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DPG-Initiative "Physik für Flüchtlinge"
Kinderprogramm mit Köpfchen

Im vergangenen Dezember startete die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) das Programm "Physik für Flüchtlinge". Dabei führten sie in Flüchtlingsunterkünften einfache physikalische Experimente für und mit Kindern durch. Das Projekt stieß auf große Resonanz - und soll deswegen jetzt ausgeweitet werden.

Von Ralf Krauter | 10.03.2016
    Mit einfach Experimenten lassen sich Kindern physikalische Phänomene erklären.
    Mit einfach Experimenten lassen sich Kindern physikalische Phänomene erklären. (dpa/picture alliance/Bernd Settnik)
    Langeweile ist so ziemlich das Schlimmste, was einem Kind passieren kann. In vielen Flüchtlingsunterkünften ist sie dennoch Alltag. Einfach weil es an Angeboten und Möglichkeiten fehlt, wie Kinder und Jugendliche die Tage und Wochen des Wartens sinnvoll nutzen könnten. Bei der Deutschen physikalischen Gesellschaft DPG, einem gemeinnützigen Verein mit über 60.000 Mitgliedern, nahm man diese Einsicht zum Anlass, mal zu überlegen, was sich dagegen tun ließe. Heraus kam die am 1. Dezember gestartete Aktion "Physik für Flüchtlinge", bei der Kinder in Flüchtlingsunterkünften in ganz Deutschland simple Experimente durchführen können. Der Physikprofessor Arnulf Quadt von der Universität Göttingen war einer der Initiatoren und selbst im Flüchtlingslager Friedland dabei:
    "Jetzt ist das eine Situation, in der man nicht groß Dinge erklären kann, weil wir typischerweise keine gemeinsame Sprache haben. Aber: Es gibt Dinge wie Sport, Musik oder eben Naturphänomene, Physik, die man auch ohne Sprache durchführen kann, zum Teil auch vermitteln kann, die auf jeden Fall positive Erfahrungen und einen Spaßfaktor vermitteln. Und insofern sind wir mit Physik prädestiniert."
    7.000 Flüchtlingskinder haben an dem Projekt teilgenommen
    Über 1.000 ehrenamtliche Helfer sahen das ähnlich und meldeten sich freiwillig, um mehrstündige Experimentieraktionen in Flüchtlingsunterkünften durchzuführen. Die Anleitungen und Materialien für die simplen Versuche bekamen sie von der DPG gestellt. Grundlage waren die in Youtube-Videos dokumentierten Versuche des Online-Adventskalenders "Physik im Advent", die dann vor Ort nachgemacht wurden - unter Anleitung von 600 Helfern in 20 Flüchtlingseinrichtungen bundesweit.
    "Die haben uns insbesondere deswegen mit offenen Armen empfangen, weil wir ein Konzept mit eigenem Material und Geld hatten - und eben auch mit Personal kamen. Wir brauchten quasi nur noch einen Raum und ein bisschen Hilfe, um das bekannt zu machen, dass die Kinder und Jugendlichen kommen. Und die Resonanz war überwältigend. Die Flüchtlingskinder selber haben dann schon nach Weihnachten gefragt: Wann kommen denn endlich die Physiker wieder?"
    Rund 7.000 Flüchtlingskinder haben an den Experimentierstunden teilgenommen. Und dabei etwa spielerisch gelernt, wie Wassertropfen Licht brechen oder warum der Himmel blau ist und ein Sonnenuntergang immer rot.
    "Da nehmen wir ein Wasserglas, kippen da so ein kleines Deckelchen voll fettarmer Milch rein, rühren das um und halten von unten eine Taschenlampe dran. Da strahlt dieses Glas zur Seite hin bläuliches Licht aus. Das ist der gleiche Mechanismus über Rayleigh-Streuung, warum der Himmel blau ist. Schaut man von oben rein, stellt man fest, dass der bläuliche Anteil fehlt. Und das Licht, das scheinbar direkt aus der Taschenlampe kommt, ist eher orange-rot. Das ist auch sehr erstaunlich. Und dann muss man natürlich auch mit der Taschenlampe noch von oben, von unten, von der Seite da reinleuchten. Ist total einfach, macht wahnsinnig Spaß. Und wenn man dann sieht, dass das Leben da draußen, was man täglich sieht, genauso zustande kommt, dann ist man wirklich zutiefst beeindruckt."
    Projekt soll auf mehr Standorte ausgeweitet werden
    Es sind Aha-Effekte, die keine Sprache brauchen: Gemeinschaftserlebnisse, die bleibende Eindrücke hinterlassen und zum Nachdenken und Ausprobieren ermuntern. Ein paar Brocken Deutsch schnappen die Kinder dabei natürlich auch gleich noch auf. Und der Spaß, den sie bei all dem haben, der wirke oft ansteckend, sagt Arnulf Quadt.
    "Da war so ein kleines Mädchen, total süß. Mit großen Augen war sie immer begeistert dabei und hat geguckt, was wir da machen. Dann stellte man fest, dass da so hinten im Raum auch die Eltern saßen. Und irgendwann ist dieser Begeisterungsfunke übergeschwappt und dann kam die Mutter an, wollte auch mal gucken, hat so ein bisschen die Kinder beiseite geschoben und quasi gesagt: Jetzt lass mich doch auch mal an die Physik ran. Und da dachte ich: Ja, Physik ist für alle da. Ihr dürft auch mitmachen."
    Wegen des Erfolgs und wachsender Nachfrage auch aus kleineren Flüchtlingseinrichtungen wollen die Organisatoren das Projekt jetzt ausweiten. Regelmäßige Angebote, einmal pro Woche, an deutlich mehr Standorten - das ist das Ziel. In Bundesländern, wo die Flüchtlinge nicht nur Tage, sondern Wochen auf ihre Registrierung warten müssen, sollen künftig sogar zehn aufeinander aufbauende Versuche gemacht werden. Das Bundesbildungs- und forschungsministerium, das bereits die erste Projektphase unterstützt hat, habe signalisiert, "Physik für Flüchtlinge" weiter fördern zu wollen, sagt Arnulf Quadt. Der Grund liegt auf der Hand:
    "Bildung ist für unsere westliche Welt der Schlüssel zum Erfolg. Chancengleichheit heißt eben auch, dass diese Menschen es verdient haben, dass die mit Rückenwind starten. Das ist letztendlich ja auch für unsere Gesellschaft gut. Je mehr die lernen, je mehr die wissen, desto besser können die sich integrieren. Und dann geht’s uns auch besser."