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Doris Dörrie
Das Leid der Schriftstellerinnen

In "Diebe und Vampire" erzählt Doris Dörrie die Geschichte einer jungen und einer alternden Schriftstellerin. Unentschieden bleibt Dörrie in dem eigentlich unterhalten wollenden Roman, ob sie nun das Drama der Initiation ins Schriftstellerleben oder eine Satire darüber schreiben möchte.

Von Sandra Hoffmann | 19.01.2016
    Die Regisseurin und Autorin Doris Dörrie
    Die Regisseurin und Autorin Doris Dörrie (dpa / picture-alliance)
    "Was klaust du denn?, fragte Pe. Ich bin neugierig. (...)
    Ich klaue Geschichten, sagte sie. Ich bin immer in Diebeslaune. Deshalb bin ich kein guter Mensch."
    Sagt die Meisterin, eine berühmte Schriftstellerin in Doris Dörries neustem Roman, "Diebe und Vampire". Worum geht es? Alice, eine sehr junge Frau, fährt mit ihrem deutlich älteren Geliebten nach Mexiko, um Ferien zu machen. Es kriselt zwischen den beiden - weil es schon zuvor gekriselt hat - in den Ferien nicht weniger. Rettung findet sich für das Paar in Blake und der von Alice so genannten Meisterin, einer älteren Dame, die sich als erfolgreiche Schriftstellerin entpuppt. Mit ihr will Alice sich neu erfinden und eine gemeinsame Geschichte dazu. Während der Geliebte mit dem Ehemann der Dame stundenlang isometrische Körper-Übungen am Strand macht, tut die junge Studentin Alice alles, um von der Meisterin wahrgenommen zu werden und ihr zu gefallen. Sie bewundert die ältere Dame um ihre Schönheit, um ihre Selbstdisziplin und um das, was sie selbst auch können möchte: das Schreiben. Und wie könnte eine gelungene Initiation besser laufen? Sie denkt sich sogar Geschichten aus!
    "Diesen Brief schrieb ich der Meisterin. Ich schrieb ihn tatsächlich unter dem Weihnachtsbaum meiner Mutter. Das war wahr. Aber das war auch das Einzige. Ich war nie auf dem Weg nach Chilpancingo. Ich saß nie in dem Gefängnistransporter, ich habe nie Fernando geküsst."
    Doris Dörrie misst Abgründe aus
    Doris Dörrie erzählt die Geschichte zweier Schriftstellerinnen im Rückblick. Doch zuvorderst erzählt sie die Geschichte der alternden Ich-Erzählerin Alice, der Hauptfigur des Romans, die möglicherweise so etwas wie der Schatten der Autorin selbst ist. Das suggeriert der Roman: Die Erzählerin kennt ihre Figur, wie eine, die sie schon immer begleitet hat und sie möchte mit ihr das bereits geführte Leben verstehen. Wie bin ich die geworden, die ich heute bin? Nämlich: Eine erfolgreiche Schriftstellerin, eine Lehrerin des Schreibens. Dazu misst Doris Dörrie Abgründe aus; solche die in abhängigen Verhältnissen auftauchen: zwischen Liebenden, zwischen Schülern und ihren Lehrern, zwischen Schriftstellerpaaren oder solchen, die es noch werden wollen.
    Und sie will erzählen, woher die Geschichten in den Romanen kommen, die wir lesen, wo und wie sie beginnen, und wie sie anfangen sich zu verselbstständigen. Sie erzählt: So tickt die Spezies Schriftsteller, wenn sie erfolgreich ist: Aber man kann ihr nicht trauen.
    Warum aber lässt der Roman einen am Ende doch etwas ratlos zurück?
    An einer Stelle des Rückblicks, Alice ist jetzt bereits selbst eine ältere Dame, erfolgreiche Autorin, die Schreibkurse gibt, da heißt es:
    "Ich brachte Autoren mit Schreibblockade bei, wie man sie überwindet, ich hatte mir eine Schatzkiste mit Tricks zugelegt, die immer funktionierten, die sogar aus ungeübten Schreibern annehmbare Texte hervorzauberten, wie aus einer fetten hässlichen Opernsängerin einen zarten Popsong."
    Ja, das geht sicher. Aber wir erwarten von einer Opernsängerin keinen zarten Popsong und von einer gestandenen Erzählerin keinen Text, der an vielen Stellen wirkt, als vertraue jemand seinem automatisierten Schreiben mehr als einer Formsuche. Dörrie hat eine interessante Story, sie hat das Glück ihre Heldin in fremde Länder und Städte schicken zu können, in denen sie sich anscheinend auskennt, San Francisco und Mexiko und sie hat das Staunen der älteren Frau über jüngere. Aber wie eine Opernsängerin sich nun mal für die Oper entschieden hat und nicht für den Popsong, sollte eine Schriftstellerin sich auch in einem unterhalten wollenden Roman entscheiden, ob sie nun das Drama der Initiation ins Schriftstellerleben oder eine Satire darüber schreiben möchte. Das tut sie nicht. Die Tendenz, sich über die Ernsthaftigkeit, der von ihr erzählten Figuren zu erheben, nimmt von Seite zu Seite zu, so lange bis die Idiosynkrasie des Textes und seiner Hauptfigur ins Beliebige kippt. Das ist schade. Das etwas eine Form hat, ist in der Kunst bekanntlich von Vorteil: Fett, hässlich und zart sind dabei keine Kategorien, die zählen.
    Doris Dörrie, Diebe und Vampire, Roman, Diogenes Verlag, 224 Seiten, 21,90 Euro