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Dorfgeschichten aus der Niederlausitz

Lange stand der sorbische Volksschriftsteller Erwin Strittmatter auf hohem moralischen Podest. Doch in seiner Geburtsstadt Spremberg in der südlichen Lausitz ist man nun uneins, ob man den im August anstehenden 100. Geburtstag des einstigen SS-Polizisten und Stasi-Spitzels wirklich offiziell feiern soll.

Von Erwin Strittmatters | 05.02.2012
    Erwin Strittmatter verstand wie kein anderer, dem Volk auf die "Gosche" zu schauen und es in seinen Werken, wie "Tinko", "Ole Bienkopp", "Der Wundertäter" und dem später verfilmten "Der Laden", lebendig werden zu lassen. Er war Soldat, Redakteur und hat mit Brecht zusammengearbeitet.

    Der Streit darüber, wie mit Strittmatters Geburtstag im August umgegangen werden soll, könnte jetzt entschieden sein, wenn nicht noch ein neuer Antrag ins Stadtparlament eingebracht wird.

    Andreas Lemke ist Vorsitzender der SPD-Fraktion und hat sich bereits im Jahre 2008 von Erwin Strittmatter distanziert.

    "Seit 1996 ist seine Stasi-Vergangenheit bekannt, seit 2008, seit Werner Liersch, ist jetzt auch seine Vergangenheit bekannt im Dritten Reich, welcher Truppe er dort gedient hat, und wir sind zu der Entscheidung gekommen, dass Erwin Strittmatter eine öffentliche Ehrung durch die Stadt Spremberg nicht mehr verdient."

    Als im November 2011 der Vorschlag auftauchte, Erwin Strittmatter zum 100. Geburtstag zu ehren, hat die SPD-Fraktion ihre Haltung von 2008 bekräftigt. In dem Artikel "Strittmatters unbekannter Krieg", erschienen im Juni 2008 in der FAZ, fährt der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Werner Liersch schwere Geschütze auf. Aufwendig hat er über noch dunkle Flecken in Strittmatters Vergangenheit recherchiert. Strittmatter, der stets für einen undogmatischen Sozialismus eingetreten ist, hat die Zugehörigkeit zum SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 jedoch immer verschwiegen. Dieses Regiment hat auf dem Balkan und in Griechenland am sogenannten "Partisanenkrieg" teilgenommen und wurde auch in Slowenien eingesetzt. Wiederholt kam es zu Massakern und Geiselerschießungen, die Strittmatter, so Liersch, als Bataillonschreiber miterlebt und vermutlich auch aufgeschrieben haben muss.

    Für eine Strittmatter-Ehrung zu seinem runden Geburtstag setzt sich der CDU-Abgeordnete Egon Wochatz ein, der seit der Wende zwölf Jahre lang Bürgermeister Sprembergs war. Er ist Mitglied des Strittmatter-Vereins, der im 15 km entfernten Bohsdorf den "Laden", in dem Strittmatter aufgewachsen ist und nach dem er seine Romantrilogie benannt hat, erhalten will. Er dient jetzt als Objekt der Öffentlichkeitsarbeit. Materialien zu Strittmatter, wie Bücher, Broschüren und Ansichtskarten, werden zum Verkauf angeboten. In dem dazugehörenden Gehöft gibt es manchmal auch ein Hoffest.

    "Ich habe als einzelner Bürger in allen Gesellschaftsordnungen Rechte und Pflichten. Dazu gehört auch, der Wehrpflicht nachzukommen. Ich gehe davon aus, dass er sich bemüht hat, zu einer Einheit zu gelangen, wo er als Pferdenarr und Pferdeexperte gebraucht wurde."

    Der bekennende Strittmatter-Fan Egon Wochatz scheint etwas über den Aspekt der Verantwortung des einzelnen Menschen hinwegzusehen und an einem Strittmatter festzuhalten, der mit seinem nach wie vor bedeutenden Werk viele schöne Legenden geschaffen hat.
    Allerdings sei bis zum 5. Mai 1945 dem Oberstleutnant der Polizei, Emil Klofanda, die Vernichtung der 15.000 Fotos, aller Kriegstagebücher der Polizeiregimenter in dem Städtchen Bischofteinitz, heute Horsovsky Tyn, in Westböhmen, eines bedeutenden Archivs deutscher Kriegsverbrechen, gelungen, schreibt Werner Liersch. Eine Beteiligung Strittmatters an Gewalttaten unterstellt Liersch in seinem Artikel nicht. Aber Strittmatter müsse doch "Kenntnisse des Krieges von einem ungewohnten Radius" besessen haben.

    Als die Witwe des 1994 verstorbenen Schriftstellers, Eva Strittmatter, nach dem Artikel von Liersch befragt wurde, sagte sie, das sei "ihr alles unbekannt". Sie habe gewusst, dass der Griechenlandaufenthalt eine "prägende Erfahrung" für ihn dargestellt hat, sie aber von der Rolle seines Regiments nichts gewusst habe.

    "Millionen von Deutschen, wie Strittmatter eben auch einer war, haben mit diesem Weltereignis fertig werden müssen: Zweiter Weltkrieg. Dass man da nicht über alles redet, das versteht sich auch."

    Es stellt sich die Frage: Hat Strittmatter sich seine Biografie zurechtgeflunkert? Denn von den Angaben in dem Artikel von Liersch ist niemals etwas in seinen eigenen biografischen Angaben veröffentlicht worden. In der DDR war der als Deserteur und Pazifist gefeierte Schriftsteller eine moralische Instanz. Das ist ein Grund, weshalb es deutliche Stimmen gibt, die meinen, eine Ehrung Strittmatters sei nicht selbstverständlich.

    "Ich denke, dass dem Ruf der Stadt Spremberg nicht geschadet wird, wenn wir die Ehrung von Erwin Strittmatter von Seiten der Stadt nicht durchführen. Ich glaube, eine Stadt wie Spremberg blamiert sich dadurch nicht, wenn bekannt geworden ist, dass der besagte Schriftsteller doch nicht dieses Vorbild war, als das er sich immer gern ausgeben wollte."

    Vermutlich wird nun der Strittmatter-Verein sich um eine Würdigung zum Jubiläum kümmern und die Stadt das tolerieren. In Schulzenhof bei Gransee, wo Strittmatter bis zu seinem Tod 1994 lebte, ist eine Ehrung des bekannten Volksschriftstellers allerdings jetzt schon geplant.