Téa Obreht: "Herzland"

Western mit Kamel

05:26 Minuten
Das Buchcover von Tea Obersts Herzland vor Deutschlandfunk Kultur Hintergrund.
Téa Obrehts Roman "Herzland" passt in die momentane Krisenlage weil er Extremsituationen schildert, die ganz selbstverständlich zum Alltag gehören. © Rowohlt / Deutschlandradio
Von Dorothea Westphal · 07.04.2020
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In "Herzland" verwebt Téa Obreth die Geschichte einer Farmersfrau in den USA, die nicht nur mit der Dürre kämpft, und die eines Einwandererkindes, das mit einem Kamel durch die Lande irrt. Für beide wird Wasser zum Trost und zur Quelle der Kraft.
Im 19. Jahrhundert setzte die Armee in der Wüste des amerikanischen Westens Kamele als Lasttiere ein. Diese historische Kuriosität ist der Ausgangspunkt für den neuen Roman von Téa Obreht: ein Western, der die Geschichte vom Mythos der ersten Siedler neu variiert. Es sind die Schicksale zweier Menschen, beide auf der Suche nach einem besseren Leben. Sie werden parallel erzählt und am Schluss auf grandiose Weise zusammengeführt.
Da ist der Tag im Leben der Farmersfrau Nora Lark um das Jahr 1890 herum, und da ist die Geschichte von Lurie, Waise eines Einwanderers aus Osteuropa, der sich als kleiner Ganove durchschlägt, schließlich einen Mord begeht und zum gesuchten Outlaw wird.

Gefangen in der Einsamkeit

Nora, eine beindruckend mutige und kluge Frau, muss ihre kleine Farm in Arizona gegen Grundstücksspekulanten verteidigen und gegen Hitze und Dürre kämpfen. Doch an jenem Tag kommt es noch schlimmer: Ihr kleiner Sohn hat Spuren eines vermeintlichen Untiers entdeckt, ins Brunnenhaus wurde offenbar eingebrochen, so dass der letzte Wasservorrat weg ist, und Noras Mann ist vom Wasserholen nicht zurückgekehrt. Auch die beiden älteren Söhne bleiben nach einem Streit verschwunden. Nora ist mit dem Rest der Familie, ihrer Sorge, der wachsenden Verzweiflung und Wut angesichts ihres harten Lebens auf der Farm geblieben.
Lurie wiederum konnte sich vor seinen Verfolgern retten, indem er eine Weile bei dem so genannten Camel Corps untertauchte. Später, als die Armee mit den Tieren nichts mehr anzufangen weiß, irrt er mit seinem Kamel durch die Wüste und erzählt ihm seine Geschichte. Lurie kann die Toten sehen und Nora führt Selbstgespräche mit ihrer verstorbenen Tochter. Beide sind gefangen in ihrer Einsamkeit und ihren Schuldgefühlen. Und mit Geistern kennen sie sich aus.

Mystische Bilder und immer neue Wendungen

Hier kommt das Übersinnliche ins Spiel, das Téa Obrehts enorm plastischen, am magischen Realismus orientierten Stil, so besonders macht. Und der passt so gut zu dieser Geschichte - meint man doch, die flirrende Hitze zu spüren und den quälenden Durst, der zu Visionen führen kann. Auch bringt sie damit die Schönheit und die Tücke der Landschaft zum Ausdruck und mildert die Härte der geschilderten Schicksale beim Lesen. Man taucht ein in diese mystischen Bilder und wird von immer neuen Wendungen überrascht.
Doch "Herzland" ist mehr als ein mit fantastischen Elementen angefüllter, historischer Roman, der einen in eine ferne Welt entführt. Er ist aktuell, weil er von Themen wie Familie und Einsamkeit erzählt oder davon, dass der Melting Pot USA in diese Zeit zurückreicht, als bereits im äußersten Südwesten Siedler aus aller Welt zusammenkamen. Und er passt in die gegenwärtige Krisensituation, weil er Extremsituationen schildert, die ganz selbstverständlich zum Alltag dieser Menschen gehörten. Nora und Lurie müssen, ganz auf sich gestellt, mit Situationen zurechtkommen, in denen der Tod allgegenwärtig ist.

Wasser als Metapher

Doch am Ende gibt es in dieser tragischen, hinreißend erzählten Geschichte einen Trost. Der hat mit Wasser zu tun, dessen lebensspendende und gleichermaßen zerstörerische Kraft sich metaphorisch durch das ganze Buch zieht. Es ist ein magischer Trost und ein Blick in eine bessere Zukunft.

Téa Obreht:"Herzland"
Übersetzt von Bernhard Robben
Rowohlt Verlag, Berlin 2020
512 Seiten, 24 Euro

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