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Drakonisch gegen Viren

Medizin. - Der Kampf gegen Viren ist wesentlich schwieriger als der gegen Bakterien. Nur eine Impfung verspricht umfassende Wirkung, doch die gibt es nicht gegen jeden Erreger. Und Breitband-Wirkstoffe wie bei Antibiotika gibt es gegen Viren nicht - noch nicht. Denn Forscher des MIT berichten jetzt von einem Wirkstoff, der in Laborversuchen zahlreiche Viren in Schach halten kann.

Von Marieke Degen | 27.10.2011
    Der Wirkstoff heißt Draco, und das passe eigentlich ganz gut, sagt Todd Rider vom MIT Lincoln Laboratory in Lexington. Denn Draco sei ein drakonisches Mittel gegen Viren. Es könne alle Viren in Schach halten, sagt Rider, seien sie noch so verschieden.

    "Wir haben Draco bislang gegen 15 Viren getestet, darunter Erkältungsviren, die Schweinegrippe H1N1, Magendarmgrippe-Viren, verschiedene Adenoviren, Polio und das Dengue-Virus, das das hämorrhagische Dengue-Fieber auslöst. Das Medikament hat gegen alle gewirkt. Wir haben noch eine ganze Liste an Erregern, die wir testen wollen. Wir hoffen, dass Draco generell gegen alle Viren hilft."

    Der Clou: Draco greift nicht die Viren selbst an, sondern die Wirtszellen, also die Zellen im Körper, die mit den Viren infiziert sind. Die Erreger benehmen sich in unserem Körper nämlich wie die Außerirdischen in den Alien-Filmen, sagt Todd Rider.

    "Viren vermehren sich in einer Wirtszelle und töten sie dann. Sie platzen aus der Zelle heraus und nehmen sich die nächsten Zellen vor. Draco vernichtet die erste infizierte Zelle, und zwar bevor sich die Viren darin vermehren und andere Zellen infizieren können."

    Draco kann Zellen, die mit Viren infiziert sind, ganz gezielt aufspüren. Und zwar anhand der RNA, der Ribonukleinsäure. Wenn sich Viren vermehren, bilden sie extrem lange RNA-Doppelstränge. Solche RNA-Doppelstränge kommen in einer Körperzelle normalerweise nicht vor. Sie sind also ein Zeichen dafür, dass ein Virus die Zelle befallen hat.

    "Draco erkennt infizierte Zellen, in denen die Viren-RNA vorkommt. Es bringt die Zellen dann dazu, sich selbst umzubringen und kann die Infektion auf diese Weise beenden. Gesunde Zellen dagegen bleiben verschont."

    Todd Rider und seine Kollegen haben gezeigt, dass Draco genau so funktioniert. Zumindest in der Petrischale, bei einzelnen Zellen, die mit verschiedenen Viren infiziert waren. Außerdem haben sie Mäuse geheilt, die mit der Schweinegrippe infiziert waren. Todd Rider ist überzeugt davon, dass Draco das Zeug zum Universalmedikament hat - dass es mit allen Infektionen fertig wird, mit einer normalen Erkältung genauso wie mit Pocken. Andere Forscher sehen das kritischer. Darunter auch Andrea Branch von der Mount Sinai School of Medicine in New York.

    "Das Paper ist wirklich clever, Hochachtung vor der Kreativität der Kollegen! Aber: Zu zeigen, dass etwas bei Zellen in der Petrischale oder bei Mäusen funktioniert, ist das eine. Bis daraus ein Medikament für Menschen wird, ist es noch ein sehr weiter Weg."

    Außerdem berge der Ansatz auch Risiken, sagt die Mikrobiologin.

    "Wenn sehr viele Zellen mit Viren infiziert sind und in den Selbstmord getrieben werden, dann könnte das den Patienten umbringen. Es gibt zwar Infektionen, bei denen nur wenige Körperzellen befallen sind, und wenn Draco diese Zellen vernichtet, dann mag das vielleicht funktionieren. Aber bei einer Hepatitis-B-Infektion zum Beispiel ist ein Großteil der Leberzellen betroffen, und wenn die Zellen absterben, würde die Leber der Patienten versagen. Ohne Lebertransplantation könnten die Patienten dann nicht überleben. Das ist eben die Gefahr, wenn man Zellen angreift und nicht die Viren."

    Viele schwere Virusinfektionen könnte man heute schon sehr gut behandeln, sagt Andrea Branch: Mit Beta Interferon, einem körpereigenen Protein, das das Immunsystem aktiviert. Doch Beta Interferon hilft zum Beispiel nicht gegen HIV. Todd Rider und sein Team vom MIT machen weiter: Als nächstes wollen sie Draco gegen Ebola und HIV testen.