Dienstag, 23. April 2024

Archiv


"Dort herrscht Krieg"

Der Bonner Politikwissenschaftler Christian Hacke verlangt mehr Ehrlichkeit in der Debatte um das militärische Engagement der Bundeswehr in Afghanistan. "Es geht nicht um Zivildienst im Ausland oder Entwicklungshelfer oder das Hilfswerk, sondern die Soldaten sind gefordert zum Kampfeinsatz", betonte Hacke. Auf der anderen Seite gebe es "gute Gründe zu sagen, nein, wir wollen da gar nichts mehr machen".

Moderation: Friedbert Meurer | 01.02.2008
    Friedbert Meurer: Guten Tag, Herr Hacke!

    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt!

    Meurer: Wie lange kann sich Berlin noch dagegen sträuben, in den Süden Afghanistans zu gehen?

    Hacke: Ganz schwer zu sagen, denn der Druck ist ja nun schon, wie eben gesagt wurde, mehr als ein Jahr alt. Militärstrategische Überlegungen erfordern einen solchen Einsatz genauso wie der Primat der Bündnissolidarität, der von den Amerikanern, aber natürlich auch von anderen angemahnt wird. Und in dem Maße, in dem also hier die Deutschen sich drücken, müssen die anderen mehr Opfer übernehmen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist natürlich die Frage, ob überhaupt mit militärischem Einsatz, selbst wenn mit größerem Einsatz, die Lage in Afghanistan stabilisiert werden kann. Und dazwischen gibt es keinen Mittelweg. Ich glaube, das ist das Problem.

    Entweder gibt es eine klare öffentliche Debatte, wo gesagt wird, es macht Sinn, wir müssen dabei sein. Dann müssen wir Konsequenzen auch daraus ziehen und unsere Streitkräfte aufstocken und in den Süden schicken. Oder das Ganze macht keinen Sinn, dann muss man andere Schlussfolgerungen ziehen. Aber die Augenwischerei, die man bisher sieht, und die Drückebergerei, das ist ein Kurs, der weder im Inneren noch bei den Bündnispartnern ankommt.

    Meurer: Wie lautet denn Ihre Antwort? Die Bundeswehr soll sozusagen auch in den Süden eben gehen und dort den Kampfauftrag wahrnehmen.

    Hacke: Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich glaube, dass es eine unterschiedliche Einschätzung der Lage im Moment gibt. Auf der einen Seite, der afghanische Präsident Karsai sagt selbst zum Beispiel, es brauchen gar keine neuen Truppen kommen, wir brauchen mehr Finanzhilfe und mehr zivile Hilfe, Wiederaufbau. Das kommt den Deutschen im Argument sehr entgegen. Und inwieweit die Gelder in die richtigen Kanäle fließen, ist natürlich eine völlig andere Frage. Korruption macht auch in Kabul nicht Halt, um es mal zurückhaltend auszudrücken. Auf der anderen Seite gibt es die amerikanische Einschätzung, und nicht nur in den USA, sondern auch bei der NATO selbst, wo gesagt wird, dass die Taliban seit einem Jahr drastisch auf dem Vormarsch sind, dass sie im Süden sich breiter machen, dass es gefährlich wird und dass zur Stabilisierung der Regionen und Afghanistans insgesamt das Bündnis aufgestockt werden muss und seinen Einsatz erhöhen muss.

    Meurer: Da stellt sich eben die Frage, Entschuldigung Herr Hacke, ob Deutschland aus der Zwickmühle herauskommen kann, unter dem Druck der Bündnispartner zu stehen, indem man sagt, Leute, lasst uns doch lieber den zivilen Aufbau vorantreiben und da das Geld hinstecken.

    Hacke: Ich glaube, dass das nicht mehr möglich wird. Wenn wir dabei bleiben wollen, dann bleibt der Spruch vom Verteidigungsminister, Schützen, Helfen, Vermitteln und dann zugefügt Kämpfen, so nicht mehr möglich. Wir müssen dabei sein, wenn gekämpft wird. Es lässt sich das Land nicht nur mit zivilen Mitteln in eine Stabilität bringen. Es ist ein Kampf gegen den Terror, man muss es sagen, weil es nie gesagt wird. Dort herrscht Krieg. Und wenn Bundeswehreinsätze dort gefordert werden, dann ist das eben mehr, als was man bisher glaubte. Es geht nicht um Zivildienst im Ausland oder Entwicklungshelfer oder das Hilfswerk, sondern die Soldaten sind gefordert zum Kampfeinsatz. Und diese Debatte ist in Deutschland bisher öffentlich nicht mit dem nötigen Ernst und mit dem kritischen Realismus geführt worden, wie es gemacht werden müsste.

    Meurer: Ist da in der Vergangenheit in den letzten Jahren den Deutschen ein bisschen in der Öffentlichkeit etwas vorgemacht worden über den Einsatz in Afghanistan, sozusagen ein bewaffneter Nicht-Regierungsorganisationen-Einsatz?

    Hacke: Ja, so ungefähr, aber das lässt sich eben nicht mehr halten. Und hier ist eine Beruhigungsstrategie gefahren worden von der Regierung, in Sachen Sicherheitspolitik wird uns ständig Valium eingeflößt. Und das geht nicht länger. Die Bevölkerung muss aufwachen, sie muss die Risiken kennenlernen, und dann muss es eine Debatte im Parlament geben, und dann wird darüber abgestimmt. Und ich sage noch mal: Es gibt gute Gründe zu sagen, dass Afghanistan insgesamt ein ganz problematischer Ort ist zur Bekämpfung des Terrors und sich unterscheidet von allen anderen Gebieten. Gucken Sie alleine die Nachbarschaft zu Pakistan an. Da kann ja Nachschub immer erneuert werden, das sind Rückzugsgebiete, da kann El Kaida und die Taliban ständig neue Personen rekrutieren. Also es gibt gute Gründe zu sagen, nein, wir wollen da gar nichts mehr machen.

    Meurer: Man kann aber auch andere Schlussfolgerungen daraus ziehen, wir brauchen eben mehr Soldaten.

    Hacke: Und die andere Schlussfolgerung ist, wenn wir dabei sind, und die NATO hat uns geschützt über 40 Jahre, und es gibt eine Chance, dort den Terror erfolgreich zu bekämpfen, wenn wir mehr militärischen Einsatz leisten, das ist das Entscheidende, dann müssen wir eine völlig neue Strategie fahren, wir müssen überhaupt erst mal eine Militärstrategie entwickeln. Und wir müssen selbst initiativ werden, wir müssen selbst Prioritäten setzen und nicht immer nur auf Anfrage, halbherzig, ängstlich. Das bringt militärisch nichts, und vor allem bringt es nichts, denn das Militär hat noch eine andere Aufgabe.

    Meurer: Das hat aber auch damit zu tun, Entschuldigung Herr Hacke, dass die Bundeswehr eben eine Parlamentsarmee ist. Die Bundesregierung, die Hardthöhe, muss natürlich darauf achten, dass das Parlament den Einsatz mandatiert und dass die Öffentlichkeit dahintersteht. Wird das verspielt möglicherweise, wenn die Bundeswehr jetzt in den Süden geht und an Bodengefechten teilnimmt?

    Hacke: Ja, das ist natürlich eine wichtige Frage. Die Frage, wie jetzt nun die Mandatierung aussieht. Ich glaube, es wird wohl kaum Probleme geben, wenn man jetzt im Norden das Mandat erweitert. Da geht es, glaube ich, nur um 250 Mann, wenn die Norweger ersetzt werden sollen. Die neue Mandatierung bezieht sich natürlich auf jetzt das Grundsatzproblem, soll die Bundeswehr im Süden stärker militärisch eingesetzt werden? Und das wird eine Debatte geben.

    Meurer: Gibt es auch vielleicht einen Kompromiss, der nämlich heißt, die Deutschen bleiben im Norden stationiert, aber unsere Ausbilder begleiten die von ihnen ausgebildeten afghanischen Soldaten in den Süden, was sie im Moment nicht tun, und von Fall zu Fall kann auch mal eine kleinere deutsche Truppe im Süden aushelfen?

    Hacke: Ja, das wird die Debatte zeigen. Aber wir haben bisher gesehen, dass die Ausbildung der Polizeistreitkräfte auch durch die Deutschen nicht bisher den Erfolg gezeitigt hat, wie wir es gewünscht haben. Und wir haben noch lange nicht die afghanischen Streitkräfte, die in der Lage wären, das eigene Land in die Stabilität zu führen.

    Meurer: Soweit Christian Hacke, Politikwissenschaftler in Bonn - besten Dank, Herr Hacke - zum Brief, den US-Verteidigungsminister Robert Gates geschrieben hatte an den deutschen Verteidigungsminister, dass die Deutschen auch im Süden Afghanistans kämpfen sollen.