Dienstag, 19. März 2024

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Doppelpass-Beschluss
"Man kann den Menschen eine Entscheidung abverlangen"

In der kommenden Legislaturperiode müsse die CDU den Doppelpass-Beschluss des Essener Parteitages umsetzen, fordert der Chef der Jungen Union. Dann solle es die doppelte Staatsbürgerschaft nur noch in absoluten Ausnahmefällen geben, sagte Paul Ziemiak im DLF.

Paul Ziemiak im Gespräch mit Christoph Heinemann | 09.12.2016
    Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, spricht am 14.10.2016 in Paderborn (Nordrhein-Westfalen) auf dem Deutschlandtag der Jungen Union.
    Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak. (dpa / picture alliance / Guido Kirchner)
    Am Ende des Integrationsprozesses könne man "den Menschen eine Entscheidung abverlangen", findet Ziemiak. Auf Antrag seiner Jugendorganisation hatte sich der Essener Parteitag der CDU mit knapper Mehrheit gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gestellt. Diese ist aber in der jetzigen Koalitionsvereinbarung mit der SPD festgeschrieben. Dies dürfte einer der Gründe dafür sein, dass die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel noch auf dem Parteitag deutlich machte, dass sie diesen Beschluss für falsch halte, sagte Ziemiak im Deutschlandfunk.
    Einen Konflikt mit der CDU-Chefin sieht der Vorsitzende der Jugendorganisation nicht. Sonst beklage man immer, dass in Parteien zu wenig diskutiert werde. Im Übrigen habe er nicht erwartet, dass die Entschließung bereits in den kommenden Monaten umgesetzt werden könne, sagte Ziemiak weiter.
    Allerdings wächst nun auch aus anderen Teilen der Union der Druck auf die Kanzlerin. So erklärte der Landesvorsitzende der Christdemokraten in Schleswig-Holstein, Günther, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, natürlich sollte die Parteitags-Erklärung im Wahlkampf eine Rolle spielen. Auch die Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt äußerte sich entsprechend. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende und hessische Ministerpräsident Bouffier meinte dagegen gegenüber der Internet-Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", er denke nicht, dass der Parteitagsbeschluss in die Regierungsarbeit eingehen werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Wir lesen im Koalitionsvertrag: "Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatlichkeit wird akzeptiert. Im Übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht." Dieser Passus stammt aus dem Dezember 2013. CDU, CSU und SPD hatten sich in ihren Koalitionsverhandlungen auf die Abschaffung des Optionszwangs für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern geeinigt. Die CDU hatte diesen Koalitionsvertrag fast einstimmig abgesegnet. Es gab keine Nein-Stimmen und nur zwei Enthaltungen.
    Drei Jahre später gilt dieses Nein nicht mehr. Der CDU-Parteitag hat am Mittwoch überraschend mit knapper Mehrheit einem Antrag der Jungen Union zugestimmt, die sogenannte Optionspflicht wieder einzuführen. Unions-Politiker wollen den Doppelpass zum Wahlkampfthema machen. Der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, Günther, und auch der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Mayer (CSU), äußerten sich entsprechend. Gegen den Willen der CDU-Vorsitzenden, denn Angela Merkel hat gesagt, dass sie zu dem 2014 mit der SPD getroffenen Kompromiss stehe und den Beschluss des Parteitages für falsch halte. Diesen, nach Ansicht der Kanzlerin falschen Beschluss hat wesentlich Paul Ziemiak zu verantworten. Der Bundesvorsitzende der Jungen Union ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Paul Ziemiak: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Ziemiak, hat Ihr Parteifreund David McAllister jetzt ein Problem?
    Ziemiak: Nein, hat er nicht, und ich finde diese Debatte darüber, wenn Sie David McAllister als Beispiel anbringen und viele andere, die einen anderen Pass aus der Europäischen Union haben, die kann man nicht vergleichen mit Pässen anderer Staaten. Deswegen hat er kein Problem.
    "Wir wollen, dass der Doppelpass eine Ausnahme bleibt"
    Heinemann: Er hat noch einen Pass aus der Europäischen Union, den anderen, den britischen. Was ist, wenn der Brexit vollzogen ist?
    Ziemiak: Dann ändert sich für David McAllister nichts, denn jeder, der sowohl Deutscher ist als auch eine Abstammung eines anderen Staates hat, kann auch zwei Pässe haben. Das haben wir bisher auch so gehabt. An der Rechtslage wird sich nichts ändern. Aber wir wollen, dass der Doppelpass eine Ausnahme bleibt.
    Heinemann: Aber die beiden Pässe haben doch bei Herrn McAllisters Integration ihm nicht geschadet.
    Ziemiak: Nein. Aber wir sagen, der Pass steht nicht am Anfang eines Integrationsprozesses, sondern am Ende eines Integrationsprozesses. Deswegen finden wir es falsch, pauschal zu sagen, alle kriegen jetzt einen Doppelpass.
    Heinemann: Aber insgesamt kann man doch festhalten: Die Integration hat mit der Anzahl der Pässe nichts zu tun?
    Ziemiak: Ich glaube, dass wir keine Integrationsprobleme lösen werden alleine dadurch, ob jemand einen Pass bekommt oder nicht. Aber es ist auch eine Frage, wie viel wert ist so ein Pass. Ich glaube, dass wir sehr stolz sein können auf unseren deutschen Pass. Das hat was mit dieser Gesellschaft hier zu tun, das hat was mit unserer Verfassung zu tun. Er ist sehr anerkannt in der Welt. Aber deswegen finde ich, wenn man aus einem anderen Land kommt, sich dann hier entscheidet zu leben und dann angekommen ist, dann, finde ich, können wir den Menschen eine Entscheidung abverlangen.
    "Europäische Union ist das eine und die Türkei ist etwas anderes"
    Heinemann: Sind türkische Zweitpässe schädlicher als britische Zweitpässe?
    Ziemiak: Sie sind andere Pässe. Ich will es noch mal wiederholen: Wir haben doch in der Europäischen Union eine klare Regelung. Übrigens die anderen Staaten in der Europäischen Union deutschen Staatsangehörigen das gleiche Recht. Deswegen kann man das überhaupt nicht miteinander vergleichen. Die Europäische Union ist das eine und die Türkei ist etwas anderes.
    Heinemann: Herr Ziemiak, wer hier lebt und sich für den türkischen Pass entscheidet, vielleicht auch entscheiden muss, weil die Familie Druck ausübt, den macht Ihr Vorschlag zum Nichtdeutschen. Und vor den Folgen warnte gestern bei uns der Grünen-Spitzenpolitiker Cem Özdemir:
    Cem Özdemir: "Ich will, dass aus Türken, die hier leben, auf Dauer Menschen werden, deren Antennen nach Deutschland gerichtet werden. Nach diesem Beschluss ist klar: Die CDU steht für Parallelgesellschaften und die sind das Gegenteil."
    "Es soll bei Ausnahmen bleiben, wir wollen das nicht zur Regel machen"
    Heinemann: Sehen Sie! Und eine junge türkischstämmige Frau zum Beispiel, die gern Deutsche wäre, deren Eltern sie unter Druck setzen, den türkischen Pass zu behalten, die bekommt auch noch von Ihnen Druck. Sie machen sie zur Nichtdeutschen.
    Ziemiak: Nein, das stimmt nicht. Übrigens die Gesetzeslage ist jetzt auch schon so, dass es in Ausnahmefällen einen Doppelpass geben kann, wenn die Menschen nämlich einer unbilligen Härte ausgesetzt wären, zum Beispiel das Erbe verlieren oder sonstige Repressalien zu fürchten haben. Schon jetzt ist es so und wird es auch in Zukunft bleiben. Dann gibt es Ausnahmeregelungen. Aber noch mal: Es soll bei Ausnahmen bleiben. Wir wollen das nicht zur Regel machen.
    Heinemann: Wie weist man die Härten nach?
    Ziemiak: Indem man das vorträgt und dann gibt es ein Verfahren, in dem abgewogen wird. Zum Beispiel: Wenn man das Erbe verlieren würde, dann kann man das Menschen nicht zumuten und dann darf man auch seinen türkischen Pass behalten.
    "Ich habe nicht erwartet, dass das jetzt in den kommenden Monaten passiert"
    Heinemann: Herr Ziemiak, Angela Merkel hat sofort klargestellt, dass sie diesen Antrag des Parteitages nicht ernst nehmen will. Will die Union, will die Junge Union nur spielen?
    Ziemiak: Das hat die Bundeskanzlerin nicht gesagt. Sie hat nicht gesagt, sie nimmt den Beschluss nicht ernst. Sie hat gesagt, jetzt in dieser Legislaturperiode mit diesem Koalitionspartner sieht sie keine Möglichkeit auf Umsetzung. Ich bin dort als Antragsteller übrigens gleicher Meinung. Ich habe nicht erwartet, dass das jetzt in den kommenden Monaten passiert. Aber der CDU-Bundesparteitag hat auf unseren Antrag hin beschlossen, dass die Position der CDU, dass wir grundsätzlich gegen den Doppelpass sind, das haben wir bestärkt, haben wir bekräftigt, die Position bleibt die gleiche und das nehmen wir mit in die nächste Legislaturperiode und werden dann mit einem neuen Koalitionspartner darüber verhandeln. Aber das war der CDU-Bundesparteitag und die CDU hat ihre bisherige Linie bestätigt.
    Heinemann: In welcher Koalition ließe sich Ihr Doppelpass-Beschluss denn verwirklichen?
    Ziemiak: Das muss man dann sehen. Koalitionsverhandlungen sind ja eine ganz besondere Veranstaltung, in denen jeder seine Vorschläge vorbringt. Sehen Sie, wenn man jetzt sagt, die CDU wird keinen Koalitionspartner finden, der das mitträgt, das sehe ich anders.
    Heinemann: Dann nennen Sie einen, bitte!
    Ziemiak: Schauen Sie, die SPD hat beispielsweise es geschafft, die Abschaffung der Optionspflicht mit CDU und CSU durchzusetzen, weil die SPD an anderer Stelle uns entgegengekommen ist. Insofern lassen Sie uns das mal ganz ruhig abwarten. Ich finde, vor Wahlen muss jede Partei sagen, wofür sie steht, und nach den Wahlen wird koaliert. Dass jetzt schon die Positionen der SPD bei uns einfließen, würde ich einfach für falsch halten.
    "Die Zukunft Deutschlands wird sich nicht an dieser Frage entscheiden"
    Heinemann: Und im kommenden Wahlkampf heißt es dann, mit Angela Merkel und der CDU für und gegen den Doppelpass?
    Ziemiak: Im kommenden Wahlkampf wird es darum gehen, dass es neben dem Doppelpass noch ganz viele andere Themen gibt. Ich glaube, die übrigen ...
    Heinemann: Sollte man lieber nicht über den Doppelpass sprechen?
    Ziemiak: Lassen Sie mich doch mal aussprechen! Der Doppelpass ist eine Positionierung. Aber ich finde, die Zukunft Deutschlands wird sich nicht an dieser Frage entscheiden. Die Zukunft Deutschlands wird sich an der Frage von Digitalisierung, von gut bezahlten Arbeitsplätzen in der Industrie, unserer auch Stellung in der Europäischen Union und der Stärke der Europäischen Union deutlich machen.
    "Wir stehen voll hinter der Kanzlerin"
    Heinemann: Die CDU geht gespalten in der Frage des Doppelpasses in den Wahlkampf. Angela Merkel auf der einen Seite, die CDU auf der anderen. Stimmt das oder nicht?
    Ziemiak: Nein, das stimmt nicht, und es gehört dazu, dass man in einer Partei diskutiert. Wir diskutieren viel darüber, dass in Parteien zu wenig diskutiert wird, und wenn dann mal abgestimmt wird, heißt es dann gespalten, und wenn wir alle einer Meinung sind, heißt es Kanzlerinnen-Wahlverein. Ich glaube, nichts von beidem ist richtig. Wir haben diskutiert, aber wir stehen voll hinter der Kanzlerin, haben in dieser Frage aber eine klare Entscheidung getroffen.
    Heinemann: Herr Ziemiak, Ihre Parteivorsitzende hat Sie, auch Sie in Essen um Hilfe gebeten. Wir hören Angela Merkel:
    Angela Merkel: "Ihr müsst, Ihr müsst mir helfen."
    Heinemann: Wie hilfreich war dieser Doppelpass-Antrag für Angela Merkel?
    Ziemiak: Ich glaube, dass er weder hilfreich, noch schädlich war, sondern er war eine inhaltliche Frage. Eins ist doch klar: Wir stehen hinter der Bundeskanzlerin. Ich habe auch in Essen ja manches Kritische gesagt. Aber ich möchte, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt, und deswegen habe ich Sie auch auf dem Parteitag gewählt, weil ich glaube, dass sie die Richtige und auch die Beste für dieses Land ist. Wir werden unser CDU-Programm auch am besten mit ihr durchsetzen können und deswegen glaube ich, wenn wir an der einen oder anderen Stelle unterschiedlicher Meinung sind, wenn die Basis auch Anträge von der Basis über die Kreisverbände hin zum Bundesparteitag stellt und wenn der Bundesparteitag entscheidet, ist das nicht schlimm, sondern eher eine Bereicherung. Wir haben unterschiedliche Positionen, aber die Partei steht hinter der Bundeskanzlerin.
    "Ich stehe meiner Parteivorsitzenden näher als Horst Seehofer"
    Heinemann: Beim Doppelpass stehen Sie Herrn Seehofer ja viel näher als Frau Merkel. Fühlen Sie sich in der CSU besser aufgehoben als in der Merkel-CDU?
    Ziemiak: Aber das stimmt doch nicht! Es war doch jahrzehntelang Programmatik der CDU, dass wir gesagt haben, wir sind für den Doppelpass bei EU-Staatsangehörigen, weil auch diese Länder uns in dieser Frage entgegenkommen und wir gesagt haben, sonst soll der Doppelpass eine Ausnahme bleiben. Das war jahrzehntelang die Programmatik der CDU. Wir haben einen Kompromiss mit der SPD gemacht, nicht auf Vorschlag der Kanzlerin, sondern auf Vorschlag der SPD, und jetzt haben wir noch mal bekräftigt, dass eigentlich unsere Haltung eine andere ist als dieser Kompromiss in dieser Koalition. Insofern stehe ich der Bundeskanzlerin, das ist meine Parteivorsitzende, natürlich näher als Horst Seehofer, weil wir in der gleichen Partei sind.
    Heinemann: Paul Ziemiak, der Bundesvorsitzende der Jungen Union. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Ziemiak: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.