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Draht im Hirn, Teil 1

Wenn Medikamente nicht mehr wirken, dann ist die tiefe Hirnstimulation im Moment die einzige Therapieform, die Parkinsonpatienten noch helfen kann. Das typische Zittern verursachen synchron feuernde Nervenzellen in einem kleinen Areal im Innern des Gehirns. Die Elektrodendrähte können diese fehlgeleitete Aktivität blockieren und damit den Patienten die Kontrolle über ihren Körper zurückgeben.

Von Kristin Raabe | 14.09.2008
    "Frau Koch, jetzt lassen Sie das mal mit dem Jucken, wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, ob was weh tut. Weil ich ja jetzt die scharfe Fixierung am Kopf habe. Hinten am Hinterkopf sitzen ganz spitze, scharfe Fixierstifte. Merken Sie das?"

    "Nein."

    " Wunderbar, dann sitzt da die Betäubung schon richtig gut."

    Vor dem, was jetzt kommt, hat Helgard Koch schon seit Wochen Angst. Sie befindet sich in einem Vorraum zu einem Operationssaal an der Universitätsklinik Köln. Ihr Kopf ist rasiert. Um sie herum hantieren OP-Schwestern, ein Anästhesist und der Neurochirurg Ralph Lehrke. Er schraubt ein System von Kunststoffringen an Helgard Kochs Schädel fest. Das seltsame Gerüst um ihren Kopf ist mit feinen Skalierungen im Millimeterbereich versehen. Die Schrauben dringen durch die Haut bis in ihren Schädelknochen hinein. Während der ganzen Prozedur ist die 64jährige wach und sie wird es auch in den folgenden Stunden bleiben. Denn für den Eingriff an ihrem Gehirn braucht Ralph Lehrke ihre Mitarbeit.

    Er wird feine Elektroden zielgenau tief in ihr Gehirn einführen. Dort sollen diese Hirnelektroden Helgard Koch die Herrschaft über ihren Körper zurückgeben. Vor 20 Jahren ist sie am Morbus Parkinson erkrankt, immer mehr verlor sie seitdem die Kontrolle über ihre Gliedmaßen.

    "War erst nur linksseitig, dann ging es auf die rechte Seite über. Die Beine fingen auch erst links an, das linke Bein, dann erst das rechte Bein. Und in den letzten Jahren ist es so schlimm geworden mit der Überbewegung, entweder bewege ich mich unterhalb der Taille furchtbar und weiß nicht wohin. Ich sag immer aus Spaß und Dollerei...ich tanze Rock'n Roll, so schlimm ist es dann, und wenn die Überbewegung nicht ist, dann bewege ich mich von der Taille nach oben gar nicht, werde steif und fange an zu zittern, wie jetzt im Moment zittere ich auch ganz furchtbar. Wenn mich was aufregt ist es ganz schlimm."

    Helgard Kochs Hände führen ständig kleine unwillkürliche Bewegungen aus. Die Überbewegung ist auch der Grund, warum sie so dünn ist. Ihr Körper verbrennt soviel wie der eines Leistungssportlers. Weil ihre Hände aber häufig kaum einen Löffel halten können, isst sie viel zu wenig. Koch:

    "Der ganze Körper tut mir weh, wenn ich Überbewegungen habe. Das geht ja durch den ganzen Körper und die Schulterblätter sind am meisten. Dann kann ich nicht liegen nachts und Schlafstörungen habe ich auch. Ich schlafe schnell ein, aber bin auch schnell wieder wach und dann laufe ich rum. Ich bin wochenlang von zwei Uhr nachts bis morgens um sechs rumgelaufen."

    Manchmal funktioniert ihr Körper für eine halbe oder sogar eine ganze Stunde normal. Dann räumt sie auf und putzt ihre Wohnung. Schminken kann sie sich nicht mehr. Aber ihr welliges Haar ist gut frisiert. Koch:

    "Da muss man jemanden um jedes bisschen bitten. Oder kriegt nur einfach einen Yoghurtbecher nicht auf. Man weiß sich dann zu helfen, nimmt man einfach ein Kartoffelmesser und schneidet rein. Aber wenn man keine Kraft hat, kann man noch nicht einmal mit einem Messer einen dünnen Papierdeckel durchschneiden. Das ist schwierig, komme ich schlecht mit zurecht, jemanden zu fragen."

    Wenn die Überbewegung einmal nachlässt wird Helgard Koch ganz steif. Egal, wie sehr sie sich anstrengt, sie kann dann keinen Fuß vor den anderen setzen. Ihr Gehirn gibt falsche oder gar keine Befehle an ihre Gliedmaßen weiter. Die Rentnerin weiß, dass sie ihre Steifheit nur überwinden kann, wenn sie ganz plötzlich mit einem Ruck aufsteht. Hält sie einmal inne, ist sie sofort wieder steif und damit bewegungsunfähig. An dem ständigen Wechsel zwischen Steifheit und Überbewegung können seit November letzten Jahres auch die Medikamente nichts mehr ändern. Nur die Operation, bei der Elektrodendrähte tief in ihr Gehirn implantiert werden, kann ihr jetzt noch Linderung verschaffen. Koch:

    "Entweder bin ich weiter so rumtorkelnd zuhause und die Schmerzen ertragen oder das Risiko eingehen, schlimmer kann es ja nicht mehr werden, nach der Operation kann es ja nur besser werden. Falls man mich richtig trifft im Gehirn."

    Im Gehirn von Parkinsonpatienten, genauer gesagt in ihrem Mittelhirn, sterben Nervenzellen, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Warum sie das tun, ist für die Medizin immer noch ein Rätsel. Lediglich einzelne Puzzleteile haben Wissenschaftler inzwischen aufdecken können. Sie wissen beispielsweise, dass das Dopamin in den Nervenzellen nicht mehr richtig verpackt wird und dann auf die Zellen wie ein Gift wirkt. Außerdem verklumpt ein Eiweiß, das für den Transport von Proteinen in den Zellen zuständig ist. Für das Chaos in den Zellen scheint eine genetische Veranlagung genauso entscheidend zu sein wie manche Umweltgifte, Pestizide beispielsweise. Sicher wissen Experten im Moment vor allem eines: Die dopaminproduzierenden Nervenzellen im Mittelhirn sterben und das führt in anderen Hirnteilen zu einem Dopaminmangel. Dadurch ist die Kommunikation zwischen einzelnen Nervenzellen und zwischen verschiedenen Hirnteilen gestört.

    "Man hört an diesem Knistern, wie die einzelnen Nervenzellen feuern. Das ist wirklich das, was im Gehirn an Kommunikation stattfindet. So klingt das, wenn das Gehirn arbeitet."

    Lars Timmermann ist Neurologe an der Universitätsklinik Köln. Er behandelt vor allem Parkinsonpatienten und erforscht diese Erkrankung schon seit vielen Jahren.

    "Das ist Hirnaktivität bei einem Parkinsonpatienten im Nucleus subthalamicus, einer von den Hirnstrukturen, die wirklich maßgeblich an der Entstehung von Symptomen beteiligt sind. Dieses Knastern und Knistern bedeutet, dass da einzelne Nervenzellen nicht alleine, sondern in Gruppen feuern. Und die normalerweise sehr geordnete feine Aufteilung ein Stück weit auch zusammenbricht. Das ist typische krankhafte Aktivität in einem tiefen Hirnareal."

    Weil der Botenstoff Dopamin fehlt, funktionieren die hemmenden Nervenzellverbindungen im so genannten Nucleus subthalamicus nicht mehr richtig. Ohne diese Hemmung sind dann viele Zellen gleichzeitig aktiv. Den Unterschied kann man hören. Im gesunden Gehirn feuern einzelne Nervenzellen zeitlich versetzt. Im Gehirn von Parkinsonpatienten dagegen feuern ganze Nervenzellverbände synchron. Die einzelnen Nervenzellen arbeiten nicht mehr zielgerichtet. Sie ordnen ihre Aktivität der Masse unter. Dadurch wird der Nucleus subthalamicus zu einer Art Störsender. Er gibt regelmäßige starke Signale an die weiter oben gelegene Großhirnrinde weiter. Von dort erfolgt dann der Befehl für das Zittern, unter dem die Parkinsonpatienten so leiden. Mit Medikamenten, die den mangelnden Botenstoff Dopamin ersetzen, lässt sich die fehlerhafte Nervenzellaktivität eine Weile gut behandeln. Aber nach spätestens zehn Jahren wirken die Tabletten nicht mehr. In Zukunft könnten Stammzellen vielleicht die zugrunde gegangenen dopaminproduzierenden Zellen ersetzen.

    Dabei gibt es im Moment aber zwei große Probleme: Niemand weiß, wie viele Stammzellen für den jeweiligen Patienten benötigt werden und wie sich diese Zellen kontrollieren lassen. Erste Versuche mit Stammzelltherapien haben den meisten Patienten nichts gebracht und sogar Schaden angerichtet. Timmermann:

    "Ich habe selber Patienten in London erlebt, die einseitig ein zuviel an Dopamin hatten und auf der anderen Seite ein zuwenig an Dopamin durch Stammzellen. Das hat dazu geführt auf der jeweils gegenüberliegenden Körperseite, dass sie entweder überbeweglich waren und auf der anderen Seite unterbeweglich waren, eine Situation wo sie weder ein Medikament geben können noch ein Medikament weglassen können, weil entweder die eine oder die andere Körperseite in größte Schwierigkeiten kommt. Insofern sind wir bei den embryonalen Stammzellen an dem Punkt, an dem wir sagen, das ist sicher eine Therapie, die viel Hoffnung machen kann und auch sicher eine sehr gute Zukunftsoption ist, aber momentan noch sehr weit aus meiner Perspektive weg ist von der klinischen Routine."

    Wenn die Medikamente nicht mehr wirken, dann ist die tiefe Hirnstimulation im Moment die einzige Therapieform, die Parkinsonpatienten noch helfen kann. Aber auch die Behandlung mit den Elektroden birgt Risiken, die Mediziner erst langsam zu verstehen beginnen. Die Drähte im Hirn können die Bewegungsfähigkeit verbessern - aber auch die Psyche beeinflussen.

    Immer fester dreht der Neurochirurg Ralph Lehrke das Ringsystem am Kopf von Helgard Koch fest. Lehrke:

    "Frau Koch, tut was weh?"

    Koch:

    "Nein."

    Lehrke:

    "Wir drehen jetzt die Fixierung am Kopf immer fester, da wird sich so ein Druckgefühl einstellen, als würde man den Kopf so richtig fest in die Zange nehmen, da werden sie sich aber dran gewöhnen. Das wird dann nach einiger Zeit gar nicht mehr schlimm sein."

    "Sie schläft ja auch schon ein bisschen."

    Koch:

    "Nein, ich schlafe nicht."


    Lehrke:

    "So? Ich hatte den Eindruck. Na wunderbar."

    Koch:

    "Jetzt schrauben Sie!"

    Lehrke:

    "Der Ring sitzt jetzt schon richtig fest."

    Lehrke:

    "Wir melden uns bei der CT-Untersuchung an!"

    Koch:

    "In der Röhre?"

    Lehrke:

    "Einmal eine Computertomographie und einmal ein Kernspin."


    Koch:

    "Nochmal ein Kernspin?"

    Lehrke:

    "Ja."

    Koch:

    "Wieder 20 Minuten?"

    Lehrke:

    "20 Minuten, ja, und die CT fünf Minuten."

    Koch:

    "Muss die Kernspin sein?"

    Lehrke:

    "Ja, weil nur da sehen wir exakt den Zielpunkt, wo wir hinterher die Elektrode hinlegen müssen."

    Durch lange Krankenhausflure wird Helgard Koch schließlich in die Radiologie gefahren. Dort machen ein Kernspintomograph und ein Computertomograph Bilder von ihrem Gehirn. Das am Schädel festgeschraubte Ringsystem mit seinen Skalierungen ist auch zu erkennen und liefert Fixpunkte für die Vorbereitung der OP. Das größte Risiko besteht darin, ein Blutgefäß zu verletzen. Es liegt in Köln allerdings bei unter einem Prozent. In Deutschland hat Volker Sturm, Chefarzt an der neurochirurgischen Universitätsklinik Köln, die meiste Erfahrung mit der tiefen Hirnstimulation. Bereits vor 20 Jahren implantierte er die ersten Elektroden. Dank moderner bildgebender Verfahren liegt die Treffsicherheit des Kölner Neurochirurgen inzwischen bei einem Millimeter. Sturm:

    "Man operiert in der Tiefe des Gehirns, aber es ist ein minimal invasiver Eingriff, aber man schiebt ganz vorsichtig über sehr kleine Bohrlöcher, die man natürlich am Schädelknochen anlegen muss. Die sind bei uns acht Millimeter weit, schiebt man computergesteuert nach vorausgegangenen hochpräzisen Berechnungen mit Hilfe mechanischer Zielsysteme ganz dünne Elektroden mit einem Durchmesser von einem Millimeter in die Zielregion."

    Die Zielregion ist der Nucleus subthalamicus. Etwa so groß wie eine dicke weiße Bohne ist dieser Bereich im Innern des menschlichen Gehirns. Von dort senden synchron feuernde Nervenzellen immer wieder Störsignale, die das Zittern und die Steifheit der Parkinsonpatienten verursachen.

    Inzwischen ist Helgard Koch im Operationssaal angekommen. Der Neurologe Lars Timmermann braucht ihre Mitarbeit, um zu testen, wie steif ihre Glieder sind. Später, wenn die Elektroden bereits in ihrem Gehirn sind, wird er den Test wiederholen, um zu sehen, ob die Hirnstimulation ihren Zustand auch tatsächlich verbessert. Jetzt hat er aber erst mal nichts zu tun - außer seiner Patientin die Hand zu halten, während Ralph Lehrke ein Loch in ihren Schädel bohrt. Lehrke:

    "Frau Koch, jetzt kommt der Teil, der so ein bisschen laut ist, das Bohren. Das ist ein Bohrer, der extra dafür konstruiert ist, da können Sie millimeterweise einstellen, wie weit das geht."

    Timmermann:

    "Wir bleiben hier an Ihrer Seite!"

    Lehrke:

    "Aber es soll Ihnen nicht wehtun."


    Timmermann:

    "Dann drücken Sie ein bisschen, sie können meinen Finger auch ganz fest drücken. Das ist kein Problem."

    Lehrke:

    "Das ist jetzt das Bohrgeräusch, das kommt bei Ihnen noch viel lauter an, als bei uns jetzt, aber es geht wunderbar, es passiert gar nichts."


    Timmermann:

    "Drücken Sie meine Hand, wenn Sie Angst haben."

    Lehrke:

    "Jetzt schauen wir mal, ob wir schon durch sind. Ja, ist schon durch.
    Wunderbar, haben Sie ganz tapfer gemacht."

    Helgard Koch hat ein etwa acht Millimeter großes Loch in ihrem Schädel. Darunter schimmert rosa die Hirnhaut. Nachdem Ralph Lehrke auch diese stark durchblutete Haut geöffnet hat, liegt jetzt die Hirnoberfläche vor ihm. Nun schraubt er eine Art Einführhilfe an dem Ringsystem fest. Durch Drehen einer Schraube kann er die Elektrodendrähte immer tiefer in das Gehirn seiner Patientin schieben. Welchen Weg er dabei nehmen muss, in welchem Winkel er die Elektroden führt, an welcher Stelle er das Loch bohren muss - all das hat er in der Planungsphase mit Hilfe einer speziellen Software genau berechnet. Der Eingriff ist zu riskant, um irgendetwas dem Zufall zu überlassen.

    Die Spitze der Drähte ist stumpf, und so schieben die Elektroden die Nervenzellen beim Einführen einfach beiseite. In aller Regel werden sie dabei nicht verletzt. Das zeigen die Erfahrungen mit weltweit etwa
    40.000 Patienten. Wie die elektrischen Impulse im Hirn genau wirken, beginnen Mediziner aber erst langsam zu verstehen. Peter Tass vom Forschungszentrum Jülich ist Arzt, Mathematiker und Physiker.

    "Nach allen experimentellen Befunden sieht es so aus, dass die Hochfrequenzstimulation, die Nervenzellen, die sie direkt trifft, wirklich unterdrückt, auch stoppt, die können überhaupt nicht mehr feuern, während Fasern, die durch das stimulierte Gebiet ziehen, auch angeregt werden können, so dass es also durchaus auch zwei verschiedene Effekte, den einen blockierenden, aber für weiter entfernt liegende Strukturen den anregenden Effekt gibt."

    Die Frequenz, mit der im Gehirn stimuliert wird, ist immer dieselbe. 130 Hertz. Dieser Dauerbeschuss lässt den Nervenzellen kaum noch die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Das anvisierte Hirngewebe wird praktisch komplett ausgeschaltet - und das in aller Regel jahrelang. Es gibt inzwischen Patienten, die bereits seit 15 Jahren und länger einen solchen Hirnschrittmacher in ihrem Kopf haben. Wird er für Wartungszwecke kurz ausgeschaltet, kehren die Parkinsonsymptome umgehend zurück. Variieren können die Neurologen lediglich die Spannung. Sie liegt meist zwischen zwei und fünf Millivolt. Ist sie zu hoch, stellen sich häufig schon während der Operation Nebenwirkungen ein. Lars Timmermann von der Universitätsklinik Köln:

    "Die meisten Nebenwirkungen, werden dadurch hervorgerufen, dass wir nicht das Kernareal selber stimulieren, sondern benachbarte Areale. Das führt dann zu einem elektrischen Gefühl im gegenseitig gelegenen Arm. Diese Nebenwirkungen lassen sich meistens durch Veränderung der Stimulation sehr gut beeinflussen"

    Sorgen machen den Ärzten andere Nebenwirkungen, weil sie zunächst häufig unbemerkt bleiben. Timmermann:

    "Ein interessantes Phänomen ist zum Beispiel, dass, wenn wir in der Hochfrequenz-Stimulation im Nucleus subthalamicus stimulieren bei Patienten mit Morbus Parkinson, dass diese Patienten in ihrer Wortflüssigkeit verändert werden. Wenn sie denen sagen: "Nennen sie mir 100 Worte mit A, dann werden die deutlich länger dafür brauchen oder in einem bestimmten Zeitintervall weniger Worte finden, als das ohne Stimulation der Fall ist"

    Umgekehrt schneiden Patienten, die mit niedrigen Frequenzen von etwa 20 Hertz stimuliert werden, in diesem Test sogar besser ab. Das Beispiel zeigt, wie subtil die Hirnelektroden die geistige Leistungsfähigkeit und das Verhalten der Patienten beeinflussen können. Manchmal gibt es beim Anschalten der Elektroden schon auf dem OP-Tisch die ausgefallensten Reaktionen. Patienten bekommen Lachkrämpfe oder fangen unkontrolliert an zu weinen. Denn der Nucleus subthalamicus hat auch Verbindungen zum limbischen System, dem Gefühlszentrum des Gehirns. Meistens lassen sich solche plötzlichen Gefühlsausbrüche aber schnell wieder beenden, indem die Elektroden ein klein wenig verschoben werden oder die Stimulationsstärke verändert wird. Viel problematischer sind die subtilen Auswirkungen auf das Verhalten der Patienten, die sich erst später zeigen und meist vor allem von Verwandten und Freunden als schwer greifbare Persönlichkeitsveränderung beschrieben werden. Timmermann:

    "Das ist oftmals für viele Patienten im Alltag nicht sichtbar, wenn man aber testpsychologisch genau nachschaut, sieht man bei dem ein oder anderen doch Veränderungen, zum Beispiel in der Wahrnehmung von Emotion, aber auch dem sich in Emotionen von anderen Menschen hineindenken können, zum Beispiel zu bemerken und sich da auch hineindenken können, dass das Gegenüber traurig ist."

    Das Problem ist nicht so einfach fassbar, denn auch die Parkinsonerkrankung selbst kann die Psyche verändern. Timmermann:

    "Ich habe gerade vor sechs Wochen hier in der Ambulanz eine junge Frau gesehen, die hier in Köln in einem Bürojob ein ganz reguläres Leben lebt, seit eineinhalb Jahren einen idiopathischen Morbus Parkinson hat, der durch medikamentöse Therapie mit einem Dopaminagonisten sehr, sehr gut kontrolliert ist, die aber angefangen hat in den letzten Monaten verstärkt zu spielen und zwar im Internet zu surfen, im Internet zu spielen, sich auch verstärkt Dinge kauft, viel mehr, als ihr Einkommen durch einen Bürojob es ihr auch ermöglicht, und die inzwischen richtig Schulden dadurch aufgehäuft hat. Was bei der Patientin zudem noch zu einer ausgesprochenen Belastung in der Partnerschaft geführt hat ist eine ausgeprägte Hypersexualität, die auch das normale Maß weit überschritten hat. Diese Frau hat schlichtweg im privaten aber auch im beruflichen Bereich erhebliche Probleme."

    Manche Medikamente verstärken solche Symptome. Aber die tiefe Hirnstimulation wirkt ganz ähnlich und würde die Spielsucht ebenfalls fördern. Studien von Lars Timmermann und anderen Experten haben gezeigt, dass Parkinsonpatienten, die bereits zu manischen oder depressiven Verhaltensweisen neigen, nicht mit den Hirnelektroden behandelt werden sollten. Timmermann:

    "Was wir natürlich alle nicht wollen, ist, dass sich die Menschen so durch die Stimulation verändern, dass sie nicht mehr sie selber sind. Dass sie in ihrer Persönlichkeit so verändert sind, dass sie nicht das tun, was sie selber als Mensch ausmacht. Das ist etwas, wovor wir alle Angst haben und wo wir auch alle vor zurückschrecken. Wir dürfen als Ärzte Krankheiten behandeln, wir dürfen versuchen, Symptome zu lindern. Aber wir dürfen natürlich nicht Menschen verändern."

    Noch gibt es kaum wissenschaftliche Studien, die untersuchen, wie sich die tiefe Hirnstimulation langfristig auswirkt. Trotzdem wenden immer mehr Mediziner das Verfahren auch bei anderen Erkrankungen an. Im Gehirn von Fettleibigen sollen die Elektroden den ständigen Hunger stoppen, bei Alkoholikern das Verlangen nach dem nächsten Drink. Auch mit Zwangskranken und depressiven Patienten gibt es erste Studien. Wenn solche Eingriffe im Rahmen von kontrollierten Studien durchgeführt werden, können sie für Schwerstkranke eine Chance darstellen. Als einzelner Behandlungsversuche, ohne die Kontrolle einer Ethikkommission, sind die Risiken allerdings nur schwer kalkulierbar.

    Die Elektroden in Helgard Kochs Gehirn bewegen sich jetzt immer näher auf den Zielpunkt zu. Lars Timmermann leitet die Neurologische Untersuchung. Am Knacken des Lautsprechers kann er hören, ob die feinen Drähte sich bereits im synchron feuernden Nucleus subthalamicus befinden. Timmermann:

    "Ganz wunderbar, jetzt sind wir im Kern drin, ganz, ganz locker lassen. Das sind ganz klare SDN-Neurone, jetzt sind wir im Zielgebiet, im Nucleus subthalamicus. Ganz entspannt liegen lassen. Und dieses typische Geknatter, das auch nicht regelmäßig ist, das ist typisch für dieses Zielgebiet des Parkinson und das ist auch typisch für die Off-Phase des Parkinson. Da hört man die Krankheit sozusagen. Finger spreizen! Bitte weit aufspreizen, machen Sie gut Frau Koch, was wir hören hilft uns sehr, das ist genau in Ihrem Kerngebiet drin. Genau so, nur noch wenige Sekunden."

    Lehrke:


    "Der wache, klare Patient ist für uns immer der beste Anhalt, dass nichts passiert. Sie ist immer konstant gut ansprechbar, macht alle Aufforderungen mit, und ist auch ganz ruhig dabei, das sieht man an den Kreislaufwerten. Das kann man sich als Außenstehender ja gar nicht vorstellen, dass man am geöffneten Gehirn ohne Aufregung das alles mitmacht. Aber man gewöhnt sich daran, als wäre es jetzt eine Zahnarztfüllung. Wir brauchen sie jetzt ohne Beruhigungseinfluss, denn Beruhigungsmittel würden auch die Nervenzellaktivität verändern."

    Timmermann:

    "Jetzt bewege ich Ihre Hand. Alles in Ordnung! Ihre Nase! Ja, da kommt die Luft rein! Nochmal laut die Monatsnamen sagen. Merken Sie, wie locker jetzt die Hand geworden ist. Ganz entspannt, Merken Sie das? Die kann ich ganz schön hin und her laufen lassen. Das ist super!"

    Lehrke:

    "Das ist ein Soforteffekt auf die Steifigkeit."

    Timmermann:

    "Noch mal die Hand drehen. Bei zwei Milliampere, das ist super! Das geht besser das Drehen, viel besser, merken Sie das?"


    Lars Timmermann erhöht die Reizstärke immer mehr. Er versucht den Bereich zu finden, bei dem sich die beste Wirkung, aber noch keine Nebenwirkungen zeigen.

    Timmermann:

    "Kribbeln im Hirn? Und was passiert jetzt mit dem Kribbeln? Jetzt ist weg? Stimulationsinduziert bei fünf Milliampere, mediale Nebenwirkungen. Super.
    Das haben Sie wirklich ganz toll gemacht, Frau Koch, wir konnten wunderbar abgrenzen, wo wir sind und wo Nebenwirkungen kommen, und das ist unheimlich wichtig, weil wir langfristig auch mit den Nebenwirkungen leben müssen."

    Noch ist die tiefe Hirnstimulation eine rein symptomatische Behandlung. Mit den richtigen Einstellungen verschwinden die Bewegungsstörungen, unter denen die Parkinsonpatienten leiden. Aber sobald die Stimulation abgestellt wird, kommen sie wieder. Die Hirnelektroden retten keine absterbenden Nervenzellen, sie blockieren lediglich die synchron feuernden Nervenzellen im Nucleus subthalamicus. Aber das könnte sich bald ändern, wenn Peter Tass vom Forschungszentrum Jülich mit seinen Studien Erfolg hat. Tass:

    "Was wir hier machen, ist schon auch insofern aufwändig, als dass wir im wesentlichen das tun, was man gemacht hat, vor vierzig, fünfzig Jahren, als man begann, Herzschrittmacher zu entwickeln. Also da hat man am Anfang auch den Zufallsbefund gehabt, man kann durch einen starken elektrischen Reiz ein fibrillierendes und zuckendes Herz wieder in den normalen Rhythmus überführen. Dann haben Biophysiker den Herzmuskel mathematisch nachgebildet und dann diese Stimulationstechniken dadurch optimiert. Nur das Herz ist halt sehr viel einfacher als das Hirn. Deshalb kommt jetzt diese Entwicklung mit den Hirnschrittmachern sehr viel später, weil man eine ganz andere Mathe und nichtlineare Physik dazu braucht."

    Peter Tass hat eine neue Stimulationstechnik entwickelt, die mit wesentlich weniger Strom auskommt. Üblich sind zurzeit Hirnelektroden, die mit Voltstärken von zwei bis fünf Millivolt arbeiten und in einer Frequenz von 130 Hertz Impulse senden. Unter diesem Dauerbeschuss sind die Nervenzellen komplett lahm gelegt und überhaupt nicht mehr zu eigener Aktivität fähig. Mit der Methode des Jülicher Wissenschaftlers sollen die Nervenzellen nur so weit aus dem Takt gebracht werden, dass sie eben nicht mehr synchron feuern. Tass:

    "Bei unserem Verfahren ist es so, dass man deutlich weniger stimuliert, man stimuliert also nicht dauerhaft. Man appliziert an verschiedenen Stellen kurze Reize und die Reize sind an sich schwach, schwach heißt, sie unterdrücken das Feuer nicht, sie bewirken aber, dass diese größere Population aus dem Takt kommt. Die haben keinen Boss, der sagt, ihr müsst euch alle zu mir synchronisieren und da bricht halt ein Durcheinander aus und daraus resultiert eine Desynchronisation. Also es ist ein Verfahren, das die Aktivität der Nervenzellen viel näher an das Gesunde bringt."

    Das Verfahren ist viel schonender, weil weniger Strom benötigt wird - schließlich geben die Elektrodendrähte nur wenige schwache Reize ab. Das hat auch den Vorteil, dass der Akku, der die Elektroden im Gehirn antreibt, nicht so häufig gewechselt werden muss. Zusammen mit dem Stimulator wird er im Bauchraum implantiert - um ihn zu wechseln, ist normalerweise etwa alle drei Jahre eine Operation nötig. Außerdem verlieren die Nervenzellen mit der Jülicher Stimulationstechnik mit der Zeit ihr Bestreben, synchron zu feuern. Denn übermäßig starke Verbindungen zwischen Nervenzellen bilden sich zurück, wenn sie nicht mehr benutzt werden. Und ohne diese Verstärkungen an den Kontaktstellen ist eine synchrone Aktivität auf Dauer nicht möglich. Dass dieses Konzept auch im Patienten aufgeht, erscheint immer wahrscheinlicher. Tass:

    "In einer frühen Pilotstudie an inzwischen 17 Parkinsonpatienten, die eine Woche nach der Elektrodenimplantation stimuliert werden mit unserem Prototypen, haben wir bei allen Patienten diese sehr lang anhaltenden Effekte gesehen."

    Wenn weitere Studien ähnlich positive Ergebnisse liefern, dann könnte die neue Stimulationstechnik in ein bis zwei Jahren für Parkinsonpatienten verfügbar sein. Die tiefen Hirnelektroden wären dann nicht mehr nur eine rein symptomatische Behandlung, sie könnten die fehlerhafte Aktivität der Nervenzellen womöglich sogar heilen. Aber schon jetzt ist die tiefe Hirnstimulation für die meisten Patienten ein Gewinn. Sie können nach der Operation auf zwei Drittel ihrer täglichen Tablettenration verzichten. Bis zu 15 Prozent der Patienten kommen völlig ohne Medikamente aus.

    Helgard Koch ist zufrieden. Außer ihrem Kopfverband weist nichts darauf hin, dass sie vor drei Tagen eine schwere Operation überstanden hat.

    "Sagenhaft gut, einfach gut. Ich habe die Augen aufgemacht und war hellwach. Da sind ja einige Stellen an meinem Körper, die genäht worden sind, aber das tut jetzt noch ein bisschen weh, wenn ich mich bewege, wenn ich still sitze, dann merke ich gar nichts."

    In den ersten Tagen nach dem Eingriff ist Helgard Koch richtig euphorisch, fast manisch. Ein Effekt, den die Ärzte häufig kurz nach der OP beobachten. Nach ein oder zwei Wochen legt sich das allerdings. Nach und nach darf sie immer mehr der vielen Tabletten weglassen. In einer Rehaklinik lernt sie schließlich mit ihrer neugewonnenen Beweglichkeit umzugehen. Als sie endlich wieder in ihrer eigenen Wohnung lebt, ist sie endlich nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen. An die Elektroden in ihrem Kopf denkt sie kaum noch.

    "Da sind ja einige Stellen an meinem Körper, die genäht worden sind, aber das tut jetzt noch ein bisschen weh, wenn ich mich bewege, wenn ich still sitze, dann merke ich gar nichts."


    Den 2. Teil der Reihe hören Sie am nächsten Sonntag: "Draht im Hirn - wie tiefe Elektroden bei psychischen Erkrankungen helfen." In Wissenschaft im Brennpunkt, 16:30 Uhr.