Freitag, 29. März 2024

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Mängel bei der Deutschen Bahn
"Sie dürfen dieses System Schiene nicht auseinanderdividieren"

Sollte die Deutsche Bahn in Teilen privatisiert und Netz und Betrieb getrennt werden? Sören Bartol, Verkehrspolitker der SPD, hält diesen Vorschlag der Grünen für den falschen Weg. Wichtig seien jetzt vor allem Investitionen in die Infrastruktur. Die Qualität des Schienenverkehrs müsse in den Vordergrund rücken.

Sören Bartol im Gespräch mit Christine Heuer | 23.11.2018
    Sören Bartol, stellvertretender Vorsitzender der SPD Bundestagsfraktion
    Die Bahn sei das Rückgrat der zukünftigen Mobilität, sagte Sören Bartol, stellvertretender Vorsitzender der SPD Bundestagsfraktion, im Dlf. Dafür wende die Gesellschaf bisher zu wenig Geld auf (imago stock&people)
    Christine Heuer: Verspätungen ohne Ende, zu wenig Züge und Personal – es hakt bei der Bahn an allen Ecken und Enden. Seit langem will das Management aufräumen, aber Fortschritte macht es dabei nicht. Eher im Gegenteil: Die Mängel werden immer offensichtlicher, die Kunden immer verärgerter.
    Seit gestern berät der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn über ein Zukunftskonzept – unser Thema jetzt mit dem für Verkehrspolitik zuständigen SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. Guten Morgen!
    Sören Bartol: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Herr Bartol, sind Sie in diesem Jahr schon einmal pünktlich, ohne Störung und mit einem Sitzplatz mit der Deutschen Bahn gefahren?
    Bartol: Ja, das bin ich. Aber ich habe auch erlebt, wie meine Familie in Spandau vergessen wurde, und ich habe auch erlebt, wie ich zu spät gekommen bin.
    Heuer: Das passiert ja Annalena Baerbock auch. Da sind die Kinder stehen geblieben am Zug.
    Bartol: Richtig. Da stehen wir gemeinsam.
    Heuer: Rüdiger Grube, der gewesene Bahnchef, hat jüngst gesagt, er schäme sich. Zurecht? Hat er es mit verbaselt?
    "Ich würde gar nicht sagen, dass da einer alleine Schuld ist"
    Bartol: Ich glaube, hier sind sehr viele Fehler auch in der Vergangenheit gemacht worden, die sich jetzt rächen. Man kann ein System Schiene nicht komplett auf Kante fahren und wir brauchen jetzt ganz viele Investitionen in vielen Bereichen. Einiges davon wird dauern. Aber ich glaube, wir sind dafür bereit, und wir wollen das ja auch angehen und wir machen das auch.
    Heuer: Wer ist denn Schuld daran, dass das Unternehmen auf Kante fahren musste?
    Bartol: Ich glaube, dass auch in der Ära Mehdorn oder auch danach doch einiges passiert ist, wo man dachte, das kann man so machen. Aber am Ende rächt es sich. Wenn Sie sich anschauen die Situation in den Werkstätten, aber natürlich auch, dass man viel zu spät angefangen hat, mehr Personal einzustellen. Man ist übrigens jetzt schon dabei. Man stellt sehr viel ein. Nur Sie wissen: Bis Sie das ausgebildet haben, so einen Lokführer, das geht nicht von heute auf morgen, so dass die Fachkräfte fehlen.
    Wir haben die Situation, dass auch durch Fehler der Industrie zum Beispiel ICEs viel zu spät ausgeliefert worden sind, es riesen Verzögerungen gab, und dadurch haben Sie keine Reservekapazität mehr im Netz und das ist ein riesen Problem für Kundinnen und Kunden.
    Heuer: Der Konzern ist schuld, das Management und die Industrie. Was ist mit der Politik, Herr Bartol? Haben Sie alles richtig gemacht?
    Bartol: Ich würde gar nicht sagen, dass da einer alleine Schuld ist, sondern da sind alle gemeinsam gefordert, umzusteuern. Die Große Koalition hat das im Koalitionsvertrag auch sehr fest vereinbart miteinander. Wir brauchen bei der Bahn einen Mentalitätswandel. Wir müssen weg von der Maximierung des Gewinns, sondern wir müssen hin in die Maximierung des Schienenverkehrs, und genau das haben wir auch im Koalitionsvertrag niedergelegt. Jetzt ist das Management aufgefordert, die Schritte einzuleiten, die dazu führen, dass wir in der Zukunft – das geht nicht von heute auf morgen – eine bessere Qualität für Millionen von Pendlerinnen und Pendlern haben.
    "Es muss mehr Geld reinfließen"
    Heuer: Sie haben den Koalitionsvertrag, die Große Koalition jedenfalls erwähnt mit diesem Koalitionsvertrag. Was ist denn in den Jahren vorher passiert? Hat die Politik die Bahn kaputt gespart?
    Bartol: Nein. Wir haben schon vorher angefangen. Aber es ist einfach so: Wir wenden als Gesellschaft zu wenig Geld auf. Und wenn Sie sich anschauen, dass hier eigentlich die Bahn das Rückgrat der zukünftigen Mobilität sein muss, wenn Sie sich die Mega-Herausforderung Klimawandel anschauen, aber natürlich auch, dass man pünktlich von A nach B kommt, dann müssen wir auch insgesamt als Gesellschaft bereit sein, mehr Geld in die Hand zu nehmen und der Bahn da zu helfen, wo es Not tut. Ich erwarte allerdings auch vom Vorstand, dass sie klipp und klar sagen, hier benötige ich das Geld für die Maßnahmen.
    Heuer: Wenn Sie Gesellschaft sagen, dann meinen Sie die Steuerzahler?
    Bartol: Die Steuerzahler! Ja, selbstverständlich.
    Heuer: Wieviel sollen die denn jetzt berappen?
    Bartol: Na ja. Wir geben ja schon mehr Geld ins System. Wenn Sie sich die Rekordinvestitionen im Bundeshaushalt, den wir ja nun gerade beraten und auch heute abschließen, anschauen, dann geben wir mehr Geld rein. Aber schauen Sie sich so ein Thema an wie Digitalisierung. Wenn Sie die Bahn komplett weiterdigitalisieren wollen, damit Kapazität, aber auch Qualität erhöhen wollen, dann reden Sie über mehrstellige Milliardenbeträge, und da muss man drüber reden. Klar ist, wir sind jetzt dabei, die Vereinbarung neu zu verhandeln, die dazu führt, dass man auch die Qualität des vorhandenen Netzes stärkt. Auch dort, ist klar, muss mehr Geld reinfließen. Aber noch mal: Dazu gehört es auch, dass der Bahnvorstand seine Hausaufgaben macht.
    "Es gibt systematische Fehler"
    Heuer: Herr Bartol, nur zur Erinnerung. Wir reden über ein Transportmittel, das teurer ist als Fliegen, das seit vielen Jahren mit immer mehr Milliarden Euro bezuschusst wird und das jetzt, wenn ich es richtig verstehe, noch mal fünf Milliarden Euro möchte. Und dann ist ja wahrscheinlich immer noch kein Ende in Sicht.
    Bartol: Na ja, gut. Aber wir geben ja auch viel Geld zum Beispiel für Straßen aus. Sie müssen so ein System Schiene – das gehört ja nun schließlich auch uns allen, dem Steuerzahler, dem Bund. Wir sind Eigentümer der Deutschen Bahn und Sie müssen so ein Netz auch pflegen. Schauen Sie sich die Brücken an, schauen Sie sich die Herausforderungen der Digitalisierung an, aber schauen Sie sich auch an, was ein neuer ICE IV zum Beispiel kostet. Und wenn so ein ICE IV dann doch am Anfang ein paar mehr Kinderkrankheiten hat, oder doch ein bisschen später kommt, dann hat das natürlich substanzielle Auswirkungen.
    Oder auch Baustellen-Management: Wir machen so viele Baustellen, dass wir jetzt natürlich auch die Pünktlichkeit verlieren, oder auch die Kapazität verlieren, und da müssen Sie überlegen, ob man vielleicht ein bisschen mehr Geld in die Hand nimmt, um eine Baustelle schneller abzuschließen. Das alles, finde ich, muss man offen miteinander bereden. Sonst kann man auch am Ende nicht erwarten, dass die Qualität besser wird. Viele Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bahn geben wirklich jeden Tag alles, aber da gibt es natürlich auch systematische Fehler, wo man jetzt ran muss.
    Heuer: Die Grünen wollen mit systematischen Fehlern aufräumen. Anton Hofreiter schlägt heute eine Teilprivatisierung der Deutschen Bahn vor, damit da auch ein bisschen gespart wird. Gehen Sie da mit?
    Bartol: Nein, auf keinen Fall. Das ist der komplett falsche Weg. Sie dürfen dieses System Schiene nicht auseinanderdividieren. Es ist auch aberwitzig von den Grünen, gerade in Zeiten des Brexit und allem, was dazu gehört, eine englische Tochter zu verkaufen. Dann kann man auch gleich sein Vermögen verschleudern. Das bringt überhaupt nichts, sondern Sie müssen ganz klar sagen: Sie müssen das Geld in die Infrastruktur investieren, was nötig ist.
    Der Bahnvorstand muss damit aufräumen, dass jeder nur an seinen Vorgarten denkt. Da gab es ja auch den Brandbrief des Vorstandsvorsitzenden. Bei dem muss natürlich auch der Mentalitätswechsel folgen. Und noch mal: Wir müssen dafür sorgen, dass nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht, sondern die Qualität für die Kundinnen und Kunden und dass das System am Ende auch das leistet, was alle von ihm erwarten.
    Heuer: Und Sie sagen, eine Teilprivatisierung, mit der die Bahn mehr Geld bekommt, um all das umzusetzen, das ist der falsche Weg?
    Bartol: Ja. Er hat ja nicht nur die Teilprivatisierung gefordert, sondern auch noch die Trennung von Netz und Betrieb.
    "Die Trennung von Netz und Betrieb lehne ich absolut ab"
    Heuer: Richtig! Und die Fusionierung kleinerer Bahntöchter. Das klingt nach Konzentration insgesamt.
    Bartol: Ja. Über die Struktur muss sich der Vorstand immer Gedanken machen. Ich glaube auch, dass man schauen muss, dass man Konzernteile vernünftig auch führen kann und dass auch die Verantwortlichkeiten im Konzern klar sind. Darüber muss der Aufsichtsrat auch reden, und das tut er ja auch. Die Trennung von Netz und Betrieb lehne ich absolut ab und die Frage, ob es jetzt sinnvoll ist, bei dem Schuldenstand der Bahn so strohfeuermäßig etwas zu verkaufen, was am Ende ja auch noch Einnahmen bringt, da mache ich ein großes Fragezeichen dran. Ich glaube, das ist der falsche Weg.
    Heuer: Okay. Aber die Bahn braucht mehr Einnahmen. Sie sagen, der Staat soll Geld geben. Wieviel eigentlich? Die fünf Milliarden, die jetzt in Rede stehen?
    Bartol: Wenn ich jetzt sage, wieviel Geld es gibt, dann brauchen wir ja nicht mehr miteinander verhandeln. Die Bundesregierung verhandelt ja mit der Deutschen Bahn. Das ist ja die sogenannte Leistungsfinanzierungsvereinbarung. Da geht es ja darum, dass man auch das vorhandene Netz in seiner Qualität verbessert und erhält. Dass es dort mehr Geld geben muss, ist klar. Wieviel Geld es am Ende gibt, das werden die Verhandlungen zeigen. Da muss die Bahn auch nachweisen, wofür sie es braucht und wo wirklich die Prioritäten sind.
    Heuer: Aber Sie kennen sich ja aus. Fünf Milliarden ist eine Hausnummer, über die man zumindest reden kann.
    Bartol: Die Range geht ja im Moment von fünf bis sieben. Wenn Sie sehen, was aus der Bahn kommt, dann wollen die natürlich immer noch einen Schluck mehr. Das kann ich auch verstehen. Nur am Ende ist es wichtig, dass das, was gefordert wird, auch wirklich so hinterlegt ist, dass es für uns, die hier das Steuergeld aller verwalten, auch logisch ist, dass damit sinnvolle Sachen getan werden.
    Preiserhöhungen: "Ich glaube, das wäre jetzt ein falsches Signal"
    Heuer: Dann haben wir übers Steuergeld geredet. – Eine Frage habe ich noch: Schließen Sie aus, dass die Ticketpreise noch mal erhöht werden? Das bringt ja auch Einnahmen.
    Bartol: Die Ticketpreise werden ja in regelmäßigen Abständen erhöht, weil sich natürlich auch die Kostenstruktur verändert.
    Heuer: Aber jetzt, um aufzuräumen.
    Bartol: Das kann ich nicht sagen. Das müssen Sie den Bahnvorstand fragen. Ich glaube, da muss man sehr aufpassen, weil das natürlich immer eine sehr sensible Sache ist, weil viele Menschen erstens angewiesen sind auf dieses Transportmittel und – Sie haben es ja zurecht gesagt – es auch nicht nur günstig ist, mit der Bahn von A nach B zu fahren. Es gibt da auch Schwellen, wo man dann wieder Kundinnen und Kunden verliert. Ich glaube, das wäre jetzt ein falsches Signal.
    Heuer: Sören Bartol. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag und in dieser Funktion ist er zuständig für Verkehrspolitik. Danke fürs Gespräch heute Morgen, Herr Bartol.
    Bartol: Danke, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.