Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Doppelpremiere Theater Heidelberg
Im Eindruck bedrohlicher Situationen

Am Theater Heidelberg wurde erstmals in Deutschland die Kurz-Oper "Wir gratulieren" von Mieczyław Weinberg in Kombination mit der unbekannten Oper "Der Ring des Polykrates" von Erich Wolfgang Korngold aufgeführt. Beide Komponisten waren jüdisch, beide mussten ihre Heimat verlassen.

Von Elisabeth Richter | 29.05.2017
    Der Schriftzug "Theater Heidelberg" ist am 17.11.2012 in Heidelberg (Baden-Württemberg) an der Außenfassade des Theatergebäudes zu sehen.
    Der Schriftzug "Theater Heidelberg" ist am 17.11.2012 in Heidelberg (Baden-Württemberg) an der Außenfassade des Theatergebäudes zu sehen. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Organisator und Heidelberger Operndirektor Heribert Germeshausen betont, dass jeder Komponist seinen individuellen Umgang mit der bedrohlichen äußeren Situation hatte, und es stilistisch kaum zu benennende Auswirkungen hatte.
    "Auf einer weiteren Ebene könnte man sagen, Korngold, der eben keine Opern mehr geschrieben hat, sondern der dem Druck des Marktes folgend Filmmusik - sehr gut gemacht - Inbegriff kommerzieller Filmmusik ist, der natürlich auch mangels an Aufträgen keine Opern mehr geschrieben hat und mit seinem Violinkonzert versucht hat, an die große Zeit von vorher anzuknüpfen, was ja gespielt wird, aber letztlich nicht das war, weswegen er Komponist wurde. Und Isang Yun muss man schon sagen, dass er innerhalb, bis 1972, drei Jahre danach sein letztes großes Bühnenwerk geschrieben hat und danach die große Form nicht mehr geschrieben hat, sondern im Bereich Instrumentalmusik und Kammermusik war."
    Mieczyław Weinberg war in seinem sowjetischen Exil – wo er auch mit antisemitischen Anfeindungen umgehen musste - weniger bei den Gattungen, in denen er schrieb, eingeschränkt, sondern er musste zuweilen seine jüdische Identität verleugnen. Was er geschickt – ähnlich wie Schostakowitsch – durch Chiffrierungen seiner Musik zu umgehen suchte. Die Musikwissenschaftlerin Verena Mogl hat über Weinberg promoviert.
    "Der Text spielt eine besondere Rolle, bei Weinberg waren die Texte wichtiger für die Zensur. Bei der Musik konnte er oft machen, was er wollte, aber ein falscher Text ist nicht durchgegangen. Er hatte die Technik, musikalische Chiffren zu erstellen, die er an anderer Stelle ohne Text einfügte und so auf einer zweiten Ebene Sinn herstellte eigentlich über Text."
    Musik: Weinberg "Wir gratulieren"
    Stilistisch, musikalisch haben die beiden Komponisten Mieczyław Weinberg und Erich Wolfgang Korngold wenige Gemeinsamkeiten. Während der jüngere Weinberg, 1919 in Warschau geboren, einen sachlicheren, eher ins Neoklassische tendierenden Stil pflegte, der in vielem an Dmitri Schostakowitsch erinnert, blieb der im Habsburgischen Österreich aufgewachsene Korngold, 1897 in Brünn geboren, im Wesentlichen einem spätromantischen Stil treu.
    Musik: Korngold "Der Ring des Polykrates"
    Gemeinsamkeiten der beiden Werke
    Doch in den Biografien gibt es manche Parallelen. Beide Komponisten waren jüdisch, beide mussten ihre Heimat verlassen. Und auch in ihren beiden Kurzopern – Weinbergs "Wir gratulieren" und Korngolds "Der Ring des Polykrates", die das Theater Heidelberg jetzt in einer Doppelpremiere herausbrachte, finden sich Gemeinsamkeiten, so die Dramaturgin der Produktion Merle Fahrholz:
    "Ganz klar in diesen beiden Stücken ist das Miteinander von zwei unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, das Oben, das Unten, des Herrscher- und des Diener-Paares, im einen Stück lehnen sie sich auf, im anderen möchten sie genauso werden wie die Herrschaft. Für uns waren das zwei Stücke, die auch sehr stark durch die Biografien der Komponisten auch den Gegensatz Ost-West, alte Welt, neue Welt vor der Katastrophe, nach der Katastrophe mitspielen."
    Musik: Weinberg "Wir gratulieren"
    Weinbergs Spätwerk von 1975 "Wir gratulieren" bezieht sich auf das Schauspiel "Mazl tov" von 1899 des legendären Scholem Alejchem, Autor auch des Kultstücks "Anatevka". Es spielt im zaristischen Russland am Vorabend der Revolution. Antisemitische Pogrome waren keine Seltenheit. In "Mazl tov" muckt die jüdische Dienerschaft gegen ihre aristokratische Herrschaft auf. Die verwitwete Köchin Bejlja und das Dienstmädchen Fradl sollen zwar eine Feier vorbereiten, aber mit Unterstützung des sozialistisch in die Zukunft schauenden Buchhändlers Reb Alter und Nachbarsdiener Chaim sehen sie nicht ein, es sich nicht gleichermaßen gut gehen zu lassen. Mit einem Lied voller Galgenhumor hält man sich bei Laune, was schließlich in doppelte Verlobung führt. Fortan will die Dienerschaft ihr Leben selbst bestimmen.
    Musik: Korngold "Der Ring des Polykrates"
    Korngolds "Der Ring des Polykrates" ist dagegen fatalistischer angelegt. Hausmädchen Lieschen und Notenkopist Florian lieben sich ebenso innig wie ihre "Chefs", Kapellmeister Wilhelm und dessen Frau Laura. Deren Glück scheint bedroht durch den Besuch von Peter, einen Pechvogel und alten Freund, der einst ein Auge auf Laura geworfen hatte. Gemeinsam liest man Schillers Ballade vom "Ring des Polykrates". Der erfolgreiche König von Samos soll seinen geliebten Ring wegwerfen, um den Neid der Götter zu vermeiden. Doch der Ring landet im Bauch eines Fisches, der wiederum auf den Teller des Königs zurückkehrt. Beide Paare testen ihr gegenseitiges Vertrauen in den Partner in Korngolds Oper, hier wird ein Ring eines früheren Verehrers weggeworfen, und von Peter zurückgebracht. Doch dem Unglück bringenden, neidischen Peter wird kurzerhand die Tür gewiesen, und mögliche Probleme werden so durch Verdrängung gelöst.
    Musik: Korngold "Der Ring des Polykrates"
    Sowohl Korngolds als auch Mieczyław Weinbergs persönliches Schicksal – Weinberg emigrierte im zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion - haben die Regisseurin der Heidelberger Doppelpremiere Yona Kim zu einer speziellen Lesart der beiden Kurzopern inspiriert.
    Musik: Weinberg "Wir gratulieren"
    Verknüpft durch eine imaginierte Künstler-Biografie
    Yona Kim verknüpft Weinbergs "Mazl tov" und Korngolds "Der Ring des Polykrates", indem sie eine imaginierte Künstler-Biografie erzählt. Ein Leben, das im antisemitischen vorrevolutionären, zaristischen Russland beginnt – Buchhändler Reb Alter hat bereits einen Schrank voller Bücher von Karl Marx -, das aber in der kommunistischen Sowjetunion nicht besser wird. So wird der Künstler – unverkennbar Tevje, der Fiedler aus "Anatevka", der sowohl bei Korngold und Weinberg auftritt – schließlich zur Emigration in die USA gezwungen. Dort, in Hollywood, wo Korngold als Filmkomponist erfolgreich war, spielt dann "Der Ring des Polykrates". Beide Opern spielen im selben Haus mit verschiedenen kleinen Zimmern und einem Oben und Unten, das die Hierarchie der Paare verdeutlicht. Die Bilder an den Wänden wechseln von russischem Stil, etwa von Chagall, Bildern und Attrappen von Hitler und Stalin hin zu Hollywood-Glamour. Das letzte Bild der Vorstellung zeigt Erich Wolfgang Korngold, seine Biografie steht exemplarisch für viele weitere Künstler-Schicksale.
    Musik: Weinberg "Wir gratulieren"
    Sängerisch war das gesamte Ensemble sehr homogen und exzellent besetzt. Gloria Rehm als Dienstmädchen in beiden Werken legte eine ansteckende Spiellaune an den Tag und blieb mit ihrem flexiblen hellen Sopran in Erinnerung. Ebenso das etwas dunklere Timbre der Sopranistin Irina Simmes als Herrin. Tenor Winfrid Mikus etwa verlieh dem Buchhändler Reb Alter komödiantische Facetten. Von Dirigent Olivier Pols und dem präzis agierenden Philharmonischen Orchester Heidelberg hätte man sich in manchen Passagen doch noch mehr dynamische Abstufungen und einen weniger forcierten Ton vorstellen können. Im Ganzen ist dem Theater Heidelberg jedoch eine spannende und hochklassige Produktion gelungen.