Jerusalem erschüttert. Diesmal ist es eine israelische Rakete, die das Auto eines muslimischen Oberhauptes während einer Prozession zerreißt, als der Arzt gerade in der Nähe ist. Nicht so sehr die Erzählweise, aber die absurd zwingende Dramaturgie dieses Ehe-Romans wirkt nachhaltig beunruhigend. Im Chor der literarischen Stimmen zum alltäglichen Terror ist die von Yasmina Khadra, der in der westlichen Welt genauso zuhause ist wie in der arabischen, vielleicht die leiseste, nachdenklichste. Aber die Gefahr, die er beschreibt, ist ohne Zweifel die größte, die es je gab: dass die zivilen, säkularen Gesellschaften der arabischen Welt zerbrechen, dass sie von zwei Seiten zugleich zerstört werden könnten - dem fundamentalistischen Terror der Islamisten im Innern und der Unfähigkeit des Westens, die demokratischen Kräfte der arabischen Nation für eine politische, nicht repressive Lösung des Konflikts zu gewinnen.